Samstag, 31. Oktober 2015

IST DER MANN EIN PENIS? Isabel Šubas Cannes-Film „Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste“



„Du bist ein Penis.“, schreit Regisseurin Isabel Šuba ihren Produzenten David Wendland an, nachdem dieser zum xten Mal Termine versemmelt und Chauvi-Sprüche geklopft hat. David, gespielt von Matthias Weidenhöfer, fühlt sich ganz wohl im sexy Festival-Cannes, wo Männer in der Nacht und auf dem roten Teppich alle gleich aussehen (schwarzer Anzug, weißes Hemd, schwarze Fliege) und Frauen tief dekolletiert und auf Mörder-High-Heels strahlend (Zähne werden nur innerlich zusammen gebissen) rumstolzieren. Die Kamera zeigt dieses Glitzer-Glamour-Cannes verwackelt und verwaschen, scharf gestellt wird sie auf den öden Flughafenvorplätzen, in den verregneten Gassen und im heruntergekommenen Hotelzimmer, das sich Produzent und Regisseurin teilen. Immerhin bietet es einen Balkon mit Mittelmeerblick, auf dessen Ballustrade man lässig die Beine legen und verschnaufen kann. Manchmal gelingen David und Isabel solche kurzen Momente der Entspannung, aber die meiste Zeit streiten sie sich heftig und die Zuschauerin fragt sich, wieso Isabel sich mit diesem Chauvi-Deppen abgibt, der offenbar fast nix kapiert und zudem als Organisator von Pitch-Terminen mit möglichen Geldgebern für das neue Film-Projekt von Isabel praktisch ausfällt.

Regisseurin Isabel  Šuba wurde 2012 mit dem Kurzfilm „CHICA XX MUJER“ zum Festival in Cannes eingeladen. Sie hatte Zweifel, ob ein Festival-Besuch in der Hochburg des gepflegten Sexismus (der sich als Galanterie ausgibt) und wo kein einziger Film einer weiblichen Regisseurin im Hauptprogramm gezeigt wurde, sich für sie überhaupt lohnen könnte. Dann machte sie Cannes selbst zum Schauplatz eines Spielfilms: über die junge Regisseurin Isabel Šuba, die mit einem Kurzfilm nach Cannes eingeladen ist, die durch die Glitzer-Schein-Welt stolpert, im Regen und sich selbst im Weg steht, Interviews und Pitchs vermasselt (oder sich von David vermasseln lässt) und versucht ihr neues Projekt auf den Weg zu bringen in einem Umfeld, das sich für die Perspektive von Frauen tendenziell gegen Null interessiert, es sei denn, diese Frauen interessieren sich tendenziell ganz stark dafür, was Männer von ihnen halten. Die Rolle der Regisseurin Isabel Šuba übernimmt im Film Schauspielerin Anne Haug, während Šuba selbst sich als Praktikantin Anne Woelky akkreditiert hatte.

Dieser Rollentausch, der Ansatz sich selbst spielen zu lassen in einer realen Situation und daraus einen Spielfilm zu machen, ist schon mal spannend und auch eine Geste gegenüber den Festival-Machern, denen das Fehlen weiblicher Blickweisen offenbar gar nicht aufgefallen oder eben scheißegal war. Anne Haug tritt  für Isabel Šuba auf die Bühne und nimmt den Applaus für „CHICA XX MUJER“ entgegen. Šubas Film „Männer zeigen Filme und Frauen ihre Brüste“ erschöpft sich aber nicht im "Ätschi-Bätschi-Da-hab-ich-euch-mal-reingelegt", sondern erzählt von einer komplexen und ambivalenten Figur, widersprüchlich  in ihren Aussagen und Handlungen, ausgestattet offenbar mit Einfallsreichtum und Talent, aber auch mit Selbstzweifeln und Selbstgerechtigkeit, klar positioniert als Feministin, aber auch angefressen von pseudo-objektiven Qualitätsmaßstäben („Ich will für das, was ich mache anerkannt werden, nicht für...“), Lesbe in fester Beziehung, aber immer mit einem Auge für die schönen Frauen am Pool oder alte Lieben in der Bar.

Die Beziehung Isabels zu David, dem verheirateten Familienvater, Teilzeit-Chauvi und Pseudo-Frauen-Versteher, dem desorganisierten Produzenten und Möchtegern-Geschäftemacher steht daher im Mittelpunkt des Films. Und das ist auch gut so, gerade weil und obwohl sich jede Zuschauerin mehrfach fragt, warum Isabel David nicht einfach den Laufpass gibt. David ist so ein Neu-Macho mit Sanftmut-Gestus, fürsorglich gelegentlich und nicht ganz unzugänglich für Selbstreflexion. Wenn Isabel fröstelt, legt er ihr seine Weste über die Schulter, aber er schlüpft auch ganz brav unter ihren Regenschirm, den sie ihm wütend über den Kopf stößt, wenn´s regnet. Wie viele Männer kapiert er nix, wenn es darum geht, die Welt mal nicht vom Menschen-Mann-Standpunkt aus zu betrachten. Als ihm Isabel die Story ihres neuesten ‚Filmprojektes erzählen will, in dessen Zentrum zwei Schwestern stehen sollen, sagt er: „Ah, ein Buddy-Movie.“ David übersetzt sich, was Frauen ihm erzählen, immer gleich bruchlos in sein Männer-Universum. Dass in Cannes so viel mehr Filme von Männern und keine von Frauen gezeigt werden oder männliche Regisseure so viel leichter an Geld kommen als weibliche, erklärt er sich damit, dass „Männer ja schon viel länger Geschichten erzählen.“ Es ist halt so, wie es ist und das ist gar nicht so schlecht für heterosexuelle Männer wie David und deshalb ist es auch gut, wenn es so bleibt, denn schließlich geht es ja um die Qualität und nicht ums Geschlecht oder die sexuelle Orientierung, oder etwa nicht? Und obwohl Isabel sauer ist, weil David ihr mit seinen dummen Sprüchen das Interview vermasselt, ist sie eben auch nicht ganz frei davon, um Anerkennung in eben jenem Milieu zu buhlen, das den heterosexuellen männlichen Blick auf die Welt (und „die Frauen, die Frauen“) als Norm begreift. Dabei begegnen Isabel in Cannes vor allem Frauen aus der Branche (einer Journalistin und einer Arte-Redakteurin), wahrscheinlich weil sich, wenn überhaupt, nur Frauen für die Geschichten einer junge Regisseurin interessieren, die nicht heterosexuell ist. Es ist eben nicht egal, weder für die Geschichten, die eine erzählen will und kann, noch für die Rezeption dieser Geschichten, wer jemand ist und wie sie liebt und lebt. Sogar Männer können in Filmen, die nicht von Männern gemacht werden, ganz anders aussehen als man sie kennt oder dadurch sogar erst mal kenntlich werden. David kommt dabei nicht gut weg, scheint es, fast als Parodie auf jeden x-beliebigen Chauvi-Typen, aber wer eine Frau ist, weiß, dass die Figur des David praktisch kaum überzeichnet ist, die hat genau diese Texte und Verhaltensweisen schon x-mal (und von durchaus "netten" Zeitgenossen) gehört.


Warum schickt sie ihn also nicht zum Teufel, den „Penis“, der beleidigt ist, wenn das schöne It-Girl am Pool zum Abschied Isabel küsst und nicht ihn, der total ausflippt, als Isabel und ihre Ex-Freundin Viola (gespielt von Eva Bay) sich vor seinen Augen im engen Hotelzimmer wieder näher kommen und leidenschaftlich küssen? Sie will wissen, ob er an sie glaubt und sie glaubt ihm nicht, als er sagt, dass er die Zusammenarbeit mit ihr fortsetzen will. Sie glaubt, dass er sie braucht. Nach seinem Ausraster wird er plötzlich ganz still und antwortet auf die Frage: „Warum?“ „Ich weiß es nicht.“ Am Ende des Films fahren sie mit dem Boot raus Isabel, Viola und David. Und lachen sich schlapp. Es ist ja auch der beste Witz: „Isabel Šuba und David Wendland machen zusammen einen Film.“ Die Feministin und der Chauvi. Die Lesbe und der Hetero-Sexist. Die Kratzbürste und der Fürsorgliche. Die Freiliebende und der Familienvater. Die Rebellion und die Angepasstheit. Sie sind natürlich mehr als Gegensatzpaare. Komplexer, ambivalenter und schwieriger. Der Film zeigt das. Auch dass es keine Alternative zum Experimentieren, zur Unsicherheit und zum Unausgewogenen gibt. Filmen ist ein Business. Und ein Statement, vielleicht. Und noch was anderes. Harmonisch wird das nicht. Lustig. Und schwer. Als Frau. Und sowieso.

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Den Film habe ich gestern Abend im Offenbacher Hafen2 gesehen. 
Über Aufführungstermine in Kinos wird auf der Homepage zum Film informiert:
Inzwischen ist auch die DVD auf dem Markt: Hier , Euro 16,99

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