Samstag, 29. September 2012

MACHT GELD DOCH GLÜCKLICH? Privilegien-Pussys Milieus


Damit wir uns richtig verstehen, liebe Leserin, lieber Leser: Das sind Milieus, in denen ich mich auskenne, weil ich dazu gehöre, wenigstens teilzeit-subjektiv. Wenn die hier schlecht weg kommen, als Parodie erscheinen oder gar Sarkasmus spürbar werden sollte: Das gilt mir immer mit. Ich distanziere mich nicht. Was ich beschreibe sind Milieus, keine Personen. Wie jede/r bilde ich mich ein, von jedem Milieu, in das ich auf Grund bestimmter Einkommensverhältnisse, Merkmale und Verhaltensweisen hineinpasse,  ein bisschen - oder sogar ein bisschen mehr ;-) - individuell abzuweichen. In den Milieus, die hier beschrieben werden, bewegen sich die Menschen, die ich mag. Deshalb schreibe ich drüber. Ich würde nicht so über Milieus schreiben, die mir fremd sind oder von denen ich mich distanzieren wollte. 


Im KollegInnen-Kreis (durchschnittliches  mtl. Nettoeinkommen: 3000 €). Meistens geht es um die Fehler der Leitung: „Nach Gutsherren-Art“. „Aber nicht mit mir.“ „Mit uns können sie das machen, denken die.“ Gehaltssteigerungen. Aufsstiegschancen. Alles verkappt, allerdings, denn wechselseitig ist man sich auch Konkurrenz. Darüber wird jedoch geschwiegen. Wenn das Gespräch an dieser Wahrheit schrammen könnte, wird abgeschweift: Bei den Mittdreißigern (je nachdem, ob in fester Paarbeziehung oder Single) zu Hochzeitsvorbereitungen, Schwangerschaftsbeschwerden oder Fernreisen (Thailand oder doch lieber Seychellen?). Schwule und Lesben reden nur bei den Reise-Themen mit; Heterosexualität wird stillschweigend vorausgesetzt. Wer keinen andersgeschlechtlichen Partner hat, sucht bestimmt einen. Sicher ist: Woanders wird immer besser bezahlt und schneller befördert. Die Kundschaft nervt, ist zu anspruchsvoll, zu passiv, zu dumm. Die allgemeine Stimmung ist eher düster. Besonders in Zimmer A, wo die Alt-Linken sich ein Reservat geschaffen haben, kann ein längerer Aufenthalt zu Depressionen führen. Man hat seinen Hegel, seinen Marx und seinen Adorno vor dreißig Jahren ausgiebig studiert und tritt seither den lebenden Beweis an, dass es kein richtiges Leben im falschen geben kann. Dazu hat man sich bittere Falten um den Mund gezogen,  ein dezentes Bäuchlein mit Hilfe erlesener Speisen und französischer Weine zugelegt, eine Dauer-Schlechte-Laune implantiert und die Systemkritik perfektioniert. Alles hängt mit allem zusammen und zeigt: die Verkommenheit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, mit deren Hilfe man sich einen 250qm-Palast in der Provinz gebaut und/oder ein Ferienhaus in der Provence ausgestattet hat. Macht nix, auch das komfortabelste nicht-revolutionäre Leben kann am falschesten sein!

Auf der Akademiker-Grillparty (Durchschnittliches mtl. Nettoeinkommen: 4000 €) Lauter Paare im mittleren Alter, viele binational, die 20%-Quote Nicht-Weißer wird regelmäßig erreicht; die Kinder sind kurz vorm oder nach dem Abitur. Wer keinen Partner oder keine Kinder hat, geht früh. Es geht um Elite-Universitäten und Sprachprogramme, Opernabonnements und Dienstreisen rund um den Globus. Die Stimmung ist gelassen und heiter. Man glaubt stabil an die Zukunft des eigenen Nachwuchses, aber nicht ganz so an die der westlichen Welt, des Kapitalismus bzw. der patriarchalischen Ordnung. (Alle Frauen sind oder waren teilzeitbeschäftigt. Das hat sich bewährt. Die Kinder sind „gut durch die Schule gekommen“, was ohne Hilfslehrerin Mama nicht jedes geschafft hätte in diesem  Schulsystem. Aber man tut für die eigenen Kinder eben, was man kann, und das ist nicht wenig.) Beste Voraussetzungen für den Nachwuchs stehen im Zentrum jeden Gesprächs: Klavierstunde, Chinesisch-Kurs, Fechten, Auslandsaufenthalte. Man mokiert sich über die sonderbaren Kappen, den schrillen Musikgeschmack und die eigentümlichen Kochkünste der jüngeren Generation. Es ist wie eh und je: Die Kinder kommen rum und rauf, die Konflikte sind gespielt dramatisch, aber lösbar. Das Leben ist schön, könnte aber noch schöner sein. Man nimmt die soziale Verantwortung wahr und spendet reichlich, gelegentlich

Beim Künstler-Kaffee (Durchschnittliches mtl. Nettoeinkommen: unter 1000 €). Man trägt Cordhosen mit Flecken. Oder Chinos mit Gummizug. Das Hemd hängt aus der Hose. Bauchansatz und Magersucht sind gleichmäßig verteilt. Vielfalt und Eigenart sind gefragt. Die Bewegungen sind langsam. Erst mal eine Kippe drehen. Die Stimmung ist lasch. Mehr wolkig als heiter, aber auch nicht zu düster. Schließlich lebt man, wie man will. Man macht nicht mit, sondern was los. Das Volk ist noch nicht reif. Die Mechanismen auf dem Kunstmarkt stinken zum Himmel. „Es müsste...“ „Wenn ich das hätte...“ „Es wäre ganz einfach...“ Es wird viel im Konjunktiv geredet. Alles wäre möglich, wenn alles anders wäre. Museen sind scheiße. Galeristen auch. Der Literaturbetrieb ist widerlich. Qualität hat keinen Wert mehr. (Nostalgie gibt´s gratis. Früher war´s doch irgendwie noch möglich....) Alles geht nur noch nach Kommerz. "Die wollen nur noch konsumieren..." "Kulturindustrie. Sag ich ja." Unterschwellig schwingt immer eine gewisse Bosheit nebst Publikumsverachtung mit. Denn: Wenn einer grade was verkauft oder ihr Manuskript beim Publikumsverlag untergebracht hat, sind sie jetzt als Kommerznutten enttarnt.  Die Feuilletons sind gähnlangweilg. „Wer will das schon lesen...“ Es wird selten über was Gelungenes gesprochen. Auch nicht über die eigenen Arbeiten. Das traut sich hier keine. Das wäre ja noch mal schöner. Und zu schön darf´s auf keinen Fall werden. Der Kitsch-Verdacht hängt immer in der Luft. Die ist übrigens sauer. Es wird hier zu selten gelüftet.

Im queeren Versuchsfeld (durchschnittliches mtl. Nettoeinkommen: zwischen 500 € - 1500 €). Hier geht´s nicht ohne Fremdwörterlexikon. Oder zehn Semester Gender Studies und Privilegien-Analyse. Abkürzungen sind unheimlich wichtig. Sternchen und Unterstriche sowieso. So oft kann man gar nicht nachfragen, wie man nix versteht. Es geht aber jedenfalls ganz bewusst darum, niemanden auszugrenzen. „Genau.“ Es soll nie niemand ausgrenzt werden, der nicht so ist, wie die Norm. Die Norm hier ist überdurchschnittlich schlank, zierlicher Knochenbau, hat die Nägel in einem düsteren Ton lackiert, trägt einen aysmmetrischen Kurzhaarschnitt,  Sneakers, Karottenhosen und T-Shirts mit rätselhaftem Aufdruck.  Man fährt sich oft durchs Haar. Meistens weiß man nicht so genau, wie man das ausdrücken soll, was man sagen will: „Also ich sag mal, ich hab mir das so überlegt, dass,  ...Genau.“ Alle nicken, auch die Sprecherin. Genau ist ziemlich genau das, was alle fühlen, außer denen die keinen Kurzhaarschnitt haben, sondern einen Zopf geflochten und ein Röckchen um die Hüften. Alle sind privilegiert und davon unheimlich betroffen. Die Nicht-Privilegierten sind irgendwie nie dabei. „Daran müssen wir arbeiten.“ „Genau.“ Die Stimmung ist bedrückt. Die Welt ist sehr verbesserungsbedürftig, man selber auch. Vor allem. „Dass mir das klar geworden ist, wie ich selber in der ganzen Kackscheiße drin stecke... Man weiß aber noch nicht genau, was man da machen kann. „Genau.“ Hauptsache, man versteht sich. Irgendwie. Genau.

2 Kommentare:

  1. Habe schon ungefähr 5 verschiedene Gedankenkommentare zu diesem wunderbar formulierten Beitrag verfasst ... und wieder gelöscht. Nuns etzte ich einfach mal mein Grinsen drunter.

    Grinsende Grüße also
    das A&O

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  2. Freut mich, wenn das mit einem Grinsen aufgenommen wird. So ist es auch gemeint. Mit einem gutwilligen Grinsen sogar, keinem böswilligen, auch wenn die Formulierungen manchmal so klingen. Jedes Milieu ist, nimmt man eine Außenperspektive ein, komisch und hat seine blinden Flecken. Wo man dazu gehört, nimmt man diesen Habitus und auch die partielle Blindheit an. Die Verhaltensweisen, die ich hier schildere, kann ich auch an mir beobachten.

    Wenn ich dann zurücktrete und von außen darauf schaue, wird mir jedoch auch deutlich, welche Laune, welche Gestimmtheit welches Milieu produziert. Auch das macht mich nachdenklich. Ich habe gelernt, Milieus zu meiden, die mich dauerhaft schlecht gelaunt oder aggressiv machen (z.B. das Zimmer A). Dabei geht es mir weniger darum, ob jemand "Recht hat" mit seiner Gesellschaftsanalyse oder seiner "Weltanschauung", als darum, welche Wirkung diese Milieus und ihr Habitus in konkreten Situationen entfalten: ob sie mehr Handlungsspielräume, Anknüpfungspunkte und Aufnahmefähigkeit für Neues, Fremdes, Ungewohntes eröffnen oder sich verschließen und passiv (und damit übellaunig) machen. Erstaunlicherweise erlebe ich, dass sehr fundamentalistische religiöse Milieus und sehr weltanschaulich "gefestigte" politische Milieus sich in dieser Hinsicht stark ähneln.

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