Sonntag, 19. Dezember 2010

DER ABSOLUTE TIEFPUNKT

Der Economist titelt „The joy of growing old (or why life begins at 46)“. Warum haben sie mich das nicht früher wissen lassen? Ich hätte mir dieses Jahr viel mehr Ruhe gönnen können. Mir wäre dieses hektisch-panisch-zwanghafte sich um jeden Preis JETZT Verändern-Wollen erspart geblieben, mit dem ich gegen den Stillstand gewütet habe. All die Versuche endlich etwas zu tun, statt darüber nachzudenken, hätte ich getrost noch ein wenig aufschieben können. Denn mein Leben – wie ich nun lese – beginnt ja erst nächstes Jahr im April. Wohlig hätte ich mich einrichten können im Vor-Leben. Darin bin und war ich nicht einsam, nicht arm, nicht übermäßig unglücklich, sondern mittelmäßig (erfolg-)reich,  beliebt und glücklich. Was willst du mehr? ICH hat aber beschlossen, dass sie mehr verlangt. Mehr, mehr, mehr....MEER. Dass sie nicht genug getan hat und nicht genug kriegen kann und zwar jetzt und gleich und ohne Rücksicht auf Verluste (oder jedenfalls weniger Rücksicht), weil: morgen alles vorbei sein kann. Und: Du warst noch nie in Rom.




Schlägt man das Heft auf, erweist sich übrigens alles als mieser Betrug. Keineswegs fängt ein Leben mit 46 an. Mit 46 erreicht man vielmehr den absoluten Tiefpunkt. So Scheiße findet man sich nie mehr. Schöne Aussichten: Mehr Selbst-Zweifel, -Demütigung und -Hass als je zuvor: Was kannst du vorweisen? Du brauchst eine Lesebrille. Du bist so dämlich, dass sich mir die Zehen kräuseln. GREUBEISS. Hilflose Versuche, auf mädchenhaft zu machen. Angestrengte Verrätselungstaktiken. Feige wie immer. Du. Ich. Wir. Sie. Mit 46 wird es noch schlimmer, sagt der Economist. Das kann ich gut. Da halte ich mit. Mein Lieblingsmantra: „Das schaff´ ich nie.“ Dumme Kuh. Danach, behauptet der Economist, kann es wieder aufwärts gehen. Alte sind glücklicher. Warum? „Death of ambition, birth of acceptance.“ Darauf will man mich schon, seit ich zwölf bin, hin trainieren. Lass fünf grade sein. Mach dich geschmeidig. Nicht so schnell. Du solltest auch mal nachgeben. Nein: Fünf ist ungerade. Ich bin nicht biegsam. Tempo fugati. Ich will nicht aufgeben. Alte, stellt der Economist fest, werden immer glücklicher. Weil sie keine Ansprüche mehr haben, sondern zufrieden sind mit dem, was ist. Auf das Alter pfeif ich; ich will: Nicht glücklich sein. Unzufrieden bleiben. Lauter. Mutiger. Unbequemer


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2 Kommentare:

  1. "Perhaps acceptance of ageing itself is a source of relief.", sagt der Economist auch.
    Dieser Vermutung kommt viel Bedeutung zu, meine ich. Konrad Paul Liessmann hat einen Beitrag für "Der Standard" verfasst, welcher diesen Aspekt aus einem anderen Wahrnehmungswinkel beleuchtet (siehe dort).
    Älter werden ist mit einigen erheblichen Vorteilen verbunden. Ihr Beitrag ist ein sehr gelungener Anreiz, das wieder einmal zu bedenken, merci dafür!

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  2. Das Altern selbst muss man ja akzeptieren. Es ist praktisch alternativlos (Die einzige Alternative ist auch nicht so reizvoll!) Es fällt zwar schwer, den körperlichen Verfall hinzunehmen (Lesebrille!), klar, aber sei´s drum. Womit ich mich aber keinesfalls einrichten will, ist die Zufriedenheit. Ich habe viel Glück (das ist kein Verdienst). Glücklich bin ich nicht (Das ist eine Haltung - und ich will sie nicht ändern: mich nicht abfinden mit dem, was ist, und mit mir, wie ich grade bin.)

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