Freitag, 1. Oktober 2010

Baader, Meinhof und die Zwergwerfer, 3. Teil: Kein Friede auf Erden

 Dies ist der 3. Teil der Erzählung "Baader, Meinhof und die Zwergwerfer". Alles wird als Etikettenschwindel entlarvt. Frau Meinhof kommt gar nicht vor. Auch andere Versprechen werden nicht eingehalten. Ein Blutbad immerhin findet statt und eine (un-)endliche Vereinigung.

Wie es zu der Erzählung kam: Hier.






3. Teil:  Kein Friede auf Erden
Alles kommt ganz anders. Sie erreichen niemals Berlin. Frau Meinhof verschwindet aus der Geschichte, bevor sie auftritt. Das Böse ist blond und hat schöne Beine. Die Liebe der Metaphysiker endet im Blutbad. Noch einmal der Kategorische Imperativ in der Formulierung der Selbstzweckformel.

Im Bus ging es hoch her. Baader war verdrossen gewesen, dass er sich in einem solchen Gefährt auf die Reise machen sollte. Zwar hatte er nie einen Führerschein besessen, war es jedoch gewohnt, schicke und schnelle Autos zu fahren. Durch Frankfurt war er in einem auberginefarbenen Porsche gebraust, die Reise nach Paris hatten er und Gudrun in einem weißen Mercedes angetreten. Den Bus empfand er als Abstieg. Er versöhnte sich jedoch damit, nachdem er festgestellt hatte, wie bequem er mit Gudrun auf dem Rücksitz fummeln konnte. Manolete hatte dafür gesorgt, dass der Bus mit einer Anlage ausgestattet war. Passenderweise schob er eine Casette mit Songs von Janis Joplin ein: „Try just a little bit harder.“

Obwohl Ensslin und Baader in Paris jedem Fremden zunächst mit Misstrauen begegneten waren, war es ihm gelungen, sehr schnell mit ihnen Freundschaft zu schließen. Baader erkannte in ihm sofort den 1. Offizier, den er sich zum Handlanger machen konnte und ER übernahm die Rolle, zumindest vorläufig, gern. Manolete und Ruut hielten sich aus den Gesprächen weitgehend heraus. Sie hatten Baader jedoch beeindruckt, indem sie ihre Jacken für einen Moment zurückschlugen und ihm einen Blick auf die Berettas gewährten, die sie lässig in den Hosenbund gestopften hatten.

Auch war es ihm nicht schwergefallen, Baader und Ensslin zur Rückkehr nach Berlin zu überreden. Obwohl Baader Ulrike Meinhof „eine Journalisten-Fotze“ nannte, konnte Ensslin ihn überzeugen, dass die Zusammenarbeit mit jemandem von Ulrikes Reputation in der Szene von Vorteil wäre. ER wollte vor allem schnell mit dem Bus losfahren. SIE fühlte sich schon bald von Gudruns Gerede genervt. Wann immer Gudrun nicht mit Baader rummachte, sprach sie mit sich überschlagender Stimme auf SIE ein: „Andreas ist das revolutionäre Subjekt. Das gilt auch – vor allem auch – für seine Arbeit als Fotomodell für Schwulenmagazine. Gerade das, was sie zur Denunziation nutzen, zeichnet Andreas als Antagonisten des Bürgertums aus. Der Rivale, absolute Feind, Staatsfeind: das kollektive Bewusstsein, die Moral der Erniedrigten und Beleidigten, des Metropolenproletariats - das ist Andreas.“ SIE verdrehte die Augen. Baader zog Ensslin zu sich heran, glitt mit der Hand in ihre Bluse, begann sie wild zu küssen und auf dem Sitz flachzulegen. SIE suchte seine Augen im Rückspiegel. ER lachte nicht. Sie spürten beide, dass das Beben wieder eingesetzt hatte. Das Zusammensein mit Ensslin und Baader in dem engen Bus machte es fast unmöglich, es hinzuhalten. Seine Hände krampften um das Steuer. SIE wandte sich an Baader, um ihn und sich abzulenken. „Was ist der Plan?“ „Also vor allem brauchen wir Geld und Waffen, das ist ja klar. Geht ja nicht, dass nur die beiden stummen Kerle bewaffnet sind. Obwohl die Berettas klasse sind. Echt. Zeig noch mal.“ Manolete schob seine Jacke beiseite. „Geil.“ Baader wollte nach der Beretta greifen, aber ein Blick Manoletes genügte, dass er die Hand zurückzog. ER schlug vor: „Wir könnten in der Nähe von Bonn vor einer Kaserne warten. Ein Fahrzeug anhalten. Die Waffen abgreifen. Vielleicht auch eindringen. Je nach Lage.“ SIE zischte: „Spinnst du jetzt total?“ „Baby, wir sind mit den Zwergwerfern hier. Schon vergessen?“ Baader war begeistert. Ensslin schaute ein wenig bedrückt drein, sagte aber nichts.

Wie im Traum fand ER eine Auffahrt zu einer Kaserne in der Nähe von Bad Godesberg. „Los, stell dich ein bisschen hilflos an den Straßenrand.“ Sie klappten den Motor auf. Die Männer versteckten sich im Bus, während Ensslin sich gegen die Kühlerhaube lehnte und eine Zigarette anzündete. SIE stellte sich neben das Fahrzeug, um nach Hilfe zu winken. Schon der erste Kastenwagen des Bundes hielt. Zwei junge Männer in Uniform stiegen aus. „Probleme, Süße?“, fragte der Größere von beiden und fasste SIE dreist um die Hüfte. Der Zorn stieg gleich einer roten Welle in ihr auf, vor ihren Augen wankte die Umgebung, ein Grollen hob an, so furchterregend, dass es sogar der junge Mann zu bemerken schien, denn er zuckte zusammen, zog jedoch die Hand nicht zurück. Das war sein Fehler. Aus dem Bus sprang ER, setzte die Beretta, die ER kurzerhand Ruut entwunden hatte, am Kopf an und schoss den Jungen nieder. Der fiel so günstig, dass kein Blutspritzer SIE traf, wohl aber seinen Kollegen, der die Szene ungläubig beobachtet hatte und viel zu spät die Waffe zog, um seinem zweiten Schuss zuvor zukommen. Baader war ganz aus dem Häuschen: „Genial. Erledigt. Einfach so. Zack bumm.“ Ensslins Hände zitterten ein bisschen, als sie sich die nächste Zigarette ansteckte. Aber sie gab sich ganz cool. Manolete und Ruut zogen die Leichen ins Gebüsch. ER wandte sich an SIE: „Er hat dir um die Hüfte gefasst.“ Es war keine Frage, trotzdem antwortete SIE: „Ja, mit der vollen Hand.“ SIE stellte sich dicht zu ihm. „Es wird kein Entrinnen geben für die, nicht wahr?“ ER schüttelte den Kopf. „Die Models...“ „Glaubst du daran?“ SIE legte beide Hände flach an seine Brust. „Nein, aber wir werden es dennoch versuchen.“

Baader hatte sich die Waffen der beiden Soldaten angeeignet und zeigte Gudrun, wie man sie bediente. Als ER sich zu ihnen herumdrehte, winkte Baader ihn aufgeregt herbei: „Das war schon mal ein Anfang. Wirklich beeindruckend.“ Baader mühte sich, wieder in die Rolle des Anführers zu schlüpfen. Gudrun unterstützte ihn. „Wie gehen wir jetzt weiter vor, Andreas?“ „Wir verschaffen uns noch mehr Waffen: Dynamit, Handgranaten, so Zeug halt. Mit dem Kastenwagen und den Uniformen schaffen wir es in die Kaserne.“ Gudrun schluckte. ER zeigte sich begeistert: „Super Idee, Andreas.“ Die Männer verschwanden im Gebüsch, wo sie die Leichen entkleideten und in die Uniformen wechselten. Für Manolete und Ruut fanden sie im Kastenwagen noch zwei Uniformen, die zwar etwas stramm saßen und in den die beiden Hochwasser hatten. Das würde man jedoch nicht sehen, wenn sie auf dem Rücksitz des Kastenwagens in die Kaserne fuhren. Gudrun begriff: „Und wir? Sollen hier auf euch warten? Verdammt, Andreas, so war das nicht ausgemacht. Ich will dabei sein.“ Andreas zog sie zu sich heran und küsste sie brutal. Sie keuchte. „Alles klar?“, fragte er. Gudrun nickte. ER und SIE wechselten Blicke. Wie deutlich sie das Beben nun spürten.

Wir waren versucht zu glauben, immer wieder zu glauben, es gebe ein reines sonnenhaftes Schauen aus der Begehrlichkeit. Doch wurden wir stets – und wussten es in Wahrheit längst – auf unsere Narrheit zurückgeworfen. Wir stürzten die Welt in den Wirrwarr aus Wahn und Begierde, weil wir den Grund nicht kannten und doch für ihn standen. Die Frage, ob wir kein Gewissen hatten, wenn wir uns die Körper verschafften, wohl wissend, das am Ende unserer schleimigen Vereinigung Blut die Böden rot färben würde, ist letztlich ohne Sinn. Wir waren und sind das Gewissen: Wie könnten wir selbst unter diesen Umständen eines haben? Und auch uns bleibt auf ewig verborgen warum wir so geschaffen wurden: reine Geister, doch Yin und Yang, Abend und Morgen, Mann und Weib, sich nach einander verzehrend? Der Gott, den sie in uns suchen, er zeigt auch uns nicht sein Gesicht. Wir ahnen nicht einmal, warum es unseren Geist nach Verkörperung drängt – und nacheinander.

Gudrun und SIE warteten beim Bus, nachdem sich Gudrun mit wilden Küssen von Andreas verabschiedet hatte, während SIE nur ihren Kopf für einen Moment gegen seine Brust drückte. In der Ferne hörten sie Detonationen. Gudruns Hände zitterten. Sie versuchte es zu verbergen, in dem sie heftig an der Zigarette zog. SIE dachte einen Moment darüber nach, ob SIE es Gudrun sagen sollte, ihr sagen, dass sie keine Furcht zu haben brauche, dass ihr Schicksal besiegelt sei, wie das eines jeden, dass sie ihren Tod finden würde in dieser Geschichte wie in jeder möglichen, dass sie jedoch das Glück haben werde, in jeder Erzählung, auch in dieser, gemeinsam mit ihm, mit Andreas zu sterben und sie daher nicht befürchten müsse, er werde jetzt, bei diesem Überfall auf die Kaserne ohne sie umkommen. Als sie aber den Kastenwagen heranrasen hörten, kletterte Gudrun hinter das Steuer, während SIE die Schiebetür aufriss. Die vier Männer sprangen heraus. Sie warfen einige Säcke in den Bus. SIE sprang als letzte hinein. Gudrun startete durch. Hinter ihnen surrten die Sirenen. Schüsse fielen. Gudrun fluchte. Andreas geriet außer sich: „Verdammte Scheiße.“ Er lud die Waffe durch und schoss aus dem Seitenfenster das Magazin leer auf die Verfolger. SIE hatte sich neben ihn gelehnt, ganz dicht jetzt, den Kopf an seiner Schulter, die Wange am Leder reibend. Es geschah, was geschehen sollte. SIE wollte ihn. So war das. ER wollte SIE. Die Models. Eine Lektion, die SIE lernen konnte. Die ER lernen wollte. ER nickte Manolete zu. Der fasste über den Fahrersitz Gudrun unter die Schultern. Die schrie auf. „Spinnst du?“, schrie Andreas und wollte ihm einen Hieb versetzen. „Sie fährt uns noch in den Graben.“ Genau das geschah. Manolete trug unter einem Arm Gudrun und unter dem anderem Andreas aus dem Buswrack. Längst schon hatte Ruut ihn und SIE in gleicher Weise aufgeladen. Ein Sprung durch Raum und Zeit: Sie stürzten, ein Wirbel umschlang sie mit silbernen Fäden, ein Sog spülte sie hinab in gleißendes Gold, sie zerstoben in aschgraue Krümel und bildeten kristallene weiße Sterne. 

Sie schlugen hart auf dieses Mal. Denn weder in Zeit noch in Raum hatten sie eine weite Reise unternommen. Besonders im Hinblick auf den Raum waren sie nur einen Katzensprung von ihrem Abflugsort entfernt: von Bonn-Bad Godesberg nach Hürth bei Köln. In die Aufnahmestudios von „Germany´s next top model 2011“. Sie saßen im Publikum auf der harten Zuschauertribüne. Auf dem Laufsteg wurde einer schönen, langbeinigen jungen Frau mit herrlichen dunkelbraunen Haaren von zwei fetten Kerlen in Hawaihosen Mayonnaise über die halbentblößten Brüste geschmiert. Von einem Podest daneben herab gab eine Blondine mit ebenmäßigen Zügen Anweisungen: „Lächle, zeig die Zähne, mach dir klar, wer du bist. Du bist eine, die auch noch schön ist, wenn zwei Fettsäcke ihr Mayonnaise aufschmieren. Du bist schön.“ Um die junge strahlend lächelnde Frau tanzten die Fotografen und entfesselten ein Blitzlichtgewitter. Die Menge johlte und applaudierte bei jeder lasziven Bewegung der Schönen. „Zeig was du kannst. Zeig her.“, schrie der blonde Teufel auf dem Podest. „Du kannst die Schönste sein. Wenn du nichts zurückhältst, wenn du ganz aufgehst in dem Willen“ – eine Fanfare erklang – „Germany´s next top model zu sein.“ Ein Kübel Jauche wurde von oben über die brünette Schönheit gegossen. Es stank. „Das ist deine ultimative Herausforderung. Jetzt zeigt sich, ob du´s wirklich drauf hast. Zeig´s uns. Das Geschäft ist hart. Nur die Stärksten überleben. Nur wer sich völlig im Griff hat, kann“ – wieder die Fanfare – „Germany´s next top model“ werden.

SIE war völlig sprachlos. Manolete hatte von irgendwo her eine Kamera bekommen und fotografierte eifrig mit. Ruut saß mit krummem Rücken und gefalteten Händen da und schien ein Mantra zu beten. Baader flüsterte nur immer wieder vor sich hin: „Geil. Geil. Geil.“ Gudrun war blaß vor Hass. „Da hast du es“, sagte ER. „Das vollendete Böse.“ SIE starrte ihn an. „Das blonde Ungeheuer. Für sie hat alles einen Preis. Die perfekte Ware. Unübertroffen.“ „Gefällt sie dir?“, fragte SIE. „Sie hat schöne Beine.“ „Willst du sie ficken?“ ER legte ihr die Hand aufs Knie. „Wie jeder. Wie keiner. Sie ist ausgepreist. Ich könnte sie nehmen. Oder lassen. Es wäre nicht das, was wir... Außer, dass es dich fühlen ließe...“ „Was?“ „Dass ich es bin.“ SIE legte ihre Hand auf die seine. Es gab jetzt keinen Rückweg mehr. „Das Böse.“ Sie schaute noch einmal zu der Blonden hinüber, bevor SIE sich erhob. „Der Alte hat das Gute so bestimmt: Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ „Sie ist kein Sklave.“ „Nein“ Sie waren unterdessen aus der Halle herausgetreten. Zwischen den Baracken wuchs ein wenig grünes Gras. SIE schob ihre Hand unter seine Lederjacke, lehnte ihr Gesicht an seine Brust. Einen Moment noch. Das Beben verstärkte sich. In der Halle hatte Gudrun die Waffe aus dem Hosenbund gezogen. Sie riss Andreas vom Sitz. „Die Drecksau.“ Sie schoss der Blonden auf dem Podest mitten zwischen die blauen Augen. Andreas verstand nichts. Außer zu schießen. Vom Schießen verstand er etwas. Wild ballerte er um sich. Manolete und Ruut schlossen sich – etwas widerwillig – an. Sirenen heulten. Panik brach aus. Menschen trampelten übereinander. Das Blut verschwamm fast in den schwarzen Teppichböden der Kulissen. Nur an der weißen Leinwand hinter der Brünetten, deren Leichnam von Jauche und Mayonaisse überzogen in schöner Streckung dalag, ergaben die Spritzer ein Gemälde wie von Jackson Pollock. SIE hob den Kopf. Ein Kuss. An dem die Welt zugrunde geht. Sie sanken nieder.


SIE: „Nur wir erregen bleibenden Abscheu.“
ER:  „Immer schon.“
SIE:  „War es wahr.“
ER:  „Wenn der Geist Körper wird.“
SIE:  „Sich die Flüssigkeiten vermischen.“
ER:   „Wie im Rausch“
SIE:   „Durch Raum und Zeit.“
ER:   „Mit Schleim und Sekret.“
SIE:   „Sich vereint.“
ER:   „Ich werde dich immer lieben.“


Es muss auch ohne Metaphysik gehen. Wir verabschieden uns ohne Bedauern.

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