Über William Hogarth´s "Analysis of Beauty"
Analysieren
heißt auf Deutsch zergliedern, zerstückeln. Man sollte
das ernst nehmen. Analyse bedeutet Auseinandernehmen. Wer analytisch verstehen
will, muss seine Gegenstände präparieren. Die meisten Präparate sind zum Glück tot. Dann
kann man die Organe entnehmen oder die Extremitäten abschneiden: mal schauen,
was drin und dran ist. Analyse an lebenden Objekten ist mit schmerzhaften Amputationen
und Entnahmen verbunden. Zurück bleibt Verstümmeltes. Gute Chirurgen operieren selbstverständlich nur im
Notfall. In der logozentrischen
Welt aber will jeder Chirurg sein. Das Lebendige zählt wenig. Die Kunst gehört ins Museum und die Literatur ins Seminar, wo sie dem analytischen Geist zur Verfügung steht und ausgeschlachtet wird.
William Hogarth: Analysis of beauty, Tafel I |
Weil dieser Akademismus auf dem Vormarsch war (dessen Siegeszug bis heute unvermindert anhält, auch wenn sich die beteiligten Armeen in Sektierergrüppchen gespalten haben), hatte er analytische Beweise bitter nötig, als er sich an seine „Zergliederung der Schönheit“,
machte. Es sollte seine letzte Verteidigungslinie werden in einem Krieg gegen
die „hohe Kunst“, die schon auf dem Weg in die Museen war. Ein verzweifeltes Rückzugsgefecht
also, ein Versuch sich dem Publikum zu erklären, das er verloren hatte; eine Linie zu ziehen zwischen seiner Kunst,
die sich noch brauchen lassen wollte wie ein Straßenmädchen und jener neueren,
die sich nur noch gegen beste Bezahlung im gediegenen Umfeld ausstellte oder
als „soziales Kapital“ den Wert des monetären vermehrte.
Erst
einmal musste das Auge beschnitten werden. Das ist die erste, notwendige Operation. Das
analytische Auge darf nicht schweifen, schon gar nicht abschweifen: „Damit man mich recht versteht, wollen wir
uns jeden Gegenstand, den wir betrachten werden, so vorstellen, als ob er
vollständig ausgehöhlt wäre, so dass nur eine dünne Schale übrigbleibt, welche
sowohl in ihrer inneren wie äußeren Fläche mit der Gestalt des Gegenstandes
genau übereinstimmt. Weiterhin wollen wir annehmen, dass diese dünne Schale aus
sehr feinen, dicht miteinander verknüpften Flächen besteht, die vom Auge sowohl
von innen als auch von außen als gleich wahrgenommen werden.“ Das
analytische Auge höhlt den Gegenstand seiner Betrachtung aus. Den lebendigen
Leib verwandelt es in eine tote Hülle, die gefangen wird im
Fadengespinst abstrakter Linien. Die lebendigen Körper fallen diesem Blick
gleichsam als ausgehöhlte Mumien anheim.
Mit
dieser Anleitung führte William Hogarth einleitend vor, dass die Prinzipien der
Schönheit sich nurmehr als und durch Sezierung der Körper freilegen lassen. Im
Zentrum seiner „Zergliederung der Schönheit“ (Analysis of Beauty, 1753) steht die
menschliche Gestalt. Sie wird vom Blick des Schönheitsforschers entkernt,
zerlegt und mit Drähten werden die Teile wieder aneinander gebunden. Er
verwandelt den menschlichen Leib in eine Körpermaschine. Doch soll zuletzt, das
bleibt das Ziel, die gewalttätige Analyse hervortreiben, was das Auge des
Betrachters „am meisten zu vergnügen und
zu unterhalten“ vermag. Noch einmal will der Bilderkämpfer „studies and pleasures“ vereinen. Doch
wird ihm unter der Hand die Freude am Schauen analysierend zur Tötung des
Geschauten.
Bei
William Hogarth wird die Schönheit auf das Prinzip der Schlangenlinie zurückgeführt.
Die abstrakte, gewundene Linie ist jedoch nicht per se schön. Ihre Schönheit
ergibt sich vielmehr aus ihrer polyvalenten Funktion, ihrer Fähigkeit, sich dem
Gegenstand der Darstellung gleichsam anzuschmiegen und ihn in seiner Vielfalt
und Besonderheit zur Erscheinung zu bringen. Die Schönheit der „Line of Beauty and Grace“ erzeugt sich
durch ihre Beweglichkeit. Die Polyvalenz der Linie wird von Hogarth unter sechs Überschriften
gefasst: 1. Fitness, 2. Variety,
Uniformity/Regularity/Symmetry, 4. Simplicity, 5. Intricacy, 6. Quantity.
Zweckmäßig
und angemessen, variantenreich, symmetrisch, einfach, knifflig und bedeutend soll
das Schöne sein. (Ganz schön verwickelt und widersprüchlich das!) Hogarth entdeckt,
indem er die Anforderungen an die Schönheit durchbuchstabiert, dass das vollkommmen Regelmäßige, die Übererfüllung der Normen, keineswegs als schön empfunden wird. Ein
ebenmäßiges Gesicht soll nicht flächig und platt erscheinen. Dazu ist es nötig,
die Körper in Bewegung zu versetzen, bemerkt er:
„Denn wenn der Kopf einer schönen Frau ein
wenig seitwärts gewendet ist, was den beiden Gesichtshälften die genaue
Gleichartigkeit nimmt, und zugleich etwas zurückgelehnt wird, wodurch sich die
geraden und parallelen Linien einer herkömmlichen Vorderansicht eines Gesichts
noch weiter verändern, so wird man dies für den angenehmsten Anblick halten und
eine anmutige Haltung des Kopfes nennen.“
Vergnügen
an einer Darstellung, so meint der Nicht-Klassizist, erzeuge nicht die
Vereinfachung und Verklärung, sondern vor allem die Verwicklung der Schlangen- und Wellenlinien. Das führt das Auge zu
einer „spielerischen Weise des Verfolgens“. Denn „die Liebe zum Verfolgen nur um des Verfolgens willen“ ist für ihn
Grundlage des Genusses in Leben und Kunst. Damit wird die Rolle des Betrachters
zentral. Sein Seh-Vermögen erzeugt die Schönheit allererst. Hogarth hält auf
diese Weise an einem barocken, emblematischen Kunstverständnis fest, das die
Welt als ein zu lösendes Rätsel
betrachtet. Die „Liebe zum Verfolgen“
aber überschreitet den Rätselcharakter, weil im Kopf des Betrachters die
Bilderwelt selbst in Bewegung gerät:
„Ich kann niemals vergessen, wie oft ich in
meiner Kindheit die angenehm trügende Bewegung des Schraubengewindes
beobachtete, die in mir die gleiche Empfindung weckte wie später die
Beobachtung eines Kontertanzes; obgleich vielleicht das letztere mich noch mehr
in seinen Bann zog, zumal, wenn ich eifrig all die Drehungen einer beliebten Tänzerin
verfolgte, die den Augen einen bezaubernden Anblick bot, weil der eingebildete
Strahl, von dem wir sprachen, die ganze Zeit mit ihr tanzte.“
Die
„verfolgende Liebe“ des Betrachters zum Schauen und zum Geschauten erotisiert bei Hogarth jedoch noch
nicht das Verhältnis zwischen Kunstwerk und Betrachter. Erotisch ist, wie sich die Erinnerung an die lebendige,
amouröse Frau im Kunstwerk niederschlägt. Nicht der
Maler-Schöpfer und das Werk erzeugen die schöne Frau (wie im Pygmalion-Mythos), sondern die
Begegnung des Malers mit der Frau macht das Kunstwerk möglich.
(Teil 2 folgt: Die Zergliederung der Schönheit. Tanzen lernen!)
Damit etwas verfolgt werde kann, muß es sich doch bewegen. Der Schwerpunkt des Verhältnisses liegt also nicht beim Betrachter, sondern in der Dynamik des Bildes selbst. Wie die Birne bei Leibniz, die dem Gelbsüchtigen nur deshalb bitter schmeckt, weil ihr die Qualitas des Bitteren inhäriert. Der Gelbsüchtige erschließt gleichsam n u r das Bittere der Birne.
AntwortenLöschenLesen Sie die Analysis von HOGARTH, statt über Anderes zu fabulieren. Es lohnt sich, auch mal beim Thema zu bleiben. Andernfalls - Ihre Birne interessiert mich genau so viel, wie Sie Hogarth Straßenschönheit.
AntwortenLöschenLiebe M., im Grunde hat er doch recht, der Anonymous, unser Süßer ;-) (Leibniz mal beiseite; der Kerl muss zwanghaft jedes Mal einen "Meister" zitieren, daran erkenne ich ihn immer!). Das ist ja das Interessante: Hogarth scheitert an dem neuen Kunstverständnis (Joshua Reynolds), das auf die "Dynamik des Bildes" setzt, das der Künstler "autonom" erzeugt.
AntwortenLöschenDenn bei Hogarth ist die Produktion und die Rezeption noch dialogisch gedacht (daher auch nicht museal)t: Erzeugt aus dem Dialog des Malers mit den lebendigen Menschen, vermittelt über das Bild zu einem Dialog des Malers als Citoyen mit den Betrachtern. Eine Kunst, die sich noch als Dienst an der Gesellschaft begreift. Danach will keiner mehr Diener sein, sondern alle Herren :-). (Wie unser Freund, my lovely.) Gute Nacht, Liebes!.
Sind Hogarth/Reynolds nicht auch ein Meister? Oder möchten vielleicht Sie zitiert werden?
AntwortenLöschenMein Vergleich das Thema genau: dass das nicht bemerkt wurde entwaffnet mich.
Die Kunst als Diener an der Gesellschaft (was verstehen Sie unter Gesellschaft?)?
Himmel! Heute "will keiner mehr Diener sein"!
Ich habe den Eindruck, hier wird den guten alten Zeiten nachgetrauert.
Und ich bleibe dabei: der Gelbsüchtige entbirgt der Birne den Geschmack des Bitteren.
Man muß Hogarths Verständnis des ästhetischen Gegenstandes nicht mit hermeneutischer Barmherzigkeit 1:1 wiederkäuen, sondern die (durchaus verständlichen) Mängel dieses Verständnisses zeigen.
Es ist absurd, hier anhand von fünf Bänden Kunstgeschichte akademisch zu werden.
Liebe Sanne, ich glaube nicht, dass er sich als "Diener" sah. Aber er wollte wirken. Man nannte das dann später ja auch (wie bei Lessing) - nicht selten abfällig - Wirkungsästhetik.
AntwortenLöschenNebenbei: Hattest du die Pepys Ausgabe von Zweitausendeins gekauft? Würde ich gern mal reinschauen. Bis dann!