Eins steht fest: Falls ich mal was aus einem Baumarkt brauche, wird nicht bei Hornbacher gekauft. Ich hasse deren Werbung fast genauso sehr wie die „Geiz ist geil“- Kampagne. „Es gibt immer was zu tun.“ Yippieh Yeah! Was für Idioten. Amazing guckte meiner Mutter und mir am Wochenende beim Blättern in den alten Fotoalben über die Schultern. „Siehste“, sagte er, „so warst du immer schon.“ „Wie?“ „So uncool. Immer auf dem Sprung. Guck den Onkel an. Der macht´s richtig. Der sieht relaxed aus.“ Weil das stimmt, obwohl ich es ihm gegenüber bestimmt nicht zugebe, brauche ich nicht noch die beknackt-fröhliche Aufmunterung von den Häusle-Bau-Terroristen. Ich brauche jemand, der mir sagt: Lass mal. Konzentrier dich mal auf eine Sache. Mach nicht so viel.
Immerhin habe ich das politische Tier ausgesperrt. Das kommt mir nicht mehr rein. Seitdem treffe ich mich wenigsten wieder abends mit Leuten, denen ich vertraue und mit denen man Spaß haben kann. Das ist ein Fortschritt. Aber die Projekte nehmen kein Ende, immer alles parallel – und:
„Da fällt mir noch ein...“
„Das wär doch toll....“
„Ja, super, das machen wir...“
„Bin ich dabei...“
Ein paar Stichworte gefällig: „Jugend debattiert“, Open Governance, Euro-Bonds, Keynes und Friedman, Jane Austen revisited, Hilda Doolittle, Dissens, Männerbilder, Depression, New Deal, Deutscher Sportbund, Web 2.0, Volkshochschule – Termine, Veranstaltungen, Planungen, didaktische Reduktion, Absprachen, Tickets. Und das hat alles nix mit dem Blog zu tun, sondern damit, wie ich Geld verdiene.
Die Schreibvorhaben: PUNK PYGMALION (Ich weiß jetzt, was Emmi von mir will. Das erfordert eine Umarbeitung des gesamten Texts.), Die Häutung der Puppe („Ich küsse mein Leben in dich. Die Martenehen, dito), SEX und STIL (Essay), „Taumelkelch“(Arbeitstitel zum Hörstück über Karoline von Günderode) usw. Wie lange kann ich Judith noch am Leben erhalten, wird Frau K. einmal morden und ist die Elbin verglüht? Ich weiß es nicht. Neue Fabelwesen sind erstanden aus der Scham: Perverse Phantasien. Trolle. Es schreibt mich fort. In meinem Kopf schreibt es schneller, als die Hand sich bewegen, die Finger tippen können. All die Bruchstücke und Ideen aus der Mark. Tucholsky, der Gesang der Sirenen, die Trübung des Sees. Doch alles ist erst geschrieben, wenn es geschrieben ist. Das muss ich mir immer wieder klar machen. Ich trage tausend Erzählungen mit mir herum. Keine von denen wird es je auf den Bildschirm oder das Papier schaffen. Jedenfalls nicht so. Vor dem Fenster glühen die rotgoldenen Blätter der Platane. Die Zeit eilt mir davon. Ich bin 46 Jahre alt und habe noch nichts geschafft.
Es gibt immer was zu tun. Fuck.
Mein größter Wunsch ist es immer mich focussieren zu können, mich nicht immer so schnell ablenken zu lassen. Dabei weiß ich genau, dass ich in Gefahr wäre unterzugehen, im Dampf der fremdbestimmten Arbeit, wenn ich meine Überlebensstrategie nicht hätte.
AntwortenLöschenOh Gott, Melusine, wenn S i e nichts geschafft haben, wer dann? Was sind Sie doch für ein extremes Weib! Wie wär's, Sie ändern die Einstellungen auf Ihrer Waage, nein besser, treten das verflixte Ding einfach zusammen? Sie sind umwerfend gut - genießen Sie's auch gelegentlich! : )
AntwortenLöschen@Claudia - Ich wünschte mir das auch immer. Inzwischen weiß ich, dass ich nur aus dem Chaos heraus produktiv sein kann, viele lose Enden, lauter Knäuel, Wirrnis, daraus fädele ich dann. Immer Material ansammeln, irgendwann schiebe ich alles mit großer Geste vom Tisch und dann entstand was...Das mit der "fremdbestimmten" Arbeit kenne ich auch. Obwohl das meiste, von dem, was ich für Geld tue, mich auch interessiert. Nicht alles, allerdings.
AntwortenLöschen@Phyllis Das Lob freut mich arg! Ich wünschte halt immer, ich bekäme mal etwas "fertig". Theoretisch weiß ich, dass, was ich mache, nie "fertig" wird. Aber... Ich lese gerade ein Buch über Jane Austen und muss immer an Virginia Woolfs Urteil in "Ein Zimmer für mich allein" denken: dass Austen perfekt war. Und wie diese Perfektion nur aus der Gelassenheit entstehen kann. Nicht, dass ich mich mit Jane Austen vergleichen will - aber es ist was dran, dass dieses hektisch-hysterisch Gefuchtel, das immer tausenderlei Dinge ergreift und fallen lässt, ALLES eintrübt. ---Und das betrübt mich (zuweilen). Aber - wie alle - kann ich nicht aus meiner Haut...
solltest du sonst noch "eingetrübtes" haben, das nicht auf diesem weblog zu sehen oder zu lesen ist - her damit! was ich von dir kenne, find ich grossartig.
AntwortenLöschenIch wusste ich habe Recht!! Habe ich in den meisten aller Fälle!!!
AntwortenLöschen@Markus Du lässt mich erröten. Aber ich freu mich auch.
AntwortenLöschen@Amazing Ertappt. Ich geb´s diesmal zu. Nur diesmal!
Liebe Melusine, ich kenne kaum eine Person, die fertiger wäre als Du, fertig im ursprünglichen Sinne von fährtig = bereit, beweglich, die mit großer Fertigkeit Dinge fertigstellt, und seien es nur Teilbereiche, und dies so gut, dass es mich manchmal fertig macht - im Sinne von bereit, beweglich ...
AntwortenLöschenBitte weiter so!
Zur Etymologie:
"fertig
etymologie,linguistik — 1.04.2011
ein etwas schwierigerer fall ist fertig. die meistens muttersprachler können das wort vermutlich spontan nicht direkt an anderes wortmaterial anschliessen. dennoch ist die erklärung des wortes eigentlich relativ naheliegend; als hindernis entpuppt sich vor allem die orthographie. hält man sich einmal die (hochdeutsche) aussprache vor augen (bzw. ohren), ist es nicht allzu schwierig, auf eine verbindung zu fahren, fahrt und fähre zu schliessen. würde das wort (etymologisch richtig) fährtig geschrieben, wäre der zusammenhang sogar offensichtlich. das wort hängt mit fahren oder genauergesagt mit dem abstraktum fahrt zusammen: es ist ein von letzterem abgeleitetes adjektiv mit der ausgangsbedeutung ‘zur fahrt bereit, beweglich’. man kann sich vorstellen, dass es zunächst für einen zur abfahrt bereit gemachten wagen, eine zu transportierende ware, eine reisebereite person oder etwas in der art benutzt wurde, bevor es in seiner bedeutung verallgemeinert und für ‘bereit’ im generellen sinn, später auch für ‘abgeschlossen’ oder ‘erledigt’ verwendet wurde."
Quelle: doink.ch
oder auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Fertig
@ Danke, Iris.
AntwortenLöschenFährtig - das ist schön! Ich werde heute Nachmittag auch bei den Grimms noch einmal schauen. Wunderbar - ich muss nicht fertig werden, weill ich fährtig bin. Das wird mein Mantra.
Was für ein toller Hinweis, liebe Iris, ich habe jetzt im Grimmschen Wörterbuch nachgeschaut und bin schon wieder ganz ---fertig! Da mache ich einen Wortschatz-Text daraus (oder mehrere!).
AntwortenLöschenSchön! Material, wohin man sieht. Nur nicht davon fertigmachen lassen. ;-) Ich bleibe gespannt.
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