Montag, 17. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (4): DIE PASSION BEGINNT

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 4)

Nach der Verhaftung (Blatt 3) beginnt die Passion der modernen Maria.  Sie ist nun im Gefängnis in Bridewell. Mary steht, von anderen Häftlingen geschieden, im Vordergrund auf einem Podest. Immer noch ist sie vornehm gekleidet und versucht auf diese Weise ein wenig Eindruck auf die strengen Wächter zu machen. Hinter ihr ist ein Mann ins Holz geschlagen, über ihm die zynische Aufschrift: „Better to work than Stand thus.“  Der Gepeinigte am Pranger und ein bedauernswerter Spieler sind die einzigen männlichen Gefangenen. Ansonsten hat es nur Frauen und Mädchen hierher ins Arbeitsgefängnis verschlagen. Im Vordergrund erkennt man auch Marys Dienerin aus dem dritten Blatt wieder, die versucht einen der Wächter durch die Präsentation ihres Beines zu reizen.


Die Wahl zwischen dem rechten und dem schlechten Lebensweg, die Mary auf dem ersten Blatt nur vorgespiegelt wurde, war das große Thema des britischen Protestantismus von Milton bis Locke. Hogarth setzt an die Stelle eines männlichen Helden eine Frau und kommentiert auch durch diesen Geschlechterwechsel die propagierte Ideologie, die Arbeit und Vergnügen, Verantwortung und Lebenslust so scharf voneinander scheidet. Nur an der Oberfläche nämlich wird die Bestrafung Marys als gerechte Folge ihrer moralischen Verworfenheit dargestellt. Tatsächlich wird  gezeigt, wie (männliche) Prinzipien(reiter) die Hilflosigkeit der weiblichen Heldin ausnutzen.

Der Austausch des mutigen Helden gegen eine Frau ist ein typisches Phänomen in der Kunst und Literatur des  18. Jahrhundert in England: Daniel Defoe´s Moll Flanders oder Richardsons Pamela und Clarissa. Die weibliche Heldin, in der sich die männlichen Autoren selbst darstellten, verkörperte den Wechsel von einem aristokratischen zu einem bürgerlichen Ethos, an dessen Durchsetzung sie arbeiteten. Die Themen von Kunst und Literatur in der bürgerlichen Epoche sind nicht mehr Krieg und Verrat , sondern Liebe und Leidenschaft.  Zum Vorbild der durch männliche Autoren gestalteten weiblichen Heldinnen wurde langfristig aber weniger die amouröse Moll als die um ihre Unberührtheit ringende Pamela.  Männliche Autoren imaginierten sich ein weibliches Ideal, dem die Werte bürgerlicher Moral als Natur eingeschrieben waren: Bescheidenheit, Selbstlosigkeit und Keuschheit.

Auch der Maler Hogarth identifiziert sich und sein künstlerisches Schaffen mit seiner weiblichen Heldin. Wie sie, die Prostituierte, muss er seine Arbeit als Ware auf einem Markt  zum Kauf anbieten, der zugleich Warenförmigkeit fordert und brandmarkt. Wie sie versucht er mitzuspielen, um Arbeit und Vergnügen zu verbinden und wie sie wird er daran scheitern. Die Werte, die er in der Gestalt seiner Mutter Maria (denn sehen Sie hin: Mary ist schwanger), verkörpert sind eben nicht die der bürgerlichen Moralapostel. Sie, deren Körper sich schon auf dem ersten Blatt die Bordellbetreiberin Needham und der Freier Charteris anzueignen suchen, bemächtigt sich selbst dieses Körpers, versetzt ihn in Schwingungen, bewegt sich mit ihm wie Eva mit der Schlange, deren geschwungene Linie Hogarths Ausdruck der Schönheit war.

Hogarth´s Mary ist (noch) eine aktive Eva, die aus ihrem Paradies (Blatt 2), in dem sie keck ihr Füßchen aufsetzte und lustvoll spielte, vertrieben wurde. Doch nicht von Gottes Hand, sondern durch die des selbstgerechten Richter Gonson, der auf der Rückwand des Gefängnisses von Kinderhand karikiert ist. Dieser Maria wurde am Anfang nicht verkündet, dass der Allmächtige das Unmögliche möglich machen kann, sondern durch Mother Needham, was für eine wie sie unter den gegebenen Umständen möglich ist. Ihr begegnete nicht wie Maria Magdalena Jesus, der ihr vergab, sondern Gonson, der das Gesetz an ihr vollstreckte. Sie wird nicht gen Himmel fahren, sondern in den Sarg versenkt werden. Aber Hogarth immerhin hat sie nicht als  passive Dulderin dargestellt, sondern als eine, die, solange es geht, gegen ihre Vernichtung anspielt.

Auf diesem Blatt, das ihre Passion einleitet und das zahlreiche ikonographische und inhaltliche Anspielungen auf Kreuzigungsdarstellungen enthält (die Schächer, die um Jesus Gewand spielen, die römischen Soldaten, die ihn verhöhnen) hält sie den Körper aufrecht und macht eine gute Figur. Sie senkt nicht den Kopf, wie die Mutter des Herrn auf den meisten Darstellungen seiner Folter, sondern steht da, wie ich mir auch diese Maria wünschte: mit erhobenem Haupt, ihren Peinigern zur Schande.

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