Donnerstag, 17. November 2011

PUNK PYGMALION (19): Im Rausch

Fortsetzung des Brief- und Blogromans: PUNK PYGMALION (Hier:)

L.P. 1984: We are the dead

Emmi droht und bittet.  Ich soll weiter Ansgars Briefe einstellen. Allerdings meldet sie sich nur über die Kommentarfunktion im Blog. (Hier:) Auf meine Mails antwortet sie nicht. Sie benutzt Proxy-Server, damit ich nicht sehen soll, von wo aus sie schreibt. Ich kann hier nicht so einfach weg. Verstehst du nicht, Emmi? Ich habe eine Familie, einen Beruf, ich kann nicht alles stehen und liegen lassen, um dich zu finden. Denn darum geht es jetzt, nicht wahr? Ich muss dich finden, bevor ein Unglück geschieht. Damit drohst du mir. Dass ich Schuld sein werde, wenn du...Das weiß ich eben nicht, was sie vorhat. Zum ersten Mal schreibt sie in einem Kommentar von dem jungen Mann, dem Ansgar-Lookalike, den sie bei sich hat. Ist es in Wahrheit diese Pygmalion-Geschichte, die ich erzähle soll? Wie Emmi sich den Jungen nach Ansgars Bilde schuf?

Im August 1984 schrieb Ansgar ihr aus der Nähe von Barcelona:


Hy Emmi,

heute kam dein Brief und ich habe Zeit zu antworten, weil ich mal nicht rausgehe. Die letzte Woche war ich mit einem Typ unterwegs in Barcelona an total verrückten Orten, Clubs, Discotheken, Kneipen, wo schrille Leute rum hingen, Freaks, Punks, Sadomaso, Homos. Wir waren ziemlich drauf; du bekommst hier Drogen an jeder Ecke und ich will mich für alle Erfahrungen öffnen. Ich sah dich im Rausch, sah dich berauscht. Weißt du? Du bist in allen Frauen, in allen ist was von dir.

Ich spüre diese Kraft in mir hier, die ich so lange vermisst habe. Ich weiß, dass ich einen Felsen den Berg hinaufrollen könnte. In meinen Tagträumen lasse ich ihn hinunter rollen und er zermalmt alle  Idioten, ihr Blut spritzt an die Wände der Häuser, während ihre Leiber in den Gassen zerdrückt werden. Ich bin nie lebendiger, Emmi, als wenn ich hasse. Und liebe, natürlich. Aber in meiner Liebe steckt auch viel Gewalt, ein Drang, dich völlig zu besitzen. Auch deinen Körper will ich auf eine Weise öffnen und mir zu eigen machen, die keine Grenzen gelten lässt. Und ich fürchte mich vor den Konsequenzen. Komm nicht, möchte ich schreien. Bleib fort, denn ich verändere mich; es geschieht unter der Sonne etwas mit mir, was ich nicht unter Kontrolle habe.

Bitte nimm das nicht wörtlich, es ist der Einfluss der Drogen, der auch, und die SEHNSUCHT. Ich hätte nie wegfahren dürfen ohne dich. Dein Brief bedeutet mir viel und ist eine echte Stimulation für mich, er macht mich glücklich und traurig und wütend. Ich kann mich fühlen. Ich kann mich immer fühlen durch dich.

Bitte komm.

Ansgar


Ich fragte deine Mutter, Emmi. Sie erinnerte sich, dass du am Ende dieses Sommers alleine nach Südfrankreich fuhrst in euer Ferienhaus. Aber ob du wirklich dort bliebst oder weiter nach Barcelona reistest, das wusste sie nicht. Dein Vater wollte dir zeigen, dass er dir vertraute, sagte sie. Sie weiß nicht mehr, wie du zurückkamst. Sie glaubt, dass sie damals zu einer Fortbildung war. Dein Vater sei besorgt gewesen, meint sie. Irgendwie seiest du ihm fremd gewesen, habe er am Telefon einmal gesagt. Aber dann gingst du zum Studium fortund von „diesem schrecklichen Punk“ hörten sie nichts mehr. Alles schien in Ordnung.

Ich weiß, dass der Schlüssel zu dieser Erzählung in Kopenhagen liegt. Mir fehlen Zeit und Mittel herauszufinden, was aus Ansgar wurde, dem Punk, der heute Ende vierzig sein  müsste, den du vielleicht im Sommer 84 bei Barcelona trafst und dann... nicht mehr?

Björn, dein Exmann, hat sich bei mir gemeldet. Auch das sollst du wissen, Emmi. Er macht sich Sorgen wie wir alle. Ich treffe ihn am Wochenende. Vielleicht bringt dies Gespräch ein wenig Licht ins Dunkel.

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