Mittwoch, 30. Mai 2012

"A dance to the music of time" lesen (5): AT LADY MOLLY´S


Ein Beitrag von Morel


 Another life, nostalgically remembered.

Im vierten Band des Romanzyklus wird es nun endlich ernst und damit noch komischer. Denn das übergreifende Thema von At Lady Molly’s ist die Heirat, die der Erzähler, wie so Vieles als eine ihm vom Leben gestellte Hausaufgabe begreift, die er immer gerne aufgeschoben hat. Zum Glück begegnet ihm eine der weniger durchgeknallten Töchter einer mit Exzentrikerinnen und Exzentrikern reich gesegneten Familie, die er, wie er selber leicht verwundert bemerkt, sofort als seine künftige Ehefrau wiedererkennt. Ein Hauch von coup de foudre in einem kalten, eher reflektierten Klima. Die Erinnerung an die Affäre mit der zu ihrem Börsenmaklerehemann zurückgekehrten, enigmatischen Jean ist nur noch ein blasser Schimmer in den Fernen eines zurückliegenden Tal, das von dem Hochplateau einer neuen Liebe wie eine Schimäre wirkt: denn mit dem vierten Band beginnt der Sommer dieses zwölfbändigen Romanzyklus. Die Zeit des Ausprobierens und Zweifelns ist vorbei.

Die Ehe ist in diesem wie in allen Gesellschaftsromanen natürlich nichts anderes als Domestizierung von Sexualität. Kaum jemand geht sie leichten Herzens und voller Illusionen ein. Die Befreiung der Liebe aus dem Korsett der Konventionen, wie sie gleichzeitig in Paris von Breton und Aragon versucht wird, wirft aber ihr reizvolles Licht zwischen die Gitter der Konvention, die sonst Powells Roman umgrenzen. Denn während der Romane und Drehbücher schreibende Erzähler melancholisch sich dem Lauf des Lebens beugt (die Tanzschritte erlernt), begegnen ihm zahlreiche freiere Geister, die nach mehr oder weniger gelungenen Ausbruchsversuchen ein Leben am Rande der Gesellschaft führen. Neben Erridge - einem Porträt George Orwells - der das geerbte Landhaus verfallen läßt und lieber als Tramp die Welt der sonst hier unsichtbaren Armut erforscht (nachzulesen in Down and out in Paris and London), treten auch ein lesbisches Paar und eine promiskuitive Witwe auf. Die Ränder der Gesellschaft sind eben häufig gar nicht mit Schande und Armut verbunden, sondern nur ein kleiner Schritt zur Seite, so wie er der Titelfigur Lady Molly gelungen ist, die als junges Mädchen reich heiratete, nachdem ihr Mann aber an der Spanischen Grippe starb, ein Leben etwas abseits der Oberschicht mit dem Veteranen Jeavons begann. Mit ihm zusammen hält sie ein offenes Haus, in dem alle möglichen Personen zusammenkommen, die sonst streng voneinander getrennten Schichten angehören. Von ferne erinnert das an den Salon der Madame Verdurin bei Proust (allerdings ohne die literarischen und künstlerischen Ambitionen, die dort gefördert wurden). Die Ehe von Molly und den meist vornamenlosen Jeavons scheint dem Erzähler genauso rätselhaft, wie die der ihm schon seit der Kindheit vertrauten Conyers. General Conyers hat sich durch militärischen Wagemut im Burenkrieg hervorgetan und spät, für alle überraschend eine historische Romane schreibende Adlige geheiratet. Die Überraschung ist überhaupt des Generals Merkzeichen: als eine der wenigen Figuren des Establishment interessiert er sich für die Avantgarde und fragt den Erzähler, was dieser von Orlando halte (nicht allzuviel entnehmen wir der wortkargen Antwort, in einer Konversation, die zeigt, wie das Neue in die Welt kommt: als Rätsel, das achselzuckend abgetan wird). Auch über die Psychoanalyse hält er sich auf dem Laufenden: "Been reading a lot about it lately...Freud - Jung - haven't much use for Adler. Something in it. Tells you why you do things." Daran scheitert der Erzähler mehr als einmal. Die Welt scheint ihm ein Rätsel, die Beweggründe seiner Freunde und Bekannten Abgründe. Als Romancier respektiert Powell die Privatsphäre seines Personals (ein liberaler Hausherr in einem Haushalt voller Exzentriker), sie behalten ihre Geheimnisse, die auch keiner Psychoanalyse zugänglich sind. Nur durch ihre Taten sprechen sie. So auch der Karrierist Widmerpool (inzwischen nach seinem Abstecher in die Hochfinanz ein Anhänger eines aktiven Staats mit Verständnis für die Herausforderungen Hitlers) der in diesem von Ehen und Verlobung geprägten Roman, natürlich in aller Systematik und Rechtschaffenheit, sein Glück mit der schon erwähnten, abenteuerlustigen Witwe versucht. Bei dem Versuch bleibt es und eine wesentliche Rolle spielt ein misslungenes, voreheliches Wochenende in einem Schloss, in dem - was sich selbst zu General Conyers herumgesprochen hat - die erste gemeinsame Nacht des Paars eher ernüchternd verlief. Das hatte sich schon angedeutet, als Widmerpool von diesem geplanten Wochenende und der ihn beunruhigenden, offenbar von Männern wie ihm erwarteten Notwendigkeit erzählte, sich auch in Fragen der praktischen Liebe schon vor der Hochzeit erweisen zu müssen. Während Widmerpool nur in seinen Plänen lebt (für Powells ist er der Mann des Willens), nutzen andere die Gunst der Stunde. Wer beim Tanzen immer an den nächsten Schritt denkt, wird stolpern. Aber wie glücklich die Ehe zwischen Lady Isobel und dem bürgerlichen Nick Jenkins, dem Erzähler verläuft, muss ein anderer Tanz erweisen.

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