Donnerstag, 1. Juli 2021

Die Schande von Afghanistan - Wir lassen die Helferinnen und Helfer der Bundeswehr ungeschützt zurück

Die Bundeswehr ist raus aus Afghanistan. Das letzte Transportflugzeug hat Masar-i-Sharif verlassen. Vor den Toren der Stadt stehen die Taliban. Im Norden Afghanistan rücken die radikalen Islamisten von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt vor. 

Die Twitter-Blase:schweigt. Schweigt dröhnend. Nichts zu hören von den allzeit Empörten, den Seenotrettern, den Seebrücke-Bauern, den RefugeesWelcome-Verzückten. Nichts. Nichts. Nichts. 

Die Bundeswehr, ob wir als je einzelne diesem Einsatz zugestimmt haben oder nicht, war in unserem Auftrag in Afghanistan. Im Auftrag des deutschen Volkes, entsandt als Parlamentsarmee. In unserem Auftrag hat sie afghanische Männer und Frauen rekrutiert, um sie bei ihren Einsätzen zu unterstützen, als Lotsen, als Übersetzerinnen, als Ingenieurinnen, als Ärzte, als Pflegerinnen, als Verwaltungsangestellte. Alle diese Menschen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, und ihre Familie müssen jetzt um ihr Leben fürchten. Können nachts nicht schlafen aus Angst vor der Rache der Taliban. 

An Bord der letzten Flieger waren keine Afghaninnen und Afghanen. Das Bundesaußenministerium verspricht Visa. Wann? In der Bundesrepublik schämt man sich offensichtlich nicht, diese Frauen und Männer und ihre Familien zurückzulassen. Man spricht nicht einmal über diese bodenlose Verantwortungslosigkeit. Dass wir diese Menschen und ihre Familien nicht mit ausgeflogen haben, ist ein Verbrechen. Eines aber, das hier auf kaum einer Seele zu lasten scheint. 

Dieses Schweigen dröhnt. Und schmerzt. 

Zugleich bestätigt es mich in der Wahrnehmung, dass die grenzenlose Ausdehnung der Verantwortung von allen für alle letztlich in die Verantwortungslosigkeit führt. Man nimmt sich als verantwortlich wahr, wo es genehm ist, d.h. wo es moralische Distinkionsgewinne gegenüber politischen Gegnern einzustreichen gilt: Ertrinkende im Mittelmeer - unbedingt, Verdurstende in der Sahel-Zone - ein wenig, Bürgerkriegs-Tote in Syrien - etwas, Bürgerkriegs-Tote im Jemen - fast gar nicht. Und so fort. Die völlig überdehnte Verantwortungsbehauptung ermöglicht es, sich moralisch überlegen zu fühlen und gleichzeitig nie in die Pflicht genommen zu werden. Man hilft, wenn man will, und klagt an, wen man will, aber es gibt keine Zuständigkeiten.

Für die Helferinnen und Helfer der Bundeswehr in Afghanistan aber sind wir zuständig. Diese aus der Gefahr, in die wir sie gebracht haben, zu retten, wäre keine Bonus-Tat, für die man sich selbst belobigen könnte. Es wäre schlicht unsere Pflicht. 

Aber Pflichten anerkennen wir nicht. 

Die Schande von Afghanistan - sie wird auf uns als Gesellschaft lasten. 

Manche Soldatin, mancher Soldat wird in den kommenden Monaten und Jahren erfahren, dass ihre treuen afghanischen Kameradinnen und Kameraden gefoltert und getötet wurden. Auch mit diesem Trauma, da muss man keine Hellseherin sein,  werden wir als Gesellschaft sie allein lassen. 

Unser Außenminister (- oder -ministerin, falls es dann eine Frau sein wird), wird sicher ihrer "Besorgnis" Ausdruck verleihen, wenn der Vormarsch der Taliban weitergeht. Vielleicht werden auch einige wenige rechtzeitig in den Genuss der "großzügigen" Visa kommen. 

Aber: Ein Aufschrei wird ausbleiben. Keine Empörung, nirgends. Frau Emcke wird keine Rede halten, wetten? 



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