Die bilderlose Schönheit des Orients
Im perspektivischen Bildkonzept der Renaisssance richtet sich das Bild erstmals am (fiktiven) Augenpunkt eines einzelnen Betrachters aus und rückt damit dessen individuelle Sichtweise als Bild gestaltende in den Blick. (mehr dazu Hier:) Dass aus der mathematischen Konstruktion, die der Westen aus den arabischen Schriften Alhazens zur Geometrie übernahm, ein Bild werden konnte (was eben im Orient nicht geschehen war und nicht hätte geschehen können), lag jedoch daran, dass die Auffassungen von der Funktionsweise des Auges und der Wirkung des Lichts in Ost und West sich schon längst unterschiedlich entwickelt hatten. Diese Vorstellungen bilden, wie Hans Belting schreibt, „das Weltverhältnis zweier Kulturen und ihre Mentalität“ ab. Die Konsequenzen dieser unterschiedlichen Welt-Sicht zeigen sich bis heute in Missverständnissen und Konflikten zwischen beiden Kulturen.
In der Antike gehen die Philosophen in der Nachfolge Aristoteles´ davon aus, dass die Abbilder der Dinge sich im Auge als Bilder niederschlagen. Das Licht selbst wird als Körper verstanden. Ins Auge gelangen also Körper, die die Objekte aussenden. Die Bilder, die im Auge entstehen, sind insofern selbst „körperlich“, d.h. gegenständlich. So entsteht auch der Schrecken vor dem Spiegel, der sich beispielhaft in der Erzählung vom Narziss zeigt: Für die antiken Betrachter war unentschieden, ob das Bild im Spiegel ein bloßer Trug oder selbst ein (fremder) Körper sei. (siehe zur Spiegel-Welt auch hier:) (Bedenkt man diese kulturelle Bedingtheit der furchtsamen Sucht nach der Spiegelung des Selbst, so relativiert sich – vielleicht – auch Lacans Spiegelstadium zu nur einer Möglichkeit der Selbstidentifikation des Menschen. Diesen Gedanken allerdings habe ich noch nicht einmal „in einen Anfang“ gefasst.)
Alhazens Modell beider Augen Quelle: Hans Belting: Florenz und Bagdad, C.H. Beck 2008 |
Die Augen selbst sind in der antiken Seh-Weise Träger des Lichts; sie empfangen es nicht nur, sondern senden es aus. Das Abbild, das die Künstler von der Welt entwerfen, ist somit aus antiker Sicht „wirklich“, weil es selbst körperlich ist und nicht bloß Verkörperung einer Idee. Die Augen, mit denen die Welt betrachtet werden, sind nicht in unüberbrückbarer Distanz zum Betrachteten, sondern berühren dieses mit ihrer Strahlung gleichsam und erschaffen es mit. (Es ist die westliche Kultur daher auch eine, die sich vor dem „bösen Blick“ fürchten muss: „...wenn Blicke töten könnten...“ Es ist kein Zufall, dass meine persische Freundin diese Vorstellung von der Macht des Auges zum Lachen findet.) „Die Präsenz der Körper führt in der Antike zu einer Bilderwelt, während die Präsenz des Lichts in der arabischen Kultur zur Entbildlichung der Welt führt. Reflexion (Wiederspiegelung) und Refraktion (Lichtbrechung) sind zwar optische Tatsachen, aber sie stehen auch symbolisch für verschiedene Weltbilder.“, hält Hans Belting fest.
Alhazen, der bedeutende arabische Mathematiker, der dem Westen die Grundlagen der perspektivischen Bildfindung lieferte, war selbst also geprägt von einer Kultur, die sich grundsätzlich von der antiken Welt-Sicht und deren Bildfixierung unterschied. Erst dies ermöglichte ihm offenbar, die optischen Phänomene aus einer „mathematischen Perspektive“ zu untersuchen und auf diese Weise die Grundlagen für eine perspektivische Bildgestaltung zu schaffen. Zwar hat auch in Alhazens Theorie das Licht eine physische Existenz, viel interessanter sind ihm jedoch die „Verkehrswege“ des Lichts in ihrem geometrischen Verlauf. Das Licht selbst ist kein Körper, sondern nutzt die Luft als medialen Körper der Übertragung. Logisch entsteht aus dieser Fixierung auf das Licht ein „Weltbild“ ohne Bilder, da das Licht seiner Natur nach bildlos ist. Das Licht wird sichtbar an den Körpern, aber es ist kein Gegenstand und daher auch nicht „abbildbar“. Aus dieser Seh-Weise entsteht eine Hierarchie der Körperwelt, denn sichtbar werden die Körper nur, wenn sie opak sind und das Licht „ablenken“. Die „himmlischen“ Körper hingegen sind transparent und lassen das Licht in seiner Reinheit „ungebrochen.“ Ins Auge fällt einzig das Licht, alle anderen Eigenschaften, die den Körpern zugeschrieben werden, „bilden“ sich nach dieser Theorie erst im Gehirn: Größe, Dichte, Transparenz, Zahl, Farben, Entfernung, Bewegung. Sie beschreiben nicht das Sein der Dinge, sondern lediglich deren Wirkung in der Wahrnehmung. Optische Gesetze gelten nur in der „sichtbaren“, d.h. der äußeren Welt. Erst durch die Imagination „in uns“ kommt jedoch das Bild zustande.
In der arabischen Kultur liegt mithin die Schönheit des Sichtbaren nicht in der Gestalt der gegenständlichen „Natur“, sondern in der Abstraktheit der physikalischen Gesetze, denen das Licht folgt. Im Auge erzeugt das Licht Effekte, die das Gehirn zu trügerischen „Momentaufnahmen“ bündelt. Das „Bild“ ist ein Ergebnis der psychologischen Verfasstheit des Menschen, kein Erkenntnismedium. Daher kann in der arabischen Kultur das Bild niemals den Text dominieren. Die sichtbare Welt ist nicht „für unsere Augen da“, sondern muss – wie ein Text – gelesen werden. „Da das Bild in der arabischen Kultur als etwas rein Mentales verstanden wurde, konnte es in physischen Bildwerken nicht analog abgebildet werden.“ (Hans Belting)
Arabische Kunst bemüht sich folgerichtig um die Abbildung nicht von Gegenständen, sondern der mathematischen Codes, die das Licht beschreiben. Ornament und Schrift verbinden sich zu komplexen Formen, die diesen Regeln folgen. Das fehlerhafte und täuschende „bildende“ Sehen hingegen sollte durch die Geometrie von Sinnlichkeit und Augenlust gereinigt werden. Die geschlossene islamische Architektur verzichtet auf eine repräsentative Fassade, die im Auge des Betrachters den Status des Besitzers widerspiegeln könnte. Stattdessen geht es darum, in den Innenräumen ein „kosmisches Schauspiel“ aufzuführen, dass die transzendentale Schönheit des Lichts und seiner Gesetze darstellt. Den Blick in die Kuppeln der Alhambra (ach, noch nie war ich dort, um es mit „eigenen Augen zu schauen“) verstellt die herrlichen Muster, die das Himmelsgewölbe vorstellen. Die Schönheit trifft das Auge wie das einfallende Licht, das wechselhaft, doch nach immer den gleichen Gesetzen, die kosmische Bewegung symbolisiert. „Spanische Mathematiker können heute nachweisen, dass der gesamte Dekor der Alhambra, ob auf dem Boden oder an den Wänden, originelle Lösungen für mathematische Probleme verbirgt.“ Die Reinheit der Offenbarung zeigt sich, überträgt man diese Sehweise ins Religiöse, in der Reinheit des Lichts, mit der eben das gegenständliche Bild „bricht“. Der bildende Blick ist aus dieser Sicht ein verführerischer, der dazu anlockt, mit dem leblosen Abbild in Blickwechsel zu treten. Darin liegt das Täuschende und das Verbotene der Abbildung des Lebendigen. Das islamische Bilderverbot gilt dem Versuch, das vom Schöpfer geschenkte Leben an das tote Bild „abzutreten“. Denn die Welt wird für uns nach dieser Philosophie nicht sichtbar als gegenständliche (das ist pure Illusion), sondern durch die Strahlengeometrie, deren symbolische Darstellung das Ornament übernimmt. Erst in dieser Kultur, meint Hans Belting, habe der „leere Raum“ gedacht werden können, der die Voraussetzung für die Berechenbarkeit des optischen Prozesses und schließlich auch der perspektivischen Darstellungsweise ist.
Die Bilder-Welt des Westens nimmt mithin auf ihrem Weg zum perspektivischen Bild, das den individuellen Betrachter installiert, einen notwendigen Umweg über die bilderlose Welt des Orients, wo jene mathematischen Voraussetzungen geschaffen werden können, die diesen Blick entwerfen. Wenn gesagt wird, dass von da an im Westen alles eine Frage der (individuellen) Perspektive ist, so gilt für den Orient bis dahin, dass alles eine Frage der (überindividuellen, transzendentalen) Proportion ist.
(Blickwechsel: Es war nicht zu Ende mit der Hybris der Renaissance, sie könne im perspektivischen Bild den Augen-Blick abbilden. Kepler u.a. stellten „alles auf den Kopf“: das umgekehrte Bild auf der Netzhaut. Davon demnächst.)
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