Montag, 28. Februar 2011

PUNK PYGMALION (10): ASGER JORN

Fortsetzung des Briefromans: Punk Pygmalion (1-9 Hier:)


Den letzten Brief von Ansgar an Emmi aus dem Dezember 1983 stellte ich vor über einem Monat im Blog ein. Ich könnte viele Ausreden vorbringen, warum ich die Herausgabe der Briefe solange unterbrochen habe. Die Wahrheit ist, dass ich Zeit brauchte, mit meinen widersprüchlichen Gefühlen umzugehen. Meine Freundin Emmi hatte mir im November 2010 einen Schuhkarton voller Briefe übergeben, die ihr in der Mitte der 80er Jahre Ansgar, ein Punk aus Kopenhagen, schrieb. Emmi, die sich  gerade von ihrem Mann getrennt hatte, traf  Ansgar wenig später nach mehr als 20 Jahren wieder und die alte Leidenschaft entflammte erneut. Was Emmi so heftig an Ansgar band, offenbarten mir diese Briefe nicht. Der besitzergreifende Ton Ansgars und die Erinnerung an die unheimliche Verwandlung der jungen Emmi nach der Begegnung mit ihm ängstigten mich vielmehr auf unbestimmbare Weise.  Andererseits zeigten diese Briefe mir, wie sehr auch Ansgar durch seine Gefühle für Emmi damals aus dem Lot geraten war.

Emmis atemlose Beteuerungen am Telefon, wie glücklich sie mit Ansgar sei, konnten mein Unbehagen nicht auflösen. Ich wartete darauf, sie von Angesicht zu Angesicht wiederzusehen. Letzte Woche haben wir uns  bei Kassel zu einem „Dornröschen-Wochenende“ getroffen. Als Emmi in Kassel-Wilhelmshöhe aus dem ICE stieg, erkannte ich sie kaum wieder. Sie wirkte um Jahre verjüngt, so lebendig und schäumend. Ansgar, der die 17jährige in den 80er Jahren zur düsteren Punkerin gemacht hatte, erzeugte diesmal offenbar die umgekehrte Wirkung: aus der verhärmten Mitvierzigerin war eine jubelstrahlende Verliebte geworden.

Dangerous kissing
Wir genossen das Wochenende, doch sprachen wir weniger über Ansgar, als ich erhofft hatte. Emmi schien kein Bedürfnis danach zu haben und mir fiel es wie früher schwer, direkt zu fragen. Nur zum Abschied bat sie mich: „Hör nicht auf, die Briefe zu veröffentlichen. Und, bitte, lass es diesmal gut ausgehen.“ Sie zog, bevor sie in den Zug stieg, ein Buch aus ihrer Tasche. „Das schickte er mir damals zum Geburtstag.“  In dem Bildband, den sie mir übergab, steckte eine Schwarz/Weiß-Fotografie der Kleinen Meerjungfrau, auf deren Rückseite stand. „Das ist mein Favorit: Asger Jorn. Schau: 117. Dangerous Kissing. Jeg elsker dig.“

Zu Hause suchte ich den Brief heraus, der zu diesem Geschenk gehörte:



März 1984


Liebe Emmi,

zum Geburtstag schicke ich Dir mit getrennter Post (weil es billiger ist) einen Bildband meines Lieblingsmalers Asger Jorn. Ich weiß, dass du Kunst magst. Jorn wird dir gefallen, wenn du ihn noch nicht kennst. Leider sind nicht alle Bilder in Farbe. Versuche, es dir vorzustellen. Wir werden die Originale zusammen in Silkeborg sehen, das verspreche ich dir, wenn du kommst im Sommer und du wirst kommen, nicht wahr, Emmi?

Ich will dir nicht so Zeug schreiben wie: „Als ich 18 wurde...“ Blablabla...Genieß es. Ich wünschte, ich könnte bei dir sein. Ich habe mich entschieden, das Studium abzubrechen. Das habe ich dir schon geschrieben, nicht wahr? Seit Wochen war ich nicht mehr dort. Mein Vater überweist die Miete nicht mehr. Keine Ahnung, wie es weiter gehen soll. Aber ich arbeite an einer Skulptur. Ich habe einen Steinmetz gefunden, der mich Nachts in seiner Halle hauen lässt.

Verdammt, Emmi, deine Gedichte gefallen mir, du wirst immer verrückter und genau das mag ich. Ich nehme noch eine Kasette für dich auf, damit du verstehst, was ich meine, mit den Sex Pistols, Siouxsie und Bandshees, ok.?

Ich höre immerzu „Berlin“ und denke an dich; ich schicke dir auch noch „Transformer“. Seine Stimme, da hast du recht, ist ganz besonders. Du hast geschrieben, dass du vor allem „Sad Song“ magst; aber, Emmi, ich kann dieses Lied kaum ertragen. Wie folgst du ihrem Schmerz und ihrer Liebe? - und vor allem: Wie erträgst du, dass er nicht schreit oder weint oder irgendetwas? Es erscheint mir so grausam, seine ruhige, kühle Stimme zu hören, die vom Selbstmord erzählt und dass es weiter gehen muss, aber wozu?  Sind es die Drogen, die ihn so unmenschlich machen oder ist er so unglücklich, dass er nicht mehr fühlen kann? Und einfach nur überleben will? (Manchmal, wenn ich mich nach dir sehne, höre ich mich „Sad Song“ singen, aber ich glaube dann nicht dran, dass ich das überstehe.) Naughty You. Fühlst du mich nicht?

Du willst, dass ich dir von meiner Skulptur schreibe, aber ich schaffe das heute nicht. Ich habe eine Menge Staub geschluckt beim Arbeiten. Es ist, als ersticke ich, aber ich weiß nicht genau, ob es der Stein ist oder deine Kälte, dass du nicht kommst, sondern so glatte Briefe schreibst. Du sagst, du liebst mich, aber ich kann es nicht fühlen, wenn du nicht bei mir sein willst.

Mit wem feierst du? Bitte, Emmi, schreib mir bald!

Ansgar

Beim Blättern durch den Bildband erinnerte ich mich daran, wie ich durch Emmi in dem Jahr vor dem Abitur die Kunst für mich entdeckte. Unsere Reise nach Paris in den Osterferien 1984, direkt nach dem schriftlichen Abitur, bei der wir eine Ausstellung über die Situationisten besuchten. Wie sehr ich erschrak, als ich ein Foto von Asgar Jorn sah. „Der sieht aus wie ein Zwillingsbruder von deinem Ansgar.“, sagte ich. Emmi nickte. „Wenn er ein Punk wäre.“ „Warum bist du nicht nach Kopenhagen gefahren?“ Emmi zuckte die Achseln. „Im Sommer.“

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