Fortsetzung des Brief- und Blog-Romans: PUNK PYGMALION
„Hatten Sie nicht“, schreibt mir ein treuer Leser meines Blogs, „angekündigt, dass Emmi Anfang Juni zu Besuch kommen werde, um das Rätsel aufzulösen, das ihre letzte Mail Ihnen aufgab?“ Tatsächlich hatte ich den Karton mit Ansgars Briefen ins unterste Fach meines Sekretärs gestellt, entschlossen, mich nicht mehr mit ihnen zu befassen, bis mir klar wäre, was Emmi mit ihren sonderbaren Andeutungen gemeint hatte. Dem Drängen des rough guy, nach Kopenhagen zu kommen, war sie im Frühjahr 1984 nicht gefolgt, stattdessen waren wir nach Paris und später von dort aus in die Normandie gefahren. Emmi schickte Postkarten nach Dänemark, aber sie gab keine feste Adresse an, für Ansgar war sie in jenen Wochen nach Ostern nicht erreichbar. Seinen Brief, indem er ihr vom Tod seines Vaters und der Erbschaft schrieb, las sie erst Ende Mai, als wir zurück nach Hause kamen.
Damals war ich froh, dass Emmi sich aus den Fängen ihres dänischen Dämons zu befreien schien. Immer noch sprachen wir wenig über ihn, aber ich beobachtete genau, wie sie sorgfältig die Postkarten auswählte, die sie an ihn verschickte. Sie nahm Motive, die banal und touristisch waren. In der Mail, die sie mir vor zwei Wochen schrieb, deutet sie an, dass Ansgar sie so heftig gedrängt habe, nach Kopenhagen zu kommen, weil er sie fernhalten wollte. Indem er an ihr zerrte, ängstigte er sie, so dass sie ihm auswich. Glaubt sie das wirklich? Ich lese Ansgars Briefe und bei allem Unbehagen, das sie mir erzeugen, fühle ich doch: Sie drücken eine aufrichtige Sehnsucht nach Emmi aus.
„Ich weiß, dass Sie schrieben: Alles ist Fiktion, liebe M.B.“, schreibt mein Leser weiter, „doch schien mir die Erzählung von Emmi und Ansgar sehr nah an der Wirklichkeit. So sehr jedenfalls, dass ich vermute, ja hoffe, Emmi (oder jene Frau, der Sie den Namen Emmi gaben) habe Ihnen erklärt, was zwischen ihr und Ansgar geschehen ist, was sie so (ver)-zweifeln ließ.“ Er ist ungeduldig – und mit Recht. Mein Schreiben im Blog verstehe ich durchaus als eine Verbindlichkeit gegenüber Leserinnen und Lesern.
Emmi war hier. Aber ich habe sie nicht verstanden, ihre Verzweiflung nicht und ihre Gründe nicht. Alles Flirrige, das mich im Januar während unseres Dornröschen-Wochenendes an ihr fasziniert hatte, war von ihr abgefallen. Doch sie sah gut aus, stark und kalt. Sie küsste zur Begrüßung links und rechts in die Luft neben meinen Wangen. „Sehr hübsch“, sagte sie mit Blick auf mein geblümtes Sommerkleid. So distanziert war sie noch nie. Am Abend bei einem Glas Wein schließlich ließ sie sich ein wenig gehen: „Du wirst es schon schaffen.“ „Was meinst du?“ „Das Happy End. Dafür bist du doch Spezialistin.“ Sie lächelte ironisch. „Ich dagegen bin die Drama-Queen.“ „Was ist passiert?“ „Nichts weiter. Es läuft gut. Er ist ein phantastischer Liebhaber. Wie gehabt.“ „Emmi“. Da musste sie mal auf Toilette. Als sie zurückkam, wechselte sie das Thema.
Am nächsten Tag fragte sie nach dem Karton. „Darf ich noch mal reingucken?“ „Es sind doch deine Briefe.“ Ich stellte ihn vor sie auf den Esstisch und ließ sie allein. Von der Terrasse aus sah ich, wie sie in den Briefen wühlte, sich auch fest las an dem einen oder anderen. Später kam sie mit einem in der Hand heraus. „Stell den ein zu Pfingsten. Er wird ihn auch lesen.“ Ich nahm den Brief, hob fragend die Augenbrauen. Sie ignorierte das, strich mit der Hand über den Lavendel am Terrassenrand: „Wie gut das riecht.“ Sie schnupperte an ihrer Hand. „Ich fahre nach Südfrankreich im Juli“ „Mit Ansgar?“ „Nein.“
Sie fuhr früher ab als geplant. Sie wolle noch ihre Mutter besuchen, sagte sie. Bevor sie in ihr Cabriolet stieg, drückte sie mich plötzlich an sich: „Mach weiter, bitte!“
Mai 1984
Kare Emmi,
du bist unterwegs, begreife ich, du suchst ein Abenteuer. Das ist dein Recht und ich verstehe das. Du musst deinen Weg gehen und ich bitte dich, vergiss, was ich dir zuletzt geschrieben habe. Ich war nicht ganz bei mir, mein Vater war gestorben, die Erbschaft, die Formalitäten und alles. Du weißt, wie viel Streit wir hatten, dennoch vermisse ich ihn. Ich habe sein Boot, ich lebe vorerst hier. Aber ich fühle, dass es nicht gut für mich ist, allein zu sein.
Schreib mir von M. und von Deinen Eltern und von allem, was du erlebst. Tust du das? Ich möchte dich so gerne verstehen und Teil deines Lebens werden, Emmi.
Was hältst du davon, wenn ich im Juni zu dir komme? Ich habe ein paar Punks kennengelernt, nette Kerle, wenn auch schrill (sie gefallen dir bestimmt), mit denen werde ich im Sommer in den Süden reisen. Keine Ahnung, wohin es uns verschlägt, aber ich möchte dich gern sehen, wenn es dir recht ist? (Und ich kann mich auch benehmen, falls du Angst davor hast, mich deinen Eltern vorzustellen.) Also, bitte, wenn du zurück bist von deiner Reise nach Frankreich, gib mir Bescheid, ob ich zu dir nach **** kommen darf.
Ich denke an dich.
Ansgar
Lieber Leser, wie gerne hätte ich Ihnen (und mir) das Rätsel gelöst. Doch ich weiß nicht, wie diese Liebesgeschichte ausgeht, weiß nicht, wie ich ihr ein Happy End verschaffen soll, denn ich weiß nicht einmal, warum sie gegenwärtig so sonderbar stockt.
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