Über William Hogarth´s "Analysis of Beauty" 2. Teil
Die
„Zerstückelung der Schönheit“, die große Analyse der Prinzipien der Schönheit
durch den Maler auf dem absteigenden Ast, durch William Hogarth, erzeugt sich
aus Widersprüchen. Der Leser und die Leserin werden abgerichtet, sich einen
sezierenden Blick anzugewöhnen, der lebendige Körper in Maschinen verwandelt.
An diesen Menschen-Maschinen wird nun das Baukasten-Prinzip der Schönheit
ablesbar, deren Glieder
durch die geschwungene Linie in Bewegung versetzt werden sollen. Doch der Blick des Analysten wird im Text immer wieder
konterkariert durch den erotischen Blick eines Mannes auf die lebendige,
attraktive Frau. Während der analytische Blick die Körper zergliedert, um sie
zur Marionette zusammenzusetzen und nach seinem Willen zu bewegen, bewegt sich
die schöne Frau in den Straßen London nach ihren eigenen Wünschen, stellt sich
seinem Blick oder entzieht sich ihm – und gerade ihre unvorhersehbare
Beweglichkeit ist es, die ihn als Grazie entzückt. Die Grazie des bewegten Körpers,
die der sezierende Blick produzieren will, führt sie, die Schöne der Straße,
ohne sein Zutun vor. Wieder und wieder führt der Text uns die „amourous woman“
vor Augen, wie sie den Kopft wirft, wie sie flirtet, lacht und spielt. Die
lebendige, gegenwärtige Frau ist das geheime Zentrum der „Analysis of Beauty“:
„Wer
außer einem blinden Anbeter, könnte sogar angesichts der besten antiken Stücke
sagen, dass er nicht Gesichter und Hälse, Hände und Arme an lebenden Frauen
gesehen hat, die selbst die griechische Venus nur auf das gröbste nachahmt?“
Die
Kunst kann die Schönheit des Lebens, der lebendigen, verführerischen Frau nicht
fixieren und abbilden. Denn die Schönheit, wie Hogarth´ Beispiele zeigen, stellt sich erst durch die Bewegung her. Was die „Analysis“ sich
als Ziel gesetzt hatte, nämlich „fixing the fluctuating ideas of taste“, steht damit im Widerspruch zu dem Programm, das sie schließlich entwickelt. Die Verwandlung des Malers in einen
Marionettenspieler wird angestrebt, aber letztlich unterlaufen.
Denn der Spieler wird als Pathologe erkennbar: Er müsste – nachdem er an den
toten Körpern antiker Statuen gleichsam geübt hat – die stillgestellten Körper
der Gegenwartsmenschen zerlegen und ausnehmen.
Der
Ausweg, den Hogarth wählt, um dies zu vermeiden, ist die Verwandlung der schönen
Frau in eine Schauspielerin. So endet der Text: Die Schönheit, deren Prinzipien
er offen legen wollte, zeigt sich im schönen Spiel einer reizvollen
Schauspielerin. Sie ist in der Lage ihrem Körper spielerisch die Grazie der „Line
of Beauty“ zu verleihen. In der Schauspielerin verbindet sich die „Natur“ der
schönen Frau mit der bewusst genutzen Bewegungsfreiheit der Spielenden. Der Maler Hogarth nimmt
dieser Spielfähigkeit gegenüber die Rolle des Regisseurs ein. Er eröffnet der
Schauspielerin die Bühne, er schreibt ihr das Stück, er
beobachtet und verbessert ihre Bewegungsabläfue. Der Maler und die
Schauspielerin „tanzen“ gleichsam miteinander.
Mit
diesem Umweg kommt Hogarth auch in der „Analysis of Beauty“ wieder zurück zu der
erotisch-aufreizenden Frau, mit der er als Maler angefangen hatte: der „Harlot“,
der „Diana“. Die selbstbewusste Frau als Gegenüber, als Herausforderung und
Bestätigung, steht im Zentrum dieses Kunstschaffens. Er ringt um sie, um ihre
Anerkennung und Zuneigung.
Damit
vollzieht die „Analysis of Beauty“, dieses letzter Versuch, sich als Künstler
zu rechtfertigen, im Grunde das Scheitern von Hogarth´ Anspruch als „Hoch“-Künstler
anerkannt zu werden, nach. Denn der Flirt des Malers mit der Schauspielerin
steht der Inthronisierung des „autonomen Schöpfers“, der sich aus seinen Abhängigkeiten
befreit, im Wege. So wird er nicht Pygmalion und die schönen Statuen bleiben erstarrt.
Die
erotische Frau, die der Maler für sich zu gewinnen sucht, steht bei Hogarth
stets auch für das aus allen Schichten zusammengesetzte Publikum, um dessen
Verständnis und Beifall er buhlt. Dass er in den letzten Jahren seines Lebens
mit dem Entzug von Anerkennung konfrontiert wurde, stürzte ihn in eine tiefe
Krise. Die „Analysis of Beauty“ beschreibt diese Krise und sucht ihr durch eine
analytische Anstrengung zu begegnen, deren Einschnitte jedoch die Kunst Hogarth´ ihres Gegenübers berauben würden. Eine Fixierung der Prinzipien der Schönheit lässt
schließlich ein „eigenes Sehen“ so wenig zu, wie eine schöne Marionette die
Lebendigkeit und Grazie einer schönen Frau nachzuahmen im Stande ist. Es ist im
Grunde die Modernität der Formensprache, die Abstraktion der Zeichen, an der
Hogarth´ Kunsttheorie zuletzt scheitert. Denn die Kunst, die sich diese
abstrakten Figurationen zu eigen machen wird, braucht kein Gegenüber mehr. Sie
setzt sich „autonom“ ins Werk. Alles wird ihr zum Objekt, damit das Werk
Subjekt sein kann. Der Künstler „flirtet“ nicht mehr, sondern verwandelt sich
in einen Schöpfer.
In
der zweiten Tafel, die die Analysis begleitet, wird die Anmut jedoch nicht –
wie im Text – an der verführerischen Straßenschönheit demonstriert, sondern am
dressierten aristokratischen Paar, das gelernt hat, Erotik im Tanz zu spielen.
Doch ist dies auch hier nicht Hogarth´ letztes „Wort“: Am Boden springt ein
Windhund und in seinem Körper zeigt sich die Schlangenlinie der Schönheit
genauso wie an den Körpern der tanzenden Adeligen. Grazie, lässt Hogarth die
Betrachter wissen, erscheint als bewusstlose Anmut oder in der Bewusstheit des
erlernten Spiels. Um graziös zu werden, müssen auch die Bürgerinnen und Bürger
lernen zu spielen:
„Bewegung ist wie ein Sprache, die man
vielleicht über kurz oder lang so weit entwickelt haben wird, dass man sie in
der Art grammatikalischer Regeln lernt. Aber vorläufig kann man sie nur durch
bloße Übung und Nachahmung erlernen. Und im Gegensatz zu den meisten anderen
Kopien und Nachahmungen übertreffen Personen von hohem Stand und Reichtum gewöhnlich
ihre Vorbilder, die Tanzmeister, im ungezwungenen Benehmen und in natürlicher
Grazie, weil ein Bewusstsein ihrer Überlegenheit ihr Auftreten sicher macht,
besonders, wenn ihre Gestalt wohlgeraten ist. Wenn dem so ist, was verhilft
dann besser zu dieser Freiheit im Umgang und dem nötigen Mut, wodurch die
erworbene Grazie leicht und natürlich erscheint, als die Fähigkeit zu beweisen,
wann unsere flüchtigste Bewegung wirklich richtig und passend ist? Daher würde
aus Mangel an einer solchen Gewissheit einer der vollkommensten Gentlemen am
Hof verlegen sein, wie er sich angemessen bewegen soll, wenn er als
Schauspieler auf die öffentliche Bühne treten müsste. Er würde selbst bei der
Darstellung seines eigenen Charakters steif, kümmerliche und ungeschickt
wirken. Denn er wüsste nicht, ob er seine Sache richtig macht. Und sein
Benehmen würde fast eben so gezwungen wirken wie das gewöhnlicher Leute, wenn
sie vor Höhergestellten erscheinen.“
Auch
dem Aristokraten, dem die Tanzbewegung gelingt, kann der Ausdruck der Bewegung
misslingen, wenn er gezwungen ist sich in eine Situation zu begeben, die er nicht kennt. Der sozial mobile Bürger aber muss gerade lernen zu spielen, um sich bewegen zu können. Dem Spielerischen aber steht
die Gewalt entgegen, die er arbeitend sich und seinem Körper antut. Die
Versteifung der bürgerlichen Körper, die Chodowiecki vorführen wird, fiel
Hogarth schon als Mangel an Grazie ins Auge. Während nachfolgende Kunst dem Bild der
Frau, die zu einer Chiffre für Natur wird, diese Grazie abzuringen versucht, nur zu oft allerdings um
den Preis der Entsinnlichung (der Hang zur Androgynität der Tänzer:innen), stellt Hogarth den bürgerlichen Mann
und die bürgerliche Frau zum Tanz auf, um gemeinsam Anmut zu erlernen.
Dieses Programm ist gescheitert, nicht nur in der Kunst, schauen Sie sich um!
Dieses Programm ist gescheitert, nicht nur in der Kunst, schauen Sie sich um!
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