Donnerstag, 10. Oktober 2019

HANNAH RYGGEN in der Schirn in Frankfurt: MEHR ALS "GEWEBTE MANIFESTE"

Ausstellungskatalog


Die Ausstellung der Wandteppiche der norwegischen Künstlerin Hannah Ryggen (1894-1970)  in der Frankfurter Schirn unter dem Titel „Gewebte Manifeste“ beeindruckt gerade dadurch, dass Ryggens Teppiche eben nicht nur sind, was der Ausstellungstitel behauptet. 


Hannah Ryggens Wandteppiche greifen zu ihrer Zeit aktuelle politische Ereignisse und Situationen auf und bewerten sie aus einer eindeutigen, kommunistischen Weltanschauung. Mit 72 Jahren, 1966, webte sie „Blut im Gras“, einen Teppich, auf dem sich rechts ein blutrotes Gitter durch grüne „Gras“-Wolle zieht und links auf lilafarbenem Hintergrund der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson mit Cowboy-Hut und Hund steht. Darunter hat sie den Titel „Blut im Gras“ eingewebt. Aber Ryggens Teppich besticht eben nicht, weil er bloß ihre Haltung zum Vietnam-Krieg illustriert, die sie in einem Brief festgehalten hat: „Die Armen sollen mit Geld, Blut und Tränen zahlen. Ich kann diesen miserablen Präsidenten in Lincolns Land der Freiheit nicht begreifen. Aber die meisten hier stehen auf seiner Seite, weil sie glauben, dass die USA sie vor dem Kommunismus schützen. Ja- die Welt ist nicht besser geworden als früher.“

Neben jedem der großformatigen Wandteppiche Ryggens ist eine Texttafel angebracht, die Aufschluss über den politischen oder sozialen Hintergrund der im Teppich gezeigten Inhalte gibt. Ryggens Haltung ist immer klar und eindeutig: gegen Kolonialismus und Faschismus, für Sozialismus und Kommunismus, gegen Krieg, für Frieden. Sie bezieht sich auf die Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 30er Jahre („Fischen im Schuldenmeer“ 1933), Carl von Ossietzkys Tod in Haft („Tod der Träume“ 1936), setzt der deutschen Widerstandkämpferin Liselotte Hermann ein Denkmal („Liselotte Hermann enthauptet“ 1938) oder bezeugt die Inhaftierung ihres Ehemanns Hans Ryggen durch die Nationalsozialisten 1944 („Grini“ 1945). Ihre aufrechte Haltung verdient Respekt. Aber ihre Kunst geht nicht in dieser auf und die Wirkung der Wandteppiche von Hannah Ryggen überschreitet bei weitem diejenige eines zeitgebunden politischen Manifestes. 

Mich, die 1965 geborene, würden „Manifeste“ einer aufrechten Frau aus Norwegen bestenfalls historisch interessieren; Manifest gewordenen Kunstwerke hingegen, die bloß eine politische Haltung illustrierten, gar nicht. Hannah Ryggen mag ihre Werke auch als Manifeste verstanden und eingesetzt haben, spannender ist jedoch, dass und wie ihre politischen Überzeugungen sich in ihren künstlerischen und ästhetischen Entscheidungen zeigen; wie es ihr gelang, eine Form zu finden, durch die zeitgebundene Positionen in überzeitlich gültige übersetzt werden konnten. 

Um sich die „Inhalte“ der in Frankfurt ausgestellten Werke zu erschließen, muss die Betrachterin immer ganz dicht herantreten an die Texttafeln oder über die Audio-Features auf dem Handy abhören, was dargestellt ist. Sonst würde sie selten den historischen Hintergrund verstehen, allenfalls Churchill vielleicht erkennen auf „6. Oktober 1942“ (1943), eher nicht jedoch zum Beispiel Adenauer auf „Jul Kalve“ (1956), das gegen den Beitritt Norwegens zur NATO Stellung bezieht. Wenn die Betrachterin allerdings zurücktritt, um die Wandteppiche im Ganzen zu betrachten, dann wirken sie auch unabhängig von all diesem Hintergrundwissen. 

Diese Wirkung wird vor allem erzielt durch den Einsatz der Wollfarben. Die Beschäftigung mit der Herstellung der Wolle und ihrer Einfärbung nahm einen großen Teil des künstlerischen Schaffens Hannah Ryggens ein. Sie verwendete Wolle, die in der Region hergestellt wurde, in der sehr mit ihrem Mann und ihrer Tochter auf einem einsamen Hof lebte. Sie färbte diese Wolle selbst mit natürlichen Färbemitteln, die sie aus Pflanzen und Flechten herstellte, die sie sammelte. Männerurin war eine wichtige Basis ihrer Färberezepturen. Die Farben, die sie auf diese Weise herstellte, leuchten auf besondere Weise. Berühmt wurde ihr Blau, das „Pottblau“ oder „Pisseblau“, das so stark und vielfältig in vielen Teppichen hervorsticht oder Hintergründe bildet. 

Den Webstuhl, den sie verwendete, hatte ihr Mann Hans gebaut. Sie brachte sich das Weben selbst bei. Obwohl sie jahrelang Malstunden genommen hatte und über große technische Fertigkeiten verfügte, entschied sie sich bewusst für das Weben als Ausdrucksform. Sie verband mit ihrer Kunst das traditionelle (weibliche) Handwerk mit ihrem Wissen über kunsthistorische Ikonographie und die Entwicklungen der modernen Malerei. Das gewebte Bild bleibt dabei in einer anderen Weise „flächig“ als das gemalte Bild. Es wird aus Farbfeldern aufgebaut. Die Kette aus Leinen bildet den Untergrund auf dem die Wolle mit ihrer „Textur“ Formen bildet. Diese Formen sind zunächst schlicht, erinnern an naive Malerei und Volkskunst und beziehen sich ikonographisch und im Großformat dann doch auf die Traditionen der europäischen Malerei, auch christliche. Die Widerstandskämpferin Liselotte Hartmann hält ihr Kind wie eine „Maria mit dem Kinde“. 

Zugleich hebt diese Form des Wandteppiches, der häufig mit ornamentalen Bordüren verziert ist und traditionelle Webmuster verwendet, die Trennung zwischen Kunsthandwerk und „autonomer Kunst“, die das moderne Kunstverständnis bestimmt, auf. Sie besteht darauf, dass Kunst und Kunstproduktion nicht aus einem Gebrauchskontext herausgerissen werden sollen, dass das Kunstwerk im Dienst der Gesellschaft entsteht und ihr gehört. Hannah Ryggen hat konsequenter Weise daher ihre Werke nicht an private Sammler verkauft, sondern ausschließlich an öffentliche Einrichtungen. 
 

Mutterherz (1947)

Auch die Rolle der Frauen in der Gesellschaft steht dabei immer wieder im Zentrum von Hannah Ryggens Darstellungen: die Frau als Trophäe des wohlhabenden bürgerlichen Mannes, die aus ihrer Schönheit Macht bezieht und sich zugleich zur Ware degradiert in „Das goldene Lamm“ (1935), die alleinstehende Mutter an der Nähmaschine, die arbeitet und gleichzeitig liebevoll sich ihrem Kind zuwendet in „Unverheiratete Mutter“ (1937), die nackte, blaue Frau, die einen Soldaten zurück in seine Heimat führt in „Der Gebrauch der Hände“ (1949), die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern in „Mutterherz“ (1947).

Zu ihren Lebzeiten war Hannah Ryggen eine bekannte Künstlerin; sie vertrat Norwegen bei der Biennale in Venedig. Nach ihrem Tod geschah, was weiblichen Künstlerinnen und ihrem Werk nur zu häufig geschieht: Sie geriet in Vergessenheit. In ihrem Fall wird als Ursache dafür auch genannt, das sie Webarbeiten schuf, die als Kunsthandwerk galten und schon deshalb nicht Eingang in den Kunstkanon fanden. Erst jetzt wird sie nach und nach „wiederentdeckt“, wie es dann immer so heißt. 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen