Freitag, 15. April 2011

SEXTOPIA - Gegen den Willen zur Prostitution

Ich habe mir eine „Brigitte“ gekauft. Jetzt muss natürlich sofort ein „weil...“ rechtfertigend folgen, denn die Feministin, die auf sich hält, lässt sich auf Modestrecke und Beauty-Tipps nicht ein. (Selbstverständlich halte ich auf mich und lese zu diesem Zwecke ausschließlich „Vogue“. ) Die „Brigitte“ habe ich gekauft, weil sie mit einem Thema aufmacht, das mich in den letzen Monaten verfolgt: „Prostitution – was ist das heute?

Die moralische Keule gegen den käuflichen Sex herauszuholen und sich in überheblicher Weise als weiße Mittelstandsfrau in fester Beziehung durch die Abgrenzung zur Prostitution selbst zu erhöhen – dieser Vorwurf wurde mir gemacht und ich habe ihn gegen mich selbst gewendet. Was stört mich daran, dass andere Frauen und Männer ihre Körper zu sexuellen Dienstleistungen zur Verfügung stellen? Warum stößt mich der Freier, der sich sexuelle Befriedigung zum ausgehandelten Preis kauft, so sehr ab? Warum sollen für den Austausch sexueller Handlungen andere als die Regeln des Marktes gelten?

Die Texte, die das Dossier über „Sex gegen Geld“ in der „Brigitte“ vereint, berichten von „Frauen wie du und ich“, die dem „ältesten Gewerbe der Welt“, wie man so sagt, nachgehen. „Nie war es so einfach wie heute, die Grenze zur Prostitution zu überschreiten“, behauptet die Überschrift. Diese Aussage allerdings bestreite ich. Die bürgerliche Ehe war über Jahrhunderte nichts anderes als eine Form der Prostitution und ganz ohne Grenzüberschreitung für die meisten die Norm. Sexuelle Verfügbarkeit wurde von bürgerlichen Frauen gegen materielle Versorgung eingetauscht. Der wesentliche Unterschied zur offenen Prostitution bestand darin, dass einerseits die Verfügbarkeit umfassend ohne zeitliche oder sachliche Begrenzung bestand, andererseits im Gegenzug zur materiellen Versorgung das soziale Kapital als „ordentliche“ Ehefrau hinzukam. Wer hierbei „den besseren Schnitt“ machte, die als Besitz betrachtete Ehefrau oder die freigesetzte „gefallene Frau“, lässt sich nur im Einzelfall beurteilen. Richtig ist daher, was Irene Stratenwerth einleitend schreibt: „Aber je genauer wir hinschauen, desto klarer wird auch: Es ist keine fremde Welt, die wir da mit einer Mischung aus Voyeurismus, Empörung und Abscheu inspizieren können. Sondern eher ein Spiegelbild unserer eigenen, ganz normalen Lebens- und Liebesverhältnisse.“ Das scheint zu stimmen: In jenen Verhältnissen, in denen wir leben, ist auch die Liebe (nicht nur die körperliche) Berechnungen unterworfen. Man will eben „auf seine Kosten“ kommen - auch beim Sex und in der Liebe.

Dagegen scheint nur das Festhalten an romantischen Liebesvorstellungen zu sprechen, nämlich die durch die Wirklichkeit vielfach widerlegte Idee, Sex und Zuneigung, Erregung und Zärtlichkeit gehörten zusammen, erst eine paradoxe, unwiderstehliche Liebesempfindung, die dem Objekt des Begehrens den Subjektstatus verleiht, vermöge den Liebesakt über die bloße Triebabfuhr zu erheben. Niemand kann leugnen, dass es auch anders geht. Erektion und Erregung sind physische Prozesse, mechanische und chemische. Selbst zärtliche Zuneigung  lässt sich durch Selbstsuggestion bis zu einem gewissen Grad bewusst erzeugen. Und dennoch gibt es die Erfahrung – immer wieder dem Zweifel ausgesetzt freilich, eine bloße Illusion zu sein -, dass in der Liebe und im Liebesakt etwas Magisches waltet: die Bereitschaft sich hinzugeben und aufzugeben, um ganz bei sich zu sein, die Grenzen des Anderen zu überschreiten, ohne zu verletzen, die Getrenntheit hinter sich zu lassen und sich mit dem Anderen zu vereinen. In der Liebe und im Liebesakt wird die Utopie für einen Moment Wirklichkeit (oder kann es werden), wir könnten einander etwas anderes sein als Objekte, wir könnten in Austausch miteinander treten, ohne uns zu Waren zu degradieren.

Dass Sexualität kein herrschaftsfreier Raum ist, gerade Sexualität nicht, braucht einer Frau keiner zu sagen. Wie Sexualität immer wieder von der Macht missbraucht wurde, um uns zu disziplinieren und zu formieren, lässt sich über die Jahrhunderte nachweisen. Dabei ist selbstverständlich in patriarchalen Gesellschaften die Ausübung von Herrschaft durch sexuelle Verfügung immer nicht nur über Klasse, sondern vor allem über die Kategorie Geschlecht praktiziert worden. Der Moralkodex der monotheistischen Religionen mit ihrem männlichen Vater-Gott hat sich seit je vor allem auf die Kontrolle weiblicher Sexualität gerichtet. Wie die vorgebliche Emanzipation aus dieser Unterwerfung, die sogenannte „sexuelle Befreiung“,  selbst Teil neuer Herrschafts- und Machtsstrategien ist, hat Michel Foucault in „Der Wille zum Wissen“ eindrucksvoll gezeigt. Die „karge Alleinherrschaft des Sexes“, der wir uns willig unterwerfen, zeigt sich popularisiert auch in eben jener Apologie auf die Prostitution, wie sie symptomatisch in der „Brigitte“ dargestellt ist. Das führt indes nicht zu unserer Befreiung, sondern dazu, dass wir uns wie Schlachtvieh selbst der Zurichtung zu Sex-Waren unterziehen. In der Tat offenbart sich durch die „Normalisierung“ der Prostitution nur, was sich auch in anderen Lebensbereichen durchgesetzt hat: das Einverständnis damit, eine Ware zu sein und sich als solche optimieren zu müssen.

Und warum soll für die Sexualität nicht gelten, was sonst überall gilt, fragte mich einer nicht ohne Grund. Es soll nicht gelten, antworte ich, weil es mir die Hoffnung raubte. Weil jene ungeheuerliche Erfahrung in der Sexualität, sich selbst zu erkennen, indem man sich preisgibt, den Blick in eine utopische Landschaft eröffnet, wo wir einander begegnen könnten, ohne voneinander Besitz ergreifen zu wollen, wo wir besessen und ergriffen sind, ohne über einander zu herrschen. Es gibt keinen herrschaftsfreien Raum, indem wir uns begegnen könnten, auch die Sexualität kann ihn nicht konstituieren. Aber in der Liebe und im Liebesakt können wir erahnen, wie es sein könnte, sich so zu begegnen und aufeinander einzulasssen. Die Normalisierung der Sexualität in warenförmigen Verhältnissen, die der Freigeist gegen die Moral fordert, beraubt uns letztlich dieser Vision. Mein Widerwille richtet sich nicht gegen die Prostituierten und Freier, sondern gegen eine Gesellschaft, in der es normal ist und verlangt wird, sich sexuell zu prostituieren und sexuelle Verfügung gegen Geld, Anerkennung oder Status einzukaufen.

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3 Kommentare:

  1. Liebe Melusine,

    Ein kleiner Gedanke (vielleicht kommen später noch mehr - ist im Schreiben dann doch schon passiert):

    Potenziale gelebter Utopie verorte ich noch mehr und, wie mir scheint, wirkmächtiger in der Freund_innenschaft und der Familien-Einheiten transzendierenden Solidarität als in der Sexualität.

    Wieso auch mir Sex als potenziell verletzungsoffener erscheint als warenförmige Arbeitsbeziehungen im bürgerlich als Orte 'anständiger Arbeit' konzipierten Raum, warum näher am Individuum, darüber denke ich weiter nach. Darüber wie bei diesem Gedanken das Verhältnis von

    a) kapitalistischer Ideologie (Das Private ist der Ort der Freiheit, der die Fiktion aufrecht erhält, die Teilnahme am Warentausch sei eine Freiwillige, die Teilnehmer_innen seien freie Bürger_innen),

    b) Gewöhnung und

    c) doch noch irgendwas anderem (Gibt es irgendwas, das sagt, der Sex sei auch jenseits kapitalistischer oder herrschaftsförmiger Vergesellschaftung näher am Individuum als beispielsweise Büro- oder Kopfarbeit oder Handwerk? Wie sollte eine solche Erkenntnis möglich sein? Schon heute gibt es eine schiefe Verteilung u.a. nach Geschlecht, wie persönlich/emotional Sex empfunden wird. Vielleicht ist Sex auch ein besonders sensibles Thema, gerade weil er in der kapitalistischen Fiktion der Trennung von Privatem und Öffentlichem als Ort der Freiheit imaginiert wird und dies seit Entstehung dieser Fiktion in eklatantem Widerspruch zum Erleben vieler Frauen und auch anderer Geschlechter steht? Entfremdung in allen Lebensbereichen ohne Kompensation in der vermeintlichen 'freien' Zeit? Ist das das eigentliche Problem der Prostitution wie der traditionellen bürgerlichen Ehe, dass kein Ort mehr bleibt, an dem zumindest die Imagination der Freiheit aufrecht erhalten werden könnte?)

    zu fassen ist...

    Noch etwas morgendlich unstrukturiert meine ersten Gedanken.

    Einen herzlichen Gruß!

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  2. Oh, ganz vergessen und dennoch wichtig: Politisch zu skandalisieren finde ich die Arbeitsbedingungen von Prostitution und Pornographie-Produktion, nicht deren Existenz. Gerade durch deren bürgerlich-moralische Anrüchigkeit sind dies Sphären besonders ungeschützter Arbeitsverhältnisse.

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  3. Liebe Cazou,

    in "Kannibalischer Sex" habe ich versucht zu beschreiben, warum sexuelle Vereinigung für mich eine Sphäre jenseits der "Dialektik der Aufklärung", das heißt jenseits der Vernunft eröffnen kann.

    Eben darin sehe ich den utopischen Gehalt der Sexualität. Während die Vernunft das "Ich" konstituiert und Emanzipation, d.h. Selbstbestimmung ermöglicht, verleitet sexuelle Anziehung zur selbstbestimmten Aufgabe des Ich, zum freiwilligen Verzicht auf die Grenzsetzung zum Anderen. Das ist gefährlich, aber es macht eben auch die Magie des Sexes aus.

    Während also das utopische Moment der Freundschaft darin besteht, Beziehungen jenseits kapitalistischer Verwertungszusammenhänge zu stiften, die Emanzipation ermöglichen, liegt dasjenige der Sexualität für mich darin, sich gänzlich aus diesem Zusammenhang hinauszukatapultieren: Überwältigung, Ekstase, Auflösung.

    Während ich also die Überzeugung teile, dass eine Doppelmoral, die die Arbeitsbedingungen in Prostitution und Pornographie verschlechtert, bekämpft werden muss, halte ich andererseits an einer grundsätzlichen Kritik dieser Praktiken fest. Insbesondere, weil der Zwang zur Selbstprostitution um sich greift und pornographische Inszenierung des Sex zur Norm werden. Gerade darin sehe ich eine Unterwerfung, die uns um das Magische der sexuellen Erfahrung bringt.

    Ich könnte es auch anders ausdrücken: Politisch will ich anständige Arbeitsverhältnisse für Prostituierte und ausschließlich konsensuale Sexualpraktiken. Sex als Ware aber und Verhandlungen über "Wer darf was" turnen mich ab. Sie berauben uns des Wunders, das darin liegt, sich ganz zu erfahren, indem man sich ganz hingibt. Eine spirituelle Erfahrung geradezu, eine mystische.

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