Montag, 20. Februar 2012

NACHTAKTIV ("Karneval ist - immer noch - abgesagt!")

Letztlich ist es nicht zu bedauern, dass ich die Welt niemals aus jenem Blickwinkel sehen werde, aus dem du sie siehst. Obgleich wir uns danach sehnen zur Übereinstimmung unseres Denken und Fühlens zu gelangen, wäre am Ende nicht nur der Verlust an Vielfalt und Lebendigkeit zu bedauern. Tatsächlich ist es so, dass ich dir jenen einen Platz, von dem aus du dich einlässt auf Welt und mich, streitig machte, wenn ich versuchte, mich genau dahin zu stellen. Erschriebe ich mir jetzt also deine Art die Augenbrauen hochzuziehen, deine Tenorstimme und deinen slawischen Vater, tauschte ich die ein gegen meine Trinkfestigkeit und meine rollenden Mittelgebirgshügel oder täte auch nur so, als könnte ich schreiben, was einer wie du schreiben könnte oder eine wie sie, meine farbige Freundin aus Togo, oder einer wie er, mein junger Freund mit asiatischen Wurzeln, so erstickte ich damit euer aller eigene mögliche Worte im Keim. "Alles ist Fiktion", hatte ich geschrieben und ich stehe auch dazu. Ich erschreibe mir eine erlogene Welt in den Grenzen meiner Phantasie. Ich phantasiere euch alle herbei, meine Lieben und Feinde und gleichgültigen Begleiter, meine Kolleginnen, Chefinnen und geistreichen Kommentatorinnen. Aber ich sage nicht, dass ich ihr bin und euch schreibe, denn über euch weiß ich nichts, als was ich mir erdichte - und also immer: mich.

(Dass, Leser:innen, sollt ihr wissen, von woher ich euch Geschichten erzähle. Was kann ich denn für die irren „Ludenhoffs“? Hört auf mir gehässige Mails zu schreiben!)

Warum manche Frauen älteren Männern vertrauen? Mir hat sich das nie erschlossen, so wenig wie der geheimnisvolle Grund, aus dem weibliche Wesen im Pulk zur Toilette gehen. Ich pisse lieber allein und ohne Begleitung. Wir müssen hier nicht näher auf den designierten Bundespräsidenten eingehen, von dem ich so wenig halte wie von der Wirklichkeit. Hegelianerin war ich nie. Mir wäre es lieber der Weltgeist ritte nicht auf einem Gaul daher. Denn ich mag keine Gäule, keine Katzen und keine Hunde. (Es ist mir scheißegal, wenn Sie mich jetzt entfreunden.) Ein Herr Schirrmacher hat meiner Generation ein übles Zeugnis ausgestellt, höre ich. Dagegen halte ich nicht ohne Stolz, dass unsereiner die Nation und die Welt mit keiner allumfassenden Ideologie beglückte, sich nicht bei schlechtem Wetter in Graben verschanzte, um anderer Mütter Kinder totzuschießen und stattdessen die meiste Zeit friedlich shoppen ging. Zu unseren Lasten schlägt unbestreitbar zu Buche: unser ungehemmter Ressourcenverbrauch und dass wir unseren Kindern viel Tausch- und wenig Gebrauchswerte hinterlassen werden. Wir haben aber auch aufgehört, an einfache Lösungen zu glauben, finden gelassene Leute ohne Heldenbiographie angenehm und viele von uns gehen gern mit ihren alten Eltern spazieren. Das ist doch auch was wert, sage ich, gegen eure ganze Werteverfall-Litanei. Wenn man das politische Establishment, die Talkshows, den „maßgeblichen“ Feuilletonbetrieb, das öffentlich-rechtliche Fernsehen und die Reality Soaps bei den Privaten ausblendet, sieht die ganze Sache sogar ziemlich freundlich aus. Zum Abendessen gab es Rouladen mit Rosenkohl und nur zwei Beleidigungen, die Wäsche ist aufgehängt und die Heizung hat auch diesen Winter durchgehalten.

(Toi.Toi.Toi.)

Ich werde mir eine Herausgeberin für meine fiktive (Auto-)Biographie erfinden. Dass ich dieser Frau nur bedingt sympathisch bin, versteht sich von selbst. Es wird sich herausstellen, dass sie auch nicht weiß, was sie an mir findet. Mir fehlt als Romanfigur einfach alles: das unglückliche Liebesschmachten, die seelische Not, der moralische Konflikt, der tiefe Weltschmerz. Dagegen vermag mein hysterisches Wesen mit ein paar wilden Schwankungen („Erzähl mir einen Schwank aus deinem Leben!“) die dräuende Leere mit Licht, Wärme, Positivität anzufüllen. Gegen den drohenden Eskapismus aber setzen wir sofort die Ungemütlichkeit des Pogo-Tanzens: Head bang! Baby!, der Stilbrüche und Genrewechsel.

Ach – und außerdem: Nicht vergessen!

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