Sonntag, 20. März 2011

Die Selbstfesselung des Leviathans


Über Schuld und Schulden 

von Morel


Mit Schwert und Hirtenstab in der Hand erschien die moderne Gestalt des Leviathans 1651 auf dem Titelblatt von Thomas Hobbes gleichnamiger Schrift. Wer das Bild genauer betrachtete, konnte erkennen, dass sich der Körper des weltlichen Herrschers aus unzähligen Menschen zusammensetzt. Bekanntlich sind es Menschen, die in einen Gesellschaftsvertrag eingewilligt haben, um dem grausamen Naturzustand zu entkommen. Der Leviathan, Hobbes Bild für den modernen Staat, ist nichts anderes als unser gemeinsamer Verzicht auf Souveränität und Macht. Seitdem ist die Macht immer an einem anderen Ort und uns bleibt nur die Moral. 
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In Hessen nun haben die Bürger am nächsten Sonntag die Gelegenheit, den Leviathan in Fesseln zu legen. Denn zur Abstimmung steht die sogenannte Schuldenbremse. Diese Schuldenbremse, ergänzt um einige von der Opposition in das Gesetz hineinverhandelte Einschränkungen, setzt für das Land um, was auf Bundesebene seit dem letzten Herbst schon gilt und geht es nach unserer Kanzlerin möglichst bald auch in der Eurozone gelten soll. Staaten sollten möglichst keine neuen Schulden machen und die alten lieber heute als morgen abbauen. Ob das eine gute Idee ist, darüber will die Regierung lieber gar nicht diskutieren. Wie eine überteuerte Lebensversicherung, wird der Abstimmungszettel zur Schuldenbremse den lieben Hessinnen und Hessen am nächsten Sonntag in den Stimmzettel hineingeschmuggelt. „Ach ja, und wenn Sie hier noch unterschreiben, dann werden ihre Kinder auch schuldenfrei leben können.“ „Ja, wenn das so ist.“ Wer von Hobbes nur das berühmte Titelblatt kennt, kann zumindest ahnen, mit dem Ja zur Schuldenbremse fesselt sich der Souverän selbst. Ob das eine so gute Idee ist?

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Wer Schulden macht, ist zumindest in Deutschland moralisch anrüchig. Er lässt es sich heute schon gut gehen, ohne dafür gearbeitet zu haben. Das Schulden-Schlaraffenland gehört abgeschafft, sonst landen wir alle in der Hölle der Zahlungsunfähigen. Gegen dieses Denken schreibt der als „weissgarnix“ bekannte Blogger Thomas Strobl in seinem lehrreichen, amüsanten und im besten Sinne aufklärerischen Buch Ohne Schulden läuft nichts an. Er zeigt nicht nur, dass es keinen Kapitalismus ohne Schulden geben kann, sondern dass diese immer auch eine zweite Seite haben, die Vermögen heißt. Die bösen Staatschulden nämlich liegen als Anleihen im Anlagevermögen unserer Versicherungen und Betriebsrenten. Außerdem bringt der Staat das Geld auch wieder in Form von Investitionen unter die Leute, wenn er damit Brücken (nicht immer die berühmten nach Nirgendwo) und Universitäten finanziert. Brandgefährlich werden die immer weiter anwachsenden Schuldenberge erst dann, wenn die Versicherungen und Pensionskassen kalte Füße bekommen, weil sie nicht mehr daran glauben, dass die immer weiter anwachsenden Schuldenberge jemals wieder abgetragen werden können. Dann kommt die Finanzfeuerwehr und rettet ganze Staaten, als allerletzte Ausnahme bis zur nächsten Überraschung.  Strobls Buch endet daher auch in heiterer Verzweiflung: da es im Kapitalismus immer darum geht, Vermögen zu bilden, kommt er ohne dessen andere Seite, die Schulden gar nicht aus. Wie lange das noch gut geht, diese Frage bleibt aber auch hier offen.

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Und die Schuldenbremse? Nun sie ist ein Luxus, den sich keineswegs jeder leisten kann. Denn wenn alle ihre Schulden abbauen und ihre Investitionen einschränken, leben wir zwar moralisch einwandfrei, aber zunehmend eingeschränkt. Kapitalismus ohne Schulden ist wie Schnaps ohne Alkohol. Das schmeckt unseren Moralaposteln (besonders dann, wenn sie schon einen schönen Weinkeller angelegt haben), alle anderen aber sind auf Staatsschulden angewiesen. Und für die Feinde des Kapitalismus liegt die Lösung sowieso sehr nahe: denn es wachsen ja nicht nur die Schulden, sondern auch die ihnen entsprechenden Vermögenswerte. Wer diese reduziert, braucht auch keine Schuldenbremse. Der britische Ökonom Keynes nannte das die Euthanasie des Rentiers. Aber eine Steuererhöhung tut es ja auch. Auf seine Selbstfesselung muss sich der Souverän jedenfalls nicht einlassen.

2 Kommentare:

  1. Es ist schade, dass noch niemand das Thema "Geldschöpfung" aufgreifen will. Denn nicht die Verschuldung ist im Kern das Problem, sondern der daran geknüpfte Zinsendienst. Dass sich öffentliche Haushalte bei privaten Banken verschulden, ist lediglich eine (moralisch nicht zu rechtfertigende) Gepflogenheit unserer Zeit. Das ginge auch anders.

    Sie haben vollkommen recht mit der Grundaussage Ihres Beitrages. Konsequent zu Ende gedacht, gäbe es im derzeitigen Geldsystem nach Beseitigung aller Schulden kein Geld mehr, welches ein Warenangebot vom Markt kaufen könnte. Wirtschaft in der gewohnten Form würde unter solcher Prämisse sehr rasch zum Erliegen kommen.

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  2. Es sind nicht nur die Banken, sondern auch die von ihnen verwalteten privaten Vermögen. Ein Ende des Kettenbrief namens Kapitalismus würden eine allgemeinen Katzenjammer auslösen, nicht nur bei den fetten Katzen von der Wall Street.

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