Bild. Ton. Schauspiel. Schnitt.
Die Elemente des filmischen Erzählens. Dass der Film eine epische Kunstform ist, inzwischen eine traditionelle, weiß jede/r. Die Tradition des filmischen Erzählens verdankt dem deutschen Kino des frühen 20. Jahrhunderts viel: die expressionistischen Experimente mit Licht und Schatten (Wegners "Der Student von Prag", 1913 oder später Murnaus "Nosferatu", 1922), die die Horrorfilm-Ästhetik bis heute prägen, die Slapstick-Einlagen und den Witz rhythmisch gesetzter Schnitte schon in Ernst Lubitschs frühen Komödien-Zweiaktern, Georg Wilhelm Pabsts sozialkritische Gesellschaftspanoramen ("Die freudlose Gasse", 1925), Fritz Langs monumentale Entwürfe ("Die Nibelungen", 1924 und schließlich "Metropolis", 1927), Lotte Reinigers faszinierende Animationsfilme ("Die Abenteuer des Prinzen Ahmed", 1926), die bis heute nichts von ihrem Zauber verloren haben.
Diese Auswahl ist willkürlich. (Ich nenne Filme, die ich gesehen habe.) Von dem Aderlass des deutschen Films in den Jahren nach der Machtübernahme der Nazis 1933, die nicht weniger als 1500 Filmschaffende ins Exil trieb, hat sich indes der deutsche Film nie wieder ganz erholt. Hinzu kommt, dass in Deutschland das Bewusstsein für den Film als Kunst behindert wurde durch die auch nach 1945 vom Kultur-Establishment gepflegte Trennung von E- und U-Kultur. Der Film wurde von den meisten Vertretern desselben der U-Kultur zugeschlagen, gegen die mit anti-amerikanischem Unterton von konservativen wie linken Vertretern des Kulturmilieus polemisiert wurde. (Stichwort: "Kulturindustrie").
Vor diesem Hintergrund ist die Arbeit des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt, das 1984 von Walter Schobert als erstem Direktor eröffnet wurde, zu verstehen. Die Seminare Walter Schoberts, in denen er mit Leidenschaft und vielen Filmbeispielen erklärte, waren mein Einstieg in die Filmkultur (unvergessen ein wunderbares, lustig-trauriges zu Buster Keatons großartigen Stummfilmen). Im Deutschen Filmmuseum und im ihm angeschlossenen Kino stellt man sich seit nun mehr über dreißig Jahren der Aufgabe, das kulturelle filmische Erbe würdigen: Dass der Film eine epische Kunstform ist, inzwischen eine traditionelle, weiß nämlich jede/r.
Seit 2006 ist Claudia Dillmann Direktorin des Filmmuseums. Unter ihrer Leitung wurde das Haus umgebaut und für die Dauerausstellung eine neue Konzeption erarbeitet, die 2011 erstmals den Besuchern offen stand. Neben der Vermittlung der Geschichte des Films wurde der Fokus nun stärker auch auf die erzählerischen Mittel des Films gesetzt, die dem Publikum durch Film-Beispiele und interaktive Elemente (Tonexperimente, Greenscreen etc.) näher gebracht werden. Unter Claudia Dillmanns Ägide hat das Deutsche Filmmuseum zudem eine Reihe überaus erfolgreicher Sonderausstellungen realisiert, darunter die legendäre Stanley-Kubrick-Ausstellung, die seit Jahren durch die Welt tourt und weit über eine Million Besucherinnen und Besucher erreicht hat. Zugleich bietet das Kino des Deutschen Filminstituts im Untergeschoss nicht nur dem neuen deutschen Film eine Plattform, sondern ermöglicht auch immer wieder Filmreihen, die das Gesamtwerk einzelner Regisseurinnen und Regisseure oder bestimmte thematische oder formale Aspekte der Filmgeschichte in den Fokus rücken (Morel schreibt in diesem Blog gelegentlich unter dem Titel "Spätvorstellung" zu diesen Reihen). Besonders erwähnen möchte ich die Reihe "Lecture and Film", die in Zusammenarbeit mit der Universität Frankfurt durchgeführt wird. Im Rahmen dieser Reihe war beispielsweise zuletzt Agnés Varda in Frankfurt zu Gast und gab erhellende Einblicke in ihr langjähriges filmisches Schaffen.
Am 14. Juli 2016 feierte das Deutsche Filmmuseum nach 5 Jahren die Eröffnung des "neuen" Filmmuseums und konnte dabei gleich mit einem neuen Highlight aufwarten. Im zweiten Stock des Hauses wurde der "Filmraum", eine vierteilige Leinwand-Installation völlig neu inszeniert. Unter den Überschriften "Bild", "Ton", "Schauspiel", "Schnitt" hat Medienkurator Michael Kinzer ein "Bewegtbildexponat" geschaffen, das selber filmische Kunst ist. Auf vier Leinwänden werden die Betrachterinnen und Betrachter über insgesamt eine Stunde im vergleichenden Sehen und Hören geschult. Über 200 Filmausschnitte aus 100 Jahren Filmgeschichte zeigen, wie Licht und Schatten, Farbspiele, Schnittfolgen, Tonspuren unsere Wahrnehmung gestalten. Dabei setzt Kinzer auf Ähnlichkeiten, Wiedererkennen, Erinnerungen, Kontraste. "Spiel mir das Lied vom Tod" wird in seine einzelnen Schnitte zerlegt, Meryl Streep und Dustin Hoffmann sind gleichzeitig in unterschiedlichsten Rollen zu sehen, auf vier Leinwänden wird zeitgleich ein Streichholz entzündet, dieselbe Musik begleitet Filmausschnitte aus vier auch zeitlich weit auseinander liegenden Filmen. Kinzers Installation kommt dabei nicht plump didaktisch daher. Wir verstehen, wie "es" gemacht wird und können uns doch gleichzeitig der Magie nicht entziehen, manchmal lachen wir über unsere (Selbst-)Überlistung, manchmal sind wir schockiert über unsere Fehlwahrnehmungen. Wir reflektieren unsere Seh- und Hörerfahrungen und machen zugleich ganz neue. Die Installation erzählt eine Geschichte des Films, falsch, sie ermöglicht es, uns selbst verschiedene Geschichten des Films zu erzählen. Man muss diese Installation nicht in Gänze "am Stück" sehen, man kann es aber - und es wird nicht langweilig. Schöner noch: Es lohnt sich, dem Spiel der Bilder, Töne, Schnitte, Schauspieler mehrfach zu folgen, denn die Geschichte des Films, die eine sich hier erzählen kann, wird sich ändern: neue Assoziationen, Erinnerungen, Entdeckungen.
Dass der Film eine epische Kunstform ist, inzwischen eine traditionelle, weiß nämlich jede/r. Schön, dass diese Kunstform gepflegt, ihre Geschichte und Tradition in Frankfurt vermittelt wird. Weniger schön, dass in Deutschland für die dringende Digitalisierung des filmischen Erbes seit Jahren nicht genügend Geld bereitgestellt wird. Wenn es nicht jetzt geschieht, gehen unschätzbare Kulturgüter für immer verloren. Die Zeiten, in denen das filmische Erbe vom Kulturestablishment nicht als Kunstform anerkannt wurde, sollten endgültig vorbei sein. Doch sie werfen, was die Finanzierung angeht, offenbar noch ihre Schatten.
Besuchen Sie die Dauerausstellung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt und lassen Sie sich von der "Bewegtbild"-Installation im 2. Stock faszinieren und berühren!
Deutsches Filmmuseum/Deutsches Filminstitut in Frankfurt am Main (Öffnungszeiten etc.: hier).
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