Montag, 20. Februar 2012

INSTANTHISTORISMUS. Generation Schirrmacher

Ein Beitrag von Morel


People try to put us d-down (Talkin' 'bout my generation)
Just because we g-g-get around (Talkin' 'bout my generation)


Irgendwann in den 80er Jahren erschien im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Text eines unbekannten Autoren, der auf drängende, leicht pathetische Weise seine Generation anklagte. Der Autor blieb seinem Thema und seinem Sinn für Dramatik in den folgenden Jahrzehnten treu. Immer gab es etwas anzuklagen: das Versagen der Linken vor der deutschen Einheit, den ausbleibenden deutschen Gegenwartsroman, die Ignoranz gegenüber naturwissenschaftlichen und demographischen Erkenntnissen und nun auch noch das Versagen des Kapitalismus. Trotz seines Daueralarmismus war Frank Schirrmacher einer der ideenreichsten Journalisten Deutschlands, mit gutem Gespür für aktuelle Themen und neue Ideen. Ruft man sich seine Karriere in Erinnerung, erstaunt es, dass er nun behauptet, seine Generation sei die erste gewesen, die "nichts durchsetzen" musste. Die Veränderungen der letzten Jahrzehnte, abzulesen auch an seiner Zeitung (die heute einen bekennenden Leninisten beschäftigt,beinahe monatlich eine neue Revolution ausruft und sogar ein Bild auf der Titelseite druckt) geschahen also von alleine? Bezieht er die Leere, die der Rücktritt des Präsidenten angeblich hinterlassen habe, auch auf sich selbst?

Schauen wir uns seinen letzten Text, erschienen am 19. Februar 2012, einmal genauer an. Schirrmacher behauptet, dass Wulff zu den Babyboomern gehöre, die in Deutschland politisch alle gescheitert seien (genannt werden dann vor allem einige CDU-Politiker). Der Grund dafür sei, dass sie niemals für ihre Ideen kämpfen mussten, da sie als Masse den Markt schon immer auf ihrer Seite hatten. Gegen ihre Kaufkraft hatte die "Autorität der Eltern und Lehrer" keine Chancen. Daher seien auch die Babyboomer die Propagandisten des schlimmen Neoliberalismus gewesen. Jetzt aber gehen sie in Rente und hinterlassen nichts als Probleme. Zum Schluss keimt Hoffnung: vielleicht kommt die "totenähnliche Erschöpfung" (an schiefe Metaphern haben sich Schirrmacher-Leser leider auch gewöhnt) unserer Gesellschaft mit der Pensionierung der Babyboomer an ihr Ende.

Im Grunde typischer Instanthistorismus: zwei Tage, nachdem der blasse Präsident den Fernsehbildschirm verlassen hat, tritt der Journalist schon mit der historischen Einordnung hervor. Nicht irgendein korrupter Politiker ist gescheitert, sondern gleich eine ganze Generation. Der Begriff "Babyboomer" entstand in den USA, wo er die Generation  der um 1940 Geborenen meinte. In Deutschland setzte der Boom dann erst in den 50er Jahren ein, bis er dann in den 60ern wieder abebbte.  Für Schirrmachers Argumentation ist es entscheidend, die von ihm im letzten Jahrzehnt für alles Mögliche verantwortlich gemachten "68er" von den "ideenlosen" Babyboomern zu unterscheiden. Dabei gerät er in jeder Kurve seiner historischen Rennstrecke ins Schlingern.  So gehören die Grünen nicht dazu, weil Idee, die Bundesbankideologen und Milton-Friedmann-Leser der 70er Jahre aber doch, weil Kapitalismus. Außerdem ist schon die Behauptung, eine Mehrheit würde sich allein aufgrund ihrer puren Masse durchsetzen hanebüchen. Lange Haare, Gleichberechtigung, das Abtreibungsrecht und sogar Miniröcke - nichts war beim ersten Mal in irgendeiner Kleinstadt selbstverständlich. Und das gilt bis in die 80er Jahre für jedes deutsche Provinznest, durchgesetzt ist gar nichts, bis es einer macht. Der erste Punk in einer Sauerland-Kleinstadt musste sich vor Prügel in Acht nehmen, bis er endlich ein "die ganze Gesellschaft erfassendes Antriebsaggregat" war. Die erste Frau, die sich in einer gutbürgerlichen Vorstadt scheiden ließ, konnte sich die Kaffeeklatscheinladungen lieber Freundinnen für eine Weile sparen. Die Beispiele zeigen: nicht jede Veränderung geschah mit Hinblick auf den Markt (wenn auch die meisten durch auf diesen Markt verdiente Gehälter erleichtert wurden). Und nehmen wir die neoliberalen Heiligen unserer Tage: Wer den ersten PC auf den Markt bringen oder die Leute von ihren Platten- und CD-Sammlungen abbringen möchte, kann sich des Gelächters der meisten Journalisten und Investoren gewiss sein. Es sind eben nicht irgendwelche Generationen, die Veränderungen bewirken, sondern Menschen. Später mögen dann begabte Historiker vielleicht das Gemeinsame erkennen. Dagegen ist die dauernde Angst um die Zukunft, der Versuch, aus irgendwelchen Ähnlichkeiten alle paar Tage eine Generation zu konstruieren, logischerweise gegenwartsvergessene Schwäche. Als könnten wir die zukünftigen Historiker mit unseren Selbstdeutungen beeinflussen. Wahrscheinlicher ist, dass sie uns nicht verstehen. Und noch an einer anderen Stelle hängt Schirrmachers Argumentation in der Luft: historisch ist eine Mehrheit ohne Kaufkraft erheblich häufiger zu beobachten als die böse Masse der ihre Popmusik durchsetzenden Anhänger des Neoliberalismus. Wer sich Neues wünscht, täte gut daran, auch über Verteilungsfragen nachzudenken. Denn die Freiheit, seine eigenen Ideen zu verfolgen, gibt es nicht umsonst.  Selbst in einer Zeitung nicht.

Quelle: http://www.welt.de/multimedia/archive/00961/schirrmacher_teaser_961389p.jpg

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen