Montag, 20. Dezember 2010

PUNK PYGMALION (8): Achtung!

Fortsetzung des Briefromans "Punk Pygmalion" (Teil 1-7:hier )

Was bisher geschah
Die 17jährige Emmi und der fünf Jahre ältere Ansgar treffen sich 1983 in Berlin. Eine leidenschaftliche Brief-Romanze beginnt. Doch die Beziehung scheitert offenbar. Mehr als 20 Jahre hören sie nichts voneinander. Im Oktober 2010 erzählt Emmi einer Freundin, der Betreiberin dieses Blogs, sie habe wieder Kontakt zu Ansgar und wolle ihn Anfang Dezember treffen. Sie schlägt vor, die Briefe, die Ansgar ihr in den 80er Jahren schrieb, im Blog unter dem Titel PUNK PYGMALION zu veröffentlichen. Die Lektüre der Briefe beunruhigt die Blog-Betreiberin, die sich auch an die Verstörung Emmis nach der Rückkehr aus Berlin 1983 erinnert. Waren die Rohheit, von der Emmi gesprochen hatte, und die Schuldgefühle, die Ansgar in den Briefen bekannte, Belege dafür, dass Ansgar Emmi vergewaltigt hatte? (hier:)

* * * 

Die vergangenen Tage fühlte ich mich sehr unbehaglich. Dass ich Emmi öffentlich nach dem Geschehen in Berlin gefragt, dass ich das Wort „Vergewaltigung“ benutzt und sie so unter Druck gesetzt hatte, schien mir unverschämt und unnötig. Welches Recht maßte ich mir an? Mit dem Wort verwandelte ich Emmi in ein Opfer und Ansgar in einen Täter, ohne im mindesten zu wissen, was sie beide empfanden. Ansgar antwortete wenige Stunden, nachdem ich den Post frei geschaltet hatte. Von Emmi dagegen hörte ich nichts. Sollte ich Ansgars Version veröffentlichen, ohne Emmis zu kennen? Ich blieb unentschlossen, bis gestern Nacht Emmis Mail eintraf. 

Ich stelle hier beide ein:

A. an M.B. , 17.12.2010, 18.45 Uhr

Liebe M.!

Ich bin kein Vergewaltiger! Es drängt mich, Ihnen das – auch öffentlich (also, bitte: Veröffentlichen Sie diese Mail) – zu versichern (Ich schreibe „Sie“, denn wir sind uns nur einmal vor mehr als 20 Jahren begegnet). Zwar ist mein Name nicht Ansgar und folglich kann er auch durch Ihren Brief-Roman nicht „in den Dreck gezogen“ werden, doch fühle ich mich diesem Ansgar, der meine Worte benutzt und meine Gefühle ausdrückt, zu tief verbunden, um zu schweigen.

Ich weiß nicht, ob Emmi (die ja gleichfalls nicht Emmi heißt) Ihnen antworten wird und – falls sie es tut – Ihnen erlauben wird, diese Antwort in Ihr Blog einzustellen.  Auch habe ich nicht mit ihr über dieses Thema gesprochen. Selbst wenn das in Ihren Ohren (oder denen Ihrer Leser) chauvinistisch klingen mag: Ich mache mit der Frau, die ich liebe, lieber Sex, als über Sex zu reden. Anyway – Sie schreiben, dass aus meinen Briefen ein schlechtes Gewissen spreche. Das stimmt. Doch bezog es sich nicht auf jene erste leidenschaftliche Umarmung und das, was ihr folgte. Ich glaube auch nicht, dass Emmi andeuten wollte, ich hätte ihr bei dieser Begegnung Gewalt angetan. Es war spontan. Sie hatte, wenn Sie so wollen, den passiven Part (bis zu einem gewissen Punkt).  Aber sie sagte: „Ja.“ (wie ich auch schrieb) und hätte sie „Nein“ gesagt, hätte ich sie sofort gehen lassen. Man könnte allenfalls die Art, wie ich sie berührte, als Übergriff werten. Doch ich tat ihr keine Gewalt. Gewalttätig wurde ich bei unserem Abschied. Das tat mir schon im Zug leid und ich schämte mich sehr dafür. Dennoch änderte die Scham nichts daran, wie ich für Emmi fühlte und eben das hatte die Gewalt ausgelöst. Emmi wollte ich besitzen.  Der Gedanke, dass sie ohne mich existieren könne, machte mich fast wahnsinnig. (Auch in dieser Hinsicht ist der Titel „Punk Pygmalion“ angemessen.) Am Bahnhof versuchte ich sie zu überreden, mit mir nach Kopenhagen zu fahren. Schließlich stieg sie in den Zug, um mich noch einmal zu küssen und ich versuchte mit meiner ganzen körperlichen Überlegenheit, sie festzuhalten. Sie musste mich schlagen, um sich zu befreien und im letzten Moment  auszusteigen.

Es ist – ich verstehe das heute – falsch,  sich einen anderen Menschen so aneignen zu wollen. Ich hielt es für Liebe. Und das war es auch. Noch immer sind meine Gefühle für Emmi sehr heftig. Doch hoffe ich, es diesmal besser zu machen.

Viele Grüße
A(nsgar)


E(mmi) an M.B.,  19. 12. 2010, 23.55 Uhr

Liebe M..

was du geschrieben hast, hat mich sehr verletzt, verstört, zornig gemacht. Wie konntest du annehmen, ich ließe mich vergewaltigen und himmelte hinterher den Vergewaltiger noch an? Hast du das wirklich all die Jahre für möglich gehalten? Meine erste Reaktion war Wut. Ich dachte, das zeige unmissverständlich, wie wenig du mich achtest.

Dann begann ich nachzudenken. Du schriebst, du seiest durch die Berichterstattung über die Anschuldigungen gegen Julian Assange wieder an diese Geschichte erinnert worden. Ich glaube, soweit ich aus dem Netz Details des „Falls“ kenne, dass es keine Parallelen gibt zu dem, was zwischen Ansgar und mir war. Allenfalls diese Überlegung: Die Konstruktion vom „gegenseitigen Einverständnis“ ist  richtig und wichtig, gerade wenn es um Sexualität geht, aber es wird immer sehr schwierig sein,  zu definieren, wo Einverständnis oder Ablehnung beginnen. Denn, darin - hoffe ich - wirst du mir zustimmen: Man kann und will das in einer konkreten Situation nicht „verhandeln“. Es ergibt sich. Man verlässt sich auf missverständliche Signale, auf Gesten, Worte, Geräusche. Zwischen Ansgar und mir gab es kein Missverstehen. Ich nahm hin und auf. Vielleicht wäre, was er tat, für dich zu rau, zu heftig gewesen. Mir gefiel es.  Es war überwältigend, ja, und es erschütterte mich. Das muss sehr deutlich zu spüren gewesen sein, als ich heimkam. Aber ich war nicht erschüttert, weil ich Opfer einer Vergewaltigung geworden war. Ich hatte vielmehr etwas erfahren, was mich für immer prägte: Ich wusste nun, dass ich es als lustvoll empfand, mich auszuliefern. Du irrst Dich aber, wenn du glaubst, daraus ginge zwangsläufig ein Ungleichgewicht zu meinen Ungunsten hervor. Es stimmt: Ich wollte ihm ganz gehören, wollte ihn ganz in mich aufnehmen (nicht nur sexuell). Aber so sehr ich das wollte, so sehr wollte er, dass ich ihn ausfülle. Wir haben Grenzen überschritten dabei, beide, die möglicherweise besser gewahrt blieben. Doch nie zuvor und nie danach habe ich so heftig geliebt, mich so gesehnt, so sehr begehrt. Dass wir scheiterten, glaube ich, hat einen Schatten auf alle Beziehungen geworfen, die folgten. Darin sehe ich auch eine Ursache für den Schmerz, den ich, so lange ich lebe, fühlen werde: kein eigenes Kind zu haben. 

Vielleicht hast Du Recht und ich suchte in der Tat eine Komplizin. Jedoch nicht eine, um mich (wieder?) vergewaltigen zu lassen (Meintest du das wirklich?), sondern eine, die die Geschichte umschreibt, auf ein anderes Ende und einen neuen Anfang hin. Ich bin immer noch etwas gekränkt durch deine Unterstellung. Aber ich versuche zu begreifen, wie du mich wahrgenommen und wie du die Briefe gelesen hast. Mach weiter! Schreib mir ein Happy End. Diesmal.

Emmi

PS. Noch einmal zum „Fall Assange“. So wenig wie du weiß ich, was da tatsächlich geschah. Doch mir ist klar geworden: Wir Frauen können nicht ernsthaft wünschen, dass der Begriff der Vergewaltigung zu weit ausgedehnt wird. Wir müssen in der Lage sein, selbstbestimmt deutlich „Nein“ zu sagen oder körperlich eindeutig zurückzuweisen. Wer nicht will, muss unmissverständliche Signale setzen. Wenn wir uns hier für unfähig erklären, entmündigen wir uns selbst.

Ich las das und schämte mich. Für den Mangel an Achtung, den ich Emmi entgegen gebracht hatte (denn das stimmt). Hatte ich wirklich gedacht, sie brauche mich als Zeugin für ein neuerliches Bündnis mit einem Vergewaltiger? Ihre Hinweise sind wichtig: Es ging und geht mir gar nicht ausschließlich um die sexuelle Überwältigung, Was mich noch immer zutiefst beunruhigt ist die Unbedingtheit, mit der Emmi ihre Gedanken und Gefühle Ansgar auslieferte, sich von ihm formen ließ. Noch habe ich mich durch den Briefstapel nicht bis zum Ende durchgelesen, noch weiß ich nicht, woran sie scheiterten. Kein Versprechen daher, Emmi. Ich weiß nicht, ob ich ein Happy End zustande bringe.

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2 Kommentare:

  1. Das wird ja immer spannender! Weiter!
    Bitte, bitte!
    Das "Personal" ist hinreissend und die zwei Ebenen "alte Briefe" und "neue Emails", da kann man doch noch alles draus machen.
    Ich habe mal einen alten, ca. dreißig Jahre alten Brief einer damaligen Freundin aus Aix-en-Provence wiedergefunden, in die ich mal schrecklich verliebt war. Gefühle konservieren in keinem Medium besser als in Briefen. Choderlos de Laclos lässt grüßen.

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  2. Danke. Die Schwierigkeit bei dieser Art der Veröffentlichung ist ja, dass die Geschichte entsteht, während Teile schon gelesen werden können. Zwar hat ICH (die Autorin) eine Idee, wie es ausgehen könnte. Doch die Erfahrung zeigt: Es kommt immer anders. Das "Personal" ist eben zu unzuverlässig. ;-)

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