Mittwoch, 3. November 2010

PUNK PYGMALION (3)

Fortsetzung des Briefromans "Punk Pygmalion"
Teil 1: hier.
Teil 2: hier.

Emmi schreibt mir zu dem nächsten Brief von Ansgar, der im Oktober 83 aus Kopenhagen kam: „Ich erinnere mich, wenn ich diesen Brief lese, wie sehr ich mich vor Ansgar fürchtete und wie sehr ich mich gleichzeitig nach ihm sehnte. Er war so intensiv in allem, was er tat und wollte. Dabei konntest Du dich auf gar nichts verlassen, wenn Du mit ihm zusammen warst. Mal ließ er mich fliegen, mal stampfte er mich in den Dreck. Und wie unverschämt zum Schluss: dass mein Lied "süß“ sei. Aber im Grund hatte er Recht. Gott, wie naiv ich war. Auch, was meinen Pazifismus anging. Schämst Du Dich auch manchmal, wenn Du an damals denkst, wie ernsthaft dumm wir waren?“

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                                        Oktober 1983
Liebe Emmi!

als dein Brief kam, habe ich mich sofort hingesetzt und dir geantwortet. Aber dann habe ich all die Seiten wieder zerrissen, denn was ich dir geschrieben hatte, war einfach zu pessimistisch. Schreib mir bitte nicht: Du findest bestimmt eine in Kopenhagen. Ich denke an dich, an dein kleines Gesicht zwischen meinen Händen. Daran denke ich die ganze Zeit und wie du dich gehen lässt, wenn... Ich suche keine. Was ich von dir will, fragst du. Warum fragst du mich das? Ich will alles. Was wir schon hatten. Und immer wieder. Und noch viel mehr. Ich will dich. Was immer schief gelaufen ist und wenn ich dir nicht haben zeigen können, wie ich es meine und grob zu dir gewesen bin, das musst du doch gemerkt haben, Emmi, dass ich dich will.

Es ist wahr, meine Gefühle gehen hoch und runter, manchmal könnte ich schreien vor Glück und dann gegen die Wand trommeln, aber ist das ein Wunder? Wenn ich durch die Stadt laufe, Emmi, dann denke ich immerzu, du gingest neben mir. Ich müsste dich nicht mal dauernd anfassen, es reichte mir, dass ich es könnte, manchmal meine Hand ausstrecken nach dir. Wenn ich das denke, dann fahre ich die Hand aus und halte plötzlich in der Luft inne, dann wird mir klar, dass du nicht da bist und nicht kommst und ich könnte durchdrehen.

Gestern Nachmittag war ich im Theater und auch da habe ich mir während der ganzen Vorstellung eingebildet, du säßest neben mir. Wenn ich wollte, könnte ich  mit meiner Hand deinen Ellenbogen berühren und ich musste mich sehr zusammen reißen, sonst hätte ich meine Nachbarin einfach angefasst. Ich habe ein Stück von Dario Fo gesehen. Es war fantastisch. Es handelte vom Mord an Aldo Moro. Fo kämpft gegen das absurde, wahnwitzige Polizeisystem und den Bürokratismus in Italien ; aber was gezeigt wurde, könnte überall passieren. Du hättest dabei sein sollen, die verrückten Szenen hätten dir gefallen, kare Emmi.

Später war ich noch bei meinem Vater auf dem Boot. Es war wie früher, wie saßen im Wind; es wurde dunkel und wir schwiegen. Seit langer Zeit hatten wir nicht mehr so einen  Moment. Ich fühlte mich geborgen wie in meiner Kindheit, denn die Dunkelheit, der Wind und die Sterne haben sich Gottseidank kein bisschen verändert – nur er und ich.

Bitte habe keine Angst vor mir Emmi. Ich rede manchmal Unsinn, aber ich würde dir nie etwas tun. Sogar das Jagen, was ich früher mit meinem Vater tat, habe ich aufgegeben.  Ich fühle mich einfach zu nervös mit einer Waffe in der Hand. Ich bin immer noch gerne dort draußen im Wald, aber ohne Gewehr jetzt. Ich sitze still im Dunkeln und lausche den Enten. Ich will nicht mehr töten und ich möchte niemandem mehr wehtun. Glaub mir, Emmi. Was Du über den Freund schreibst, der die Gewissensprüfung wegen der Bundeswehr ablegen muss, macht mich für einmal froh darüber, dass ich hier bin. Ich könnte so einen Test jetzt nicht durchstehen, aber ich würde mich lieber selbst erschießen, als bei der Bundeswehr anzutreten. Ich will nicht gehorchen und ich will nicht üben, auf Menschen zu schießen. Ich glaube an den ganzen Quatsch nicht und ich denke, ich würde wahnsinnig dort.

Das Gegenteil davon ist die LIEBE. Daran glaube ich. Es ist das Einzige, das uns helfen kann. Wenn es mir schlecht geht, denke ich, dass wir demnächst einen dritten Weltkrieg haben werden und alles, was ich tue, vollkommen sinnlos ist, aber wenn es mit gut geht, könnte ich die Welt an jeden daher gelaufenen Teufel verkaufen. Weil meine Gefühle so stark sind, möchte ich schreien, jemanden hoch heben, dich küssen bis du ertrinkst an mir. Dann wieder denke ich, dass es die Liebe gar nicht gibt, dass wir im Zeitalter des HASSES leben. Als wir in Berlin waren, dachte ich manchmal: Big Brother is watching. Dann sah ich dir in die Augen und fühlte: Du bist wirklich. Emmi.

Ich hasse die Regierungschefs, das Fernsehen, die Zeitungen, mein Studium, den Bund, mich selbst. Alles. Außer dir. Alles außer dir füllt mich langsam mit etwas ab, das mich zerstört. Eine wie Du, Emmi, sollte einfach da sein können und nicht Probleme wälzen. Ich habe es Dir, glaube ich, schon einmal geschrieben: God is a young man (girl), too. Denk daran. Es ist wahr. Wir sind es.

Ich brauche deine Liebe JETZT.

Ich träume oft davon ein Baby zu haben. Ich glaube, das ist es, worum es im Leben geht. Aber in diese verdammte Gesellschaft können Leute wie du und ich kein Kind setzen. Du hast ein paar Gründe genannt in deinem Brief. Ich habe von einem Mädchen gehört, mit dem ich zur Schule gegangen bin. Ich habe sie lange nicht gesehen. Sie soll ein Kind bekommen haben. Sie hat keinen Schulabschluss und wohnt mit dem Kind bei ihren Eltern.  Natürlich will ich nicht, dass es dir so geht. Verdammt, Emmi, ich kann aber nicht anders als mir vorzustellen, dass wir zusammen gehören.

Du hast ein schönes Lied geschrieben. Es ist naiv und kindlich und süß. Das gefällt mir. Und Du.

SCHREIB BALD!

Ansgar



Emmis Mail endet mit dem Nachsatz: „Ich treffe Ansgar, habe ich dir das schon erzählt?, am 5. Dezember.“

2 Kommentare:

  1. Hat der dem Soldaten schon eine ganze Pfütze um die Beine gepinkelt?

    -Mal eine Frage: Gibt´s diese Emmi wirklich? Warum hat die sich das gefallen lassen? Der Typ ist doch total irre. (Auf Drogen?)

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  2. 1. Frage: Sieht so aus, oder?
    2. Emmi gibt´s hier. Sonst nicht. Ob Drogen eine Rolle spielen werden? Bestimmt. 1983.

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