Montag, 6. September 2010

DUCKING AND WEAVING. Würden Sie einen Mann mit Perücke wählen?

Image: Ducking and weaving (Intelligent life, The Quarterly from Economist, Autumn 2010)

Einst verklagte Gerhard Schröder Journalisten, die zu behaupten wagten, er färbe sich die Haare. Schröder hatte Grund, sich zu wehren. In Deutschland gilt Eitelkeit bei Männern (eines bestimmten Milieus und der älteren Generation) als unangebracht. Der alberne konstruierte Gegensatz zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit wird sorgfältig gepflegt und das eigene Äußere sträflich vernachlässigt. Wenn ältere Männer auf ihr äußeres Erscheinungsbild Wert legen, gelten sie in ihrer Generation immer noch als affektiert. Ein Mann, der sich die Haare färbt, kann politisch nicht ernst genommen werden? Ein Mann, der sich gewählt und vielleicht auch originell kleidet, hat nichts zu sagen? Schaut man sich die „Entscheidungsträger“ an, so gilt das offensichtlich immer noch: Anzug in grau, schwarz, dunkelblau, weißes Hemd, die Krawatte als einziger kleiner Farbtupfer und Ausdruck einer sich beschränkenden Individualität. So frei sind die freien Herren der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der freien Wirtschaft offenbar nicht. 

In „intelligent life“ (dem vierteljährlichen Kulturmagazin des Economist) beschäftigt sich Simon Carr mit der Frage, was Wähler(innen) von den Haaren der Politiker erwarten. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Beobachtung, dass der Haaransatz von David Cameron zurückweicht. „Could a man in a wig ever be prime minister of Britain? Could a white person with curly hair become president of the United States? Has a bravely bald woman ever been elected to anything? And moustaches – will they ever return to office? Researchs shows that the answers to this questions are, with variations around the mean, no.“ Je mehr die Bedeutung von Äußerlichkeiten in einem Bereich geleugnet wird, behaupte ich, desto uniformierter wird sich das Äußerliche dort zeigen. Und eben damit auch desto bedeutsamer. Wer sich an die uniformierte Äußerlichkeit nicht hält, wird ausgegrenzt. Hat da nicht zu sagen. Wird nicht ernst genommen. Gilt nichts. Das vorgebliche Primat der Inhalte vor der „Verpackung“ ist nichts anderes als die Ideologie, mit der eine genormte Darstellungsform von Herrschaft durchgesetzt wird. David Cameron nun gehört zu jener neuen Generation (männlicher) Politiker, die ihr Aussehen durchaus zu ihrem Vorteil einsetzen: als Signal für Jugendlichkeit und Aufbruch (wie schon einmal vor 45 Jahren John F. Kennedy, der mit einer Ära der Äußerlichkeiten auch eine neuer individueller Freiheit einläutete; ein Zusammenhang, der meines Erachtens unterschätzt wird).

„The collapse of authority“, schreibt Simon Carr, „made a bald leader impossible in the West, ending the era when baldness was a sign of virtue.“ Heutzutage, meint Carr, sende Kahlheit unterschiedliche Botschaften, je nachdem, was ihre Ursache sei: Haarausfall, Chemotherapie, buddhistisches Mönchtum, Zugehörigkeit zur schwulen Clubbesucher-Szene, ein harter Draufgäner wie Bruce Willis oder das Alter. So unterschiedlich sie seien; keine sei eine Wahlempfehlung für jene Wählerschaft, um die gebuhlt werde: die Mitte. Dichtes Haar signalisiere Jugend und Agilität, Macht und Schönheit. Verliere ein Mann sein Haar, so bleibe ihm die Bruce-Willis-Taktik der Offensive: alles abrasieren, den Friseur feuern und die Glatze polieren. (Carr nennt als Beispiel William Hague, den neuen britischen Außenminister). David Cameron, spekuliert Carr, geht einen anderen Weg: „Lately the empty quarter too seems to have shrunk. The sink hole has been filled. Whether this was the result of covert transplants or wether it´s a natural, tidal phenomenon is one of the little mysteries of modern politics. Time will tell, as it always does.“

Das stimmt. Schrecklich genug. Wir Frauen sind da einen Schritt voraus. Färben ist kein Problem. Haarverlängerung geht in Ordnung (habe ich noch nicht probiert). Ich hätte nichts dagegen, wenn Männer auf dem Sektor einfallsreicher und experimentierfreudiger würden. 

3 Kommentare:

  1. Ein sehr interessanter Artikel, liebe Melusine, ;-) - Bisweilen sind die Entscheidungsträger der politischen Elite so uniform gekleidet, dass sie wie Clo(w)ne[s] ihrer eigenen Kaste wirken. Besonders gut zu beobachten in den politischen Talkshows. Selbst bei den Krawatten unterscheiden sich ihre Träger nur noch durch die Grundfarbe der diagonal-längs-quer-gestreiften Muster. Teilweise habe ich den Eindruck, sie kaufen alle beim gleichen Herrenausstatter in Berlin bzw. selbiger kommt einmal im Monat in die Fraktionen und nimmt Maß.
    Wer es wagt, auszuscheren und mit seinem Outfit etwas Farbe in den grauen Politikeralltag zu bringen, wird schnell zur Zielscheibe der Kabarettisten.
    Andererseits ist es wirklich schwierig geworden, sich gut zu kleiden. Selbst als Frau! Ab 40+ braucht man nicht mehr einkaufen gehen, weil in den Läden nur 36er Girlie-Größen hängen: dünne Leibchen, enge Blüschen, labbrige Stoffwedel, die Hosen oder Kleider sein sollen... maximal dreimal waschfähig, danach nur noch als Putzlappen tauglich. Oder die Sachen sind zum Davonlaufen altbacken...

    Herzlich
    Teresa

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  2. Noch immer, denke ich, haben wir Frauen hierbei Vorteile (oder anders herum: wir haben nicht so viel Macht, denn Macht erforder offenbar Uniformierung). Außerdem sind viele Männer vielleicht bequem, vermute ich. Immer war es ja nicht so: Beau Brummel, der "Ur-Vater" der Dandys, der "die Krawatte" in gewissem Sinne "erfand", hätte sich sicher nicht träumen lassen, wie sie einmal zu einen Code für Angepasstheit werden würde. Hinzu kommt diese verquaste Ideologie, die "Äußerlichkeiten" für überflüssig hält und voll auf die sogenannten "inneren Werte" setzt (dabei übersehend, wie hohl es daherinnnen oft ist). Man kann nicht nicht kommunizieren, auch nicht durch seine Kleidungswahl. Selbst die Nerds drücken durch ihre betonte Farblosigkeit etwas aus.

    Wegen der Frauen +40, zu denen ich mit 45 ja nun endgültig gehöre: Ich kann mir in diesem Alter erstmals (in Grenzen) richtig "gute Kleidung" (second hand, aber immerhin) leisten. Und es macht mir Spaß! Allerdings muss ich - lustigerweise - im Job gerade umgekehrt aufpassen, nicht "overdressed" zu sein. Die schicken Kostüme trage ich in der Freizeit! (oder bei den Amtsbesuchen).

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  3. Diese Seite, auf der ich unvorsichtig einmal zum Bildnis eines schönen Jünglings namens Jon Kortarjarena verlinkt hatte, wird beinahe minütlich aufgerufen, um das Bildnis dieses zugegeben hübschen jungen Mannes aufzurufen (from all over the world). Ich habe den Link jetzt gelöscht. Das nützt aber gar nix, die finden ihn auch im Cache. Unglaublich, welches Interesse der Kerl weckt, weltweit (auch die Russische Föderation ist gut vertreten - oder ist das wegen der Nachrichten an Heilmann?)

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