Sonntag, 21. August 2011

Verbotenes Material

Die Gefriertruhe war am schwersten gewesen. Auch das Stromaggregat, das nötig war, um sie zu betreiben, musste in dem engen Raum untergebracht werden. Wochenlang hatte ich daran getüftelt, wie alle erforderlichen Geräte und Chemikalien besorgt und dort aufgebaut werden konnten, so dass noch genügend Bewegungsspielraum für Herrmann und mich blieb, wenn wir uns schließlich an die Arbeit machten.

Ich hatte Hermann im Internet gefunden. Seine Expertise passte genau auf meine Anforderungen. Sein gegenwärtiger Status machte es leicht, ihn zur Mitarbeit zu überreden. Die Auftragslage war dünn, insbesondere seit Hermann in einen Skandal mit Leichenteilen aus Ostafrika und Indien verwickelt worden war. All das hatte ich sorgfältig recherchiert. Der Prozess gegen ihn befand sich in Vorbereitung. Hermann brauchte dringend Geld, um die Anwaltskosten zu bezahlen. Dass mein Auftrag sich in einer rechtlichen Grauzone bewegte, scherte ihn wenig. Das war er gewohnt. Doch hatte seine Erfahrung ihn misstrauisch und vorsichtig gemacht. Er weigerte sich strikt, die Operation im Keller meines Hauses vorzunehmen. Er verlangte die Zusicherung, dass ich das Präparat anschließend unter Verschluss halten würde, und Barzahlung, selbstverständlich.

Daher hatte ich den Raum angemietet; 11qm waren knapp, aber gerade ausreichend. Ich musste bei der Auswahl bedenken, dass ich das Abteil über viele Jahre halten wollte.  Schließlich würde ich in 15 Jahren von einer nicht allzu üppigen Rente leben müssen. Doch die Vorkehrungen, die ich traf, garantierten mir, dass das Wichtigste für mich auch dann noch täglich erreichbar sein würde. Allerdings nicht nachts, nicht zwischen 22.00 und 6.00 Uhr. Das war ein Kompromiss, auf den ich mich schweren Herzens eingelassen hatte.

Natürlich hatte ich das alles nicht ohne Hilfe einrichten können. Gerade die Truhe hätte ich niemals alleine in den Raum gekriegt. Das war das größte Risiko, das ich einging. Ich hatte die Tragegurte schon fest um die Truhe gespannt, bevor die beiden jungen Männer, die ich angemietet hatte, eintrafen. Auch ließ ich sie während des ganzen Transports nicht allein, so dass sie keinerlei Gelegenheit hatten, den Deckel der Truhe zu lüften. Das Stromaggregat allerdings schaffe ich allein in den Verschlag. Das wäre zu auffällig gewesen und ich war auch ziemlich sicher, dass es verboten war, in den Abteilen elektrische Geräte zu betreiben, auch wenn dies nicht ausdrücklich in den langen Verbotsbestimmungen stand, die mir bei der Anmietung ausgehändigt worden waren.

Ein Problem würde auch sein, dass Hermann und ich Luft brauchten, um zu arbeiten. Daher müssten wir die meiste Zeit die Tür des Verschlages offenhalten. Die Überwachungskamera stellte kein Risiko dar, das hatte ich genau geprüft. Es gab keinen Winkel von dem aus sie das Innere des Abteils filmen konnte. Genau deshalb hatte ich die Nummer 1430 gewählt. Es würde meine Aufgabe sein, Hermann vor Kunden zu warnen, die mit dem Aufzug hoch kamen. Wir waren aber relativ sicher, dass unter der Woche wenig Betrieb auf den hellen Fluren sein würde. Auch das hatte ich einige Tage lang gecheckt. Es kam werktags höchstens alle zwei Stunden jemand auf diese Etage. Der Aufzug war langsam, so dass ich immer genügend Zeit haben würde, Hermann zu warnen und die blaue Tür des Abteils zu schließen.

Als ich Hermann am Sonntagabend am Bahnhof abholte, war alles perfekt vorbereitet: Das ganze Abteil sorgfältig geputzt, die Geräte sterilisiert, die Wannen aufgestellt, die Skalpelle  exakt in der Reihenfolge bereit gelegt, die er mir genannt hatte. Fast meine ganzen Ersparnisse waren bei der Ausstattung des Raumes draufgegangen. Doch das war es mir wert. Wir hatten uns nicht für die wesentlich kostengünstigere Variante mit Ether entscheiden können. Das war zu gefährlich. Ich wünschte mir, dass der Körper in exakt jener Haltung im Lehnsessel sitzen würde, wie er es jeden Abend in unserem Wohnzimmer getan hatte. Natürlich würde ihm in dem engen fensterlosen Kabuff die Aussicht fehlen. Aber man kann eben nicht alles haben. Jedenfalls ließe ich ihn nicht nackt dort sitzen. Ich hatte ein Hemd, eine Hose, die Sandalen und seinen Lieblingspullunder eingepackt. Auf Unterwäsche konnte er verzichten, dachte ich. Ich hatte seine Schiesser-Sachen ohnehin nie gemocht.

Hermann verbrachte die Nacht in einem Hotel nahe des Bahnhofs, das natürlich ich bezahlte. Ich übernahm auch die Kosten für den Besuch, den er sich kommen ließ. Darauf kam es nun auch nicht mehr an. Wie vereinbart wartete er um halb sechs am Montagmorgen auf mich und wir fuhren gemeinsam zum Depot. Ich war nun doch etwas aufgeregt, aber Hermann wirkte vollkommen ruhig. Problemlos hob sich die Schranke, als ich den Zifferncode eingab. Wir fuhren mit dem Aufzug nach oben. Hermann musste über das Schild kichern, dass die Lagerung von radioaktiven Stoffen verbat. Er tippte auf einen anderen Punkt: „Ein wenig riechen wird es, aber nur während der Prozedur. Das Präparat selber wird völlig geruchlos sein.“ Auch daran hatte ich gedacht. Vor allem das Aceton roch eklig. Wenn die Wachleute eintrafen, würde ich runtergehen, sie an meiner Kleidung schnuppern lassen, sie vielmals um Entschuldigung bitten  und ihnen erzählen, dass ich mich im Betrieb eingesaut hatte. Da ich in der chemischen Industrie arbeite, worüber ich absichtlich schon das eine oder andere Schwätzchen mit ihnen gehalten hatte, klang das glaubwürdig.

Wir stiegen aus dem Lift. Als ich die Tür zum Abteil aufschloss und das Licht anknipste, pfiff Hermann durch die Zähne. „Sieht klasse aus.“ Er streifte sich die Handschuhe über. Gemeinsam hoben wir die Leiche meines Mannes aus der Truhe und hievten sie auf den Seziertisch. Hermann klatschte in die Hände: „Dann mal los.“

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Das ist meine Geschichte zu "Mein Platz/MyPlace", dem Geschichten-"Wettbewerb", den ich ausgeschrieben habe: Hier. Sie "läuft natürlich außer Konkurrenz". Es ist dies auch kein Wettbewerb, bei dem es nur eine Siegerin/einen Sieger geben kann. Bisher sind alle Einreichungen prämiert. (Aber ich garantiere das nicht!) 

Noch immer sind weitere Einreichungen möglich - und willkommen! Bersarin hat eine Geschichte angekündigt nach seinem Urlaub. Iris schreibt an einer. Ich bin gespannt.

Die Preise sind
- entweder: 
- oder:

(werden Mitte September 2011 an die Beteiligten versandt)

Bisher erschienen



3 Kommentare:

  1. gänsehaut- stories gegen augustäische hitzen oder cocktail mit einer leiche ( extra dry ) : gratuliere zum concours und dessen schockgefrosteten resultaten -

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  2. Und schon tummelt sich Plastic Technologies auf "Gleisbauarbeiten". Das Netz wird engmaschig.

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