(zuerst erschienen auf: Michael Perkampus´Veranda)
KÖRPER-SPRACHE(1): Boys peeping at nature (girls, too)
Dass die Körper sprechen, ist eine Binsenweisheit. Im Ratgeber-Regal jeder Buchhandlung finden Sie was dazu. Machen Sie sich schlau, entziffern Sie die Körpersprache Ihres Gegenüber, decken Sie auf, wann er lügt oder sie etwas verschweigt, setzen Sie Ihr Wissen ein, um mit Ihrem Körper zu punkten. Das interessiert mich nicht. Oder doch? Mich interessiert mein Körper und wie er wirkt. Auf mich, mit mir, durch mich, auf andere.
Und schon in dieser grammatischen Struktur steckt ein Problem. Wer ist denn „Ich“, die, der der eigene Körper im Dativ oder Akkusativ begegnet? Diese Formulierung setzt doch voraus, es gäbe – jenseits meines Körpers – ein Ich, das diesen auf sich wirken lassen könne. Als wäre mein Körper nicht ich. Descartes meint – und ich kann es ihm nicht verzeihen – genau so sei es: Weil ich immer noch „Ich“ sagen könne, wenn man mir das Bein amputiert, sei das Bein nicht „Ich“. Aber wäre mein Bein amputiert, wäre „Ich“ dann noch „Ich“, die, die spielerisch den Oberschenkelmuskel anspannt, die Ferse hoch zieht? Die wäre Ich doch nicht mehr. Phantomtanz. Das wäre dann die ohne Bein. Eine Andere, von der ich nicht weiß, wie die sich dann fühlt, wenn ich fühle, dass sich mir die Zehennägel kräuseln. Von wo steigt der die Wut hoch, wenn sie nicht deren Bein hoch kriechen kann? Wenn ich also hier die Sprache der Körper zu übersetzen versuche, dann werde ich nicht davon ausgehen, dass Ich eine Andere ist als der Körper, der spricht.
Mein Körper spricht jetzt: Ich sitze vor dem Bildschirm. Ich sitze aufrecht, versuche den unteren Rücken, wie ich im Yoga gelernt habe, gerade zu halten, was nicht immer gelingt. Ich ertappe mich dabei, wie ich an jener Stelle, hinten an der Wirbelsäule fast gegenüber des Nabels, immer wieder absacke, eine Krümmung erzeuge, die lange antrainiert und daher schwer abzugewöhnen ist. Ich sitze wie – glaube ich – ein Mann nicht sitzen würde: Sehr weit vorne auf der Stuhlkante, die Beine übereinander geschlagen (das rechte über das linke), den linken Fuß spitz sehr eng seitlich neben dem rechten aufgestellt. Lieber Leser, falls sie männlich sind, probieren Sie es aus. Wie fühlt sich das für Sie an? Ich weiß es nicht. Doch vermute ich, dass Sie es nicht sehr angenehm finden, denn ich beobachte kaum je einen Mann in dieser Haltung. Ich dagegen, eine Frau von 45 Jahren, finde sie angemessen. Sie ist nicht völlig entspannt (dann könnte ich nicht schreiben); sie ist aufmerksam-aufrecht-offen (oben) und auf sich zurückbezogen-geschlossen (unten). Jetzt ändere ich sie. Ich schiebe die Ellenbogen vor der Tastatur weiter auseinander und weite so den Brustkorb. Dann schlage ich die Beine auseinander und stelle sie gespreizt fest auf den Boden, die Füße etwa knapp einen Meter auseinander. Das entspricht, wie ich beobachtet habe, der Haltung vieler Männer (nicht aller natürlich; ich kann dieses „Gegen“-Experiment eben nur typisierend durchführen). Nein, das geht nicht. So kann ich nicht sitzen bleiben. Diese Haltung erscheint mir „unnatürlich.“ Was ich für Blödsinn halte. Sie ist ungewohnt. Sie entspricht nicht dem Selbstbild, das ich von mir habe. Ich nehme mich so nicht als „Ich“ war. Ich kann mich nicht entsinnen, dass je eine zu mir sagte: „Schlag die Beine übereinander, du bist ein Mädchen.“ Abgeschaut. „In Fleisch und Blut übergegangen“ dennoch. Ich glaube, dass ich durch den Selbstversuch (von dem ich hoffe, dass Sie ihn – Geschlechter kreuzend – nachvollziehen) belegen kann: Es gibt eine Geschlechterdifferenz. Sie drückt sich in der Sprache der Körper aus. Ich finde die Frage uninteressant, ob sie biologisch bedingt ist. Eher nicht. Aber sie ist. Prägend. Ich gehe also davon aus, wenn ich versuche die Sprache der Körper zu verstehen, dass ich bei Männern und Frauen auf Unterschiede stoßen werde.
Viele der Ratgeber, von denen oben die Rede war, versuchen uns weiß zu machen, die Körpersprache sei etwas „Natürliches“ (und folglich entweder von unserem „übernatürlichen“ Geist zu dominieren oder unterlaufe diesen „unterbewusst“). Diese (Hierarchie-)Ebenen interessieren mich nicht. Denn ich glaube nicht an die Natur „der Natur“. So natürlich ist die gar nicht. Die Natur nicht. Und die Körpersprache nicht. Lassen Sie uns ihr unter den Rock schauen. Wie die Putti in William Hogarth Subskriptionsticket von 1731: Boys peeping at Nature.
Hogarth´ Darstellung der Natur weicht von der tradierten erheblich ab. Sie wird von ihm als vielbrüstige Frau (das symbolisiert Fruchbarkeit) mit Haarputz gezeigt, geschmückt mit einer Kette, an der an Kreuz hängt, um die Hüften hat sie einen Rock geschlungen (sonst könnten Satyr und Putto ihr Geheimnis ja gar nicht „lüften“). „Die Natur“, scheint der Zeichner zu sagen, gibt es nicht, sie ist immer schon in Kultur versetzt. Doch lasst uns die „Natur des Menschen“ freilegen, seine unter den kulturell bedingten Attributen versteckten Triebe: Naturerkundung als sexuell konnotierter, lustvoller Akt. Nicht zufällig wird „die Natur“ mit dem weiblichen Körper identifiziert. Die Frau jedoch, die hier das Interesse der Putti-Künstler entfacht, ist keine entrückte Göttin aus der Antike, sondern eine erotische Straßenschönheit, wie sie einem durch die Gassen Londons streifenden Maler in den Blick fallen konnte. (20 Jahre später wird ein enttäuschter Hogarth diese „Naturschönheit“ durch ein antikisierendes Idealbild ersetzen. Da ist er mit seiner Kunst am Ende. Hier: Gebärmythen, Blasen, Schleim und das Gefühl)
Ich will die Sprache der Körper nicht analysieren (d.h. übersetzt ja: zerstückeln). Denn ich bin überzeugt, dass eine Analyse die Grazie (oder auch nur die Möglichkeit zur Grazie) letztlich zerstört. Ich möchte Bewegungslinien verstehen: wie wir uns in den Raum stellen, einander berühren, zeigen und vorführen. Die Sprache unserer Körper als die Sprache unserer Selbst. Ich habe keine Ahnung, wohin mich das führen wird.
Mit Michael Perkampus setzte ich mich darüber auseinander, wie Bataille zu verstehen sei. Er schrieb mir: „Was ist der Mensch, wenn er aller Fesseln lose… “das nicht festgestellte Tier”, … was nichts anderes meint, als dass er nicht in der Natur aufgeht. Das Bewusstsein, von dem wir keine Vorstellung haben, was es ist, fällt in die Zeit, ist kein bewusstes Sein, sondern reißt sich los und wird frei für einen Horizont an Möglichkeiten. Das gerade entledigt uns der Natur, wir bleiben nicht eingebettet in eine uns umgebende Welt, sondern wir verändern sie in dem Maße, wie wir bereit sind zu denken.“ Von meiner straßenschönen „Natur“ will ich mich nicht losreißen. Den Gegensatz zwischen Bewusstsein und Materialität, Geist und Körper gerade nicht gelten lassen, sondern im Denken auflösen, mindestens „in Bewegung“ versetzen. Auf der Gasse tanzen. Michael Perkampus schrieb auch: „Ich würde aus Prinzip schon vorschlagen, das Geschlecht zu neutralisieren.“ Ich widersprach. Und Sie sehen: Den Widerspruch führe ich fort und aus. Wenn die Körper selbst einfach sprechen (statt als unsere Objekte zu arbeiten, d.h. herzustellen), spricht sich aus, was Foucault „das Sein der Sprache“ genannt hat, „die Übertretung“. Dem will ich mich auf die Spur setzen mit meinem Körper: denkend und sprechend.
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