Ein Beitrag von Morel
Im vierten Band des Romanzyklus wird es nun endlich ernst
und damit noch komischer. Denn das übergreifende Thema von At Lady Molly’s ist die Heirat, die der Erzähler, wie so Vieles als
eine ihm vom Leben gestellte Hausaufgabe begreift, die er immer gerne
aufgeschoben hat. Zum Glück begegnet ihm eine der weniger durchgeknallten Töchter
einer mit Exzentrikerinnen und Exzentrikern reich gesegneten Familie, die er,
wie er selber leicht verwundert bemerkt, sofort als seine künftige Ehefrau
wiedererkennt. Ein Hauch von coup de foudre in einem kalten, eher reflektierten
Klima. Die Erinnerung an die Affäre mit der zu ihrem Börsenmaklerehemann zurückgekehrten,
enigmatischen Jean ist nur noch ein blasser Schimmer in den Fernen eines zurückliegenden
Tal, das von dem Hochplateau einer neuen Liebe wie eine Schimäre wirkt: denn
mit dem vierten Band beginnt der Sommer dieses zwölfbändigen Romanzyklus. Die
Zeit des Ausprobierens und Zweifelns ist vorbei.
Die Ehe ist in diesem wie in allen Gesellschaftsromanen
natürlich nichts anderes als Domestizierung von Sexualität. Kaum jemand geht
sie leichten Herzens und voller Illusionen ein. Die Befreiung der Liebe aus dem
Korsett der Konventionen, wie sie gleichzeitig in Paris von Breton und Aragon
versucht wird, wirft aber ihr reizvolles Licht zwischen die Gitter der
Konvention, die sonst Powells Roman umgrenzen. Denn während der Romane und
Drehbücher schreibende Erzähler melancholisch sich dem Lauf des Lebens beugt
(die Tanzschritte erlernt), begegnen ihm zahlreiche freiere Geister, die nach
mehr oder weniger gelungenen Ausbruchsversuchen ein Leben am Rande der
Gesellschaft führen. Neben Erridge - einem Porträt George Orwells - der das
geerbte Landhaus verfallen läßt und lieber als Tramp die Welt der sonst hier
unsichtbaren Armut erforscht (nachzulesen in Down and out in Paris and London), treten auch ein lesbisches Paar
und eine promiskuitive Witwe auf. Die Ränder der Gesellschaft sind eben häufig
gar nicht mit Schande und Armut verbunden, sondern nur ein kleiner Schritt zur
Seite, so wie er der Titelfigur Lady Molly gelungen ist, die als junges Mädchen
reich heiratete, nachdem ihr Mann aber an der Spanischen Grippe starb, ein
Leben etwas abseits der Oberschicht mit dem Veteranen Jeavons begann. Mit ihm
zusammen hält sie ein offenes Haus, in dem alle möglichen Personen
zusammenkommen, die sonst streng voneinander getrennten Schichten angehören.
Von ferne erinnert das an den Salon der Madame Verdurin bei Proust (allerdings
ohne die literarischen und künstlerischen Ambitionen, die dort gefördert
wurden). Die Ehe von Molly und den meist vornamenlosen Jeavons scheint dem Erzähler
genauso rätselhaft, wie die der ihm schon seit der Kindheit vertrauten Conyers.
General Conyers hat sich durch militärischen Wagemut im Burenkrieg hervorgetan
und spät, für alle überraschend eine historische Romane schreibende Adlige
geheiratet. Die Überraschung ist überhaupt des Generals Merkzeichen: als eine
der wenigen Figuren des Establishment interessiert er sich für die Avantgarde
und fragt den Erzähler, was dieser von Orlando
halte (nicht allzuviel entnehmen wir der wortkargen Antwort, in einer
Konversation, die zeigt, wie das Neue in die Welt kommt: als Rätsel, das
achselzuckend abgetan wird). Auch über die Psychoanalyse hält er sich auf dem
Laufenden: "Been reading a lot about it lately...Freud - Jung - haven't
much use for Adler. Something in it. Tells you why you do things." Daran
scheitert der Erzähler mehr als einmal. Die Welt scheint ihm ein Rätsel, die
Beweggründe seiner Freunde und Bekannten Abgründe. Als Romancier respektiert Powell die Privatsphäre seines
Personals (ein liberaler Hausherr in einem Haushalt voller Exzentriker), sie
behalten ihre Geheimnisse, die auch keiner Psychoanalyse zugänglich sind. Nur
durch ihre Taten sprechen sie. So auch der Karrierist Widmerpool (inzwischen
nach seinem Abstecher in die Hochfinanz ein Anhänger eines aktiven Staats mit
Verständnis für die Herausforderungen Hitlers) der in diesem von Ehen und
Verlobung geprägten Roman, natürlich in aller Systematik und Rechtschaffenheit,
sein Glück mit der schon erwähnten, abenteuerlustigen Witwe versucht. Bei dem
Versuch bleibt es und eine wesentliche Rolle spielt ein misslungenes,
voreheliches Wochenende in einem Schloss, in dem - was sich selbst zu General
Conyers herumgesprochen hat - die erste gemeinsame Nacht des Paars eher ernüchternd
verlief. Das hatte sich schon angedeutet, als Widmerpool von diesem geplanten
Wochenende und der ihn beunruhigenden, offenbar von Männern wie ihm erwarteten
Notwendigkeit erzählte, sich auch in Fragen der praktischen Liebe schon vor der
Hochzeit erweisen zu müssen. Während Widmerpool nur in seinen Plänen lebt (für
Powells ist er der Mann des Willens), nutzen andere die Gunst der Stunde. Wer
beim Tanzen immer an den nächsten Schritt denkt, wird stolpern. Aber wie glücklich
die Ehe zwischen Lady Isobel und dem bürgerlichen Nick Jenkins, dem Erzähler
verläuft, muss ein anderer Tanz erweisen.
Anthony Powell: A dance to the music of time (5): At Lady Molly´s, Arrow 2005 € 12,95
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