William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 3)
Wir sahen, wie sie heimgesucht wurde von Mother Needham und Francis Carteris, der Puffmutter und dem notorischen Vergewaltiger. Alles ist möglich, erfuhr die nachgeborene Dorf-Maria, in der großen Stadt London. Du hast keine Chance, das stimmt, nutze sie! Was sie tat: Suchte sich einen, der zahlen konnte und bereit war, sich ihre Gunst etwas kosten zu lassen. Spielte die große Dame. Und wollte noch mehr: Lust und Liebe. Einen jugendlichen Liebhaber hielt sie sich, ganz wie die adligen Frauen in ihren Palästen. Das war zuviel verlangt. Oder unsere Schauspielerin, das Bauernmädchen Mary, zu unbedarft für diese Rolle. So kann´s kommen, wenn man unvorsichtig ist und zu hoch hinaus will.
Die Szene ist ein Spiegelbild der vorangegangen. Aber jetzt ist, was vordem Glanz und Pracht war, nur noch Tand und Dreck. Da sitzt sie nun auf ihrer neuen Arbeitsstätte, kein Rokoko-Stühlchen mehr, sondern eine schlamperte Matratze, kein zierliches Teetischchen steht vor ihr, sondern ein krummer Schemel, kein rausgeputzer Mohr bedient, bloß eine ausgepreiste Vorgängerin mit von Syphilis zerfressener Nase. An der Wand hängen mit einer Ausnahme (dazu später mehr) keine biblischen Historienbilder, sondern Porträts ihrer neuen, zeitgenössischen Helden: statt des rechtschaffenen Jona und des siegreichen David Captain McHeath, der Schuft aus „Beggar´s Opera“ und Dr. Sacheveral, ein berüchtigter Quaksalber und Hochstapler. Es ist eben alles spiegelverkehrt hier, erinnern Sie sich: Jona, ein selbstgerechter Priester und David, der mit Gewalt zur Macht kam und an der Macht zum Vergewaltiger wurde. Ihren Körper verkauft sie, an jeden offenbar, der zahlen kann, auch ausgefallene Wünsche werden befriedigt, die Werkzeuge dazu hängen an der Wand oder liegen bereit. Ganz oben auf dem Betthimmel sieht man eine Perückenschachtel, die den Namenszug ihres derzeitigen Liebhabers trägt: John Dalton, ein berühmter Straßenräuber, dessen Taten die Gazetten füllen.
Gegen alle Hoffnung (oder Glaubensgewissheit) der frommen Moralisten zeigt uns Hogarth die gefallene Maria (Magdalena) jedoch nicht als Zerknirschte und um Rettung Flehende. Es ist zwar hier alles ein wenig dürftig, doch sie weiß sich auch in dieser Umgebung zu bewegen. Sie lebt und liebt, sie arbeitet und verdient; sie nimmt, was sie kriegen kann und gönnt sich, was zu haben ist. Doch, warte nur, Maria, der Engel des Herrn naht, dir das Gesetz zu verkünden: Da steht er schon in der Türe, der mächtige G., Bote der All-Macht, dich in deine Schranken zu verweisen.
Hogarth hat auch auf diesem Blatt die Dirne Mary in ein christlich-ikonographisches Schema der Marien-Erzählung eingebettet: Maria Verkündigung. Der erschrockenen Maria erscheint Gottes Bote, der Erzengel Gabriel, um ihr die unbefleckte Empfängnis des Gottes-Sohns anzukündigen.
Unserer von Hogarth vorgestellten Straßenschönheit kann offensichtlich keine fleckenfreie Empfängnis verkündet werden. Sie hat sich befleckt und sich besudeln lassen, weiß das Gesetz: Du sollst nicht... Zwar greift für die Vergehen der Mary wörtlich keines der Zehn Gebote, doch die Herrschaft hat immer schon verstanden, das Gesetz des Herrn passend anzuwenden auf die je gegebenen Lebenswege der Sünderinnen. Von Mary noch unbemerkt steht der Vollstrecker des herrlichen Willens bereits im Türrahmen: Ihr Engel, der ihr den rechten Weg weisen wird, erscheint in der Gestalt des unermüdlichen und unerbittlichen Richters Gonson, der mit seinen Schergen gekommen ist, die Unzüchtige zu verhaften.
Wiederum mutet Hogarth seinem Publikum Ungeheures zu: Denn über die Porträts von Marias gegenwärtigen Leitbildern hat er eine billige Zeichnung gehängt, die eine verstörende alttestamentarische Szene zeigt: die Opferung Isaaks durch Abraham. Er konfrontiert durch das Bild im Bild den Gott des Alten Testaments, der von Abraham so viel Vertrauen fordert, dass er verlangt, den eigenen Sohn zu opfern, mit dem Gott des Neuen Testaments, der so viel Vertrauen und Vergebung schenkt, dass er seinen Sohn opfert. In der Szene jedoch, in welcher der HERR der Frau, die in ihrem Leib den Gottessohn austragen soll, das Opfer ankündigt, hat bei Hogarth die Rolle der Jungfrau Maria die Hure Mary übernommen und der Erzengel ist ein mitleidloser Strafrichter, der Vergebung nicht kennt. In einem christlichen Umfeld kann man gesellschaftliche Zustände kaum schärfer kritisieren.
Die HERRschaft und die Moral, die Gonson und die seinen vertreten und die sie an Mary vollstrecken, werden als bigotte kenntlich. Sie opfern nichts Eigenes, weil sie keinem vertrauen; sie opfern Mary, deren Leib sie missbraucht haben, wie der HERR den Leib Marias, der Jungfrau, die unter Schmerzen in einem Stall gebären und nie Lust empfinden sollte, um unbefleckt zum Himmel zu fahren.
William Hogarth, der männliche Maler, scheut sich nicht, in seiner Erzählung die ikonographischen Muster immer wieder queer zu nutzen: Seine weibliche Hauptdarstellerin kann die Rolle des Herkules ebenso annehmen, wie die der Mutter Maria oder Maria Magdalenas. Ihr vorgeführter Lebensweg wird kommentiert durch die Taten männlicher biblischer (Anti-)Helden: Abraham, Jona, David. Wir werden noch sehen, wie sehr Hogarth sich und seine Kunst mit der Frau, die selbst mitspielen will, aber am Spiel der Macht scheitert, identifiziert.
Und die Moral von der Geschicht´: Beschmutz Euch getrost, es wird euch nichts vergeben!
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