Montag, 12. März 2012

Englische Notizen. Dritte Lieferung: KULISSENWELT

Ein Beitrag von Morel


I'm not afraid now of the dark anymore
…People always bored me anyway
John Cale, Half Past France

Quelle: http://tinker-tailor-soldier-spy-trailer.blogspot.de/
Benannt nach einer literarischen Figur von Rudyard Kipling, inspirierte er eine ganze Reihe von Geheimagenten in gedruckter und verfilmter Form: Kim Philby, einer der Cambridge Five, rekrutiert in jungen Jahren, als der Kommunismus seinen Glanz noch nicht verloren hatte, von einer schönen Österreicherin in Wien, damals noch ein Labor der Moderne, voller Unruhe und Gerüchte, kurz vor der Kapitulation vor der Antimoderne. Spione und Verräter scheinen bis heute eine englische Spezialität zu sein – von den abgebrühten Abenteurern Eric Amblers bis zur eleganten Menschenverachtung James Bonds. Während das individualistische Amerika der Welt den Privatdetektiv schenkte und Deutschland sich nach dem Krieg an die Autorität väterlicher Kommissare klammerte, zeigte sich England von Männern und Frauen aus der Oberschicht mit Doppelleben fasziniert. Als wäre das Leben eine Bühne, bei der es Applaus nur dafür gibt, dass jemand auch dann nicht aus der Rolle fällt, wenn er gegen seinen Typ besetzt wird. In einer dunklen Wendung sind es aber nicht Eitelkeit und Überschwang, die auf diese Bühne treiben, sondern der scheiternde Versuch die Distanz zu den Mitmenschen zu überwinden, die gleichzeitig lebenswichtige Notwendigkeit bleibt. Weil das Gesicht hinter allen Masken unsichtbar bleiben soll. Eine Version dieses Schauspiels bot noch bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts der Homosexuelle, der eine respektable Ehe führte und sich im Berufsleben am liebsten mit jungen Männern umgab. Und seine sexuellen Präferenzen durch exquisiten Geschmack für Kleidung und Design signalisieren musste.

*

In dem brillanten, allerdings nicht von einem Engländer, sondern von einem Skandinavier gedrehten Spionagefilm Tinker Tailor Soldier Spy ist es daher nicht zufällig die Homosexualität, die ein erotisches Flirren in diesen in verblichenen Farben und vor Retrochic-Tapeten gedrehten Ausflug in den kalten Krieg bringt. Denn Frauen spielen hier kaum eine Rolle. Einmal ist auf einen Graffiti zu lesen, ihnen gehöre die Zukunft. George Smiley, der einen Maulwurf im englischen Geheimdienst entlarven soll, erwacht nur in der Arbeit zum Leben, der er in einer zweckentfremdeten Privatwohnung nachgeht. Das Privatleben ist nichts als eine weitere Kulisse, hinter der ein leeres Wohnzimmer wartet, in dem der Spion als Gespenst die Fernsehnachrichten verfolgt. Erst ganz am Schluss sehen wir ihn zusammen mit seiner Frau, die ihn, wie er weiß,  mit einem seiner Kollegen betrügt. Dieser aber liebt weder sie, noch den Mann, der ihn liebt. Wie viele Nihilisten sucht er im Verrat an einem Land, das sich in automatisierten Ritualen und entkernten Formen ergeht, eine schon lange verlorene Substanz  wiederzubeleben. Verrat als die einzig mögliche Form der Treue. Der einzige Fanatiker in diesem Spiel ist Karla, der russische Gegenspieler von Smiley, der ihm sein Hochzeitsgeschenk gestohlen hat, ein goldenes Feuerzeug, das ihm dabei hilft seinen Gegner zu verstehen. Aber Smiley weiß, dass jeder Fanatiker verletzlich ist, weil er einen geheimen Zweifel verbirgt. Nur wer hinter allen Masken kein Geheimnis birgt, wird überleben. Der Versuch, diese Kulissenwelt, die nicht zufällig Zirkus heißt, zu verlassen, um endlich das angeblich wahre Leben zu beginnen, endet notwendiger Weise immer tödlich. Als einer der Agenten sich in eine von ihm zum Verrat überredete Russin verliebt, unterschreibt er ihr Todesurteil. Die Gefühle sind hier nicht wahrer als die kalkulierende Vernunft, immer aber gefährlicher. Einen Ausweg aus diesem Spionage-Labyrinth bietet nur die Ironie, nicht als dumme Witzelei, die signalisiert, es sei etwas anderes gemeint als gesagt, sondern als Prinzip der Distanz zum eigenen Ich. Denn nur dann gelingt es zu verstehen, wie der Gegner einen von außen sieht. Wer sich zu ernst nimmt, geht dagegen, und sei es heroisch, unter. Allein die Ironie ermöglicht es, das Labyrinth von oben zu sehen. Aber wie für alles, ist auch für diesen Blick ein Preis zu bezahlen. Am Ende wird man wie der Spion in John Cales Song Half Past France vom Jahrhundertalbum Paris 1919 enden, an die Dunkelheit gewohnt, aber einsam.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen