Wir tun so, als ob ich ein Indianer wäre. Dann schleichen wir uns zum Marterpfahl. Leise. Oder als ob wir auf einem Dampfer wären. Unter Deck. In den Maschinenräumen. Das schwarze Fett auf unseren Wangen. Als ob wir bluten unter den Verbänden. Als ob du ein Arzt wärst. Als ob ich dich lieben täte. Als ob alles gut wird. Als ob...: Die Innenseite der Maske zu sehen wäre von hier aus.
Es ist ja bekannt (einigen), dass viel Richtiges mit bewusst falschen Annahmen erzeugt werden kann. "Der Mensch ist nur Mensch, wenn er spielt." (Schiller) Fiktionalität und Menschlichkeit. ("Könnte der Titel einer dekonstruktivistischen Doktorarbeit sein, zum Beispiel.") Als ob das eine Rolle spielte. Als ob Ich ein Text wäre. Davon ausgehend ist ein Gewebe von Texten zu erstellen, die nichts konstruieren, was als Subjekt kenntlich wäre oder sich dazu machte, jedoch einen Namen zugeteilt bekäme wegen der Schnittmenge, die diese Textstellen erzeugen, die also sein könnte: Thomas Meinecke. Als ob das Thomas Meinecke wäre oder ein ICH (groß geschrieben) mit so einem Namen. Das blutet nicht, schwitzt nicht und spricht nicht, sondern liest (sich) vor. Als ob das eine Idylle wäre, in der Texte miteinander kommunizieren könnten, weil ICH sich nicht breit macht und Identitäten voraussetzt: "Kommste nicht aus Hamburg?" "Biste hetero?" "Isste Fleisch?" Oder so. "Glaubste an Gott?" Ich (klein geschrieben) trägt keinen Namen. Kann im Betrieb namenlos nicht vorkommen. Bei Suhrkamp nicht erscheinen. Is ja klar, oder? Durchlässigkeit. Steht auf dem Klappentext. Offenheit. Unabgeschlossenheit. Das wären "feministische Qualitäten". Körperlose Durchlässigkeit. Geht das? Geht schon. Sich nicht breit machen. Nicht voll drauf bestehen, auf sich: das (männliche) EGO. Der ganze Scheiß. Die Genie-Ästhetik. Rechthaberei. Wahrheitstrunkenheit. "Der Relativismus ist selbstwidersprüchlich, das weißt du aber schon?" (Wer weiß das nicht? Darum geht´s ja. Nur Widersprüche sind wahr. Aber ICH/ich - klein oder groß, ganz egal - scheiße auf die ganze Dialektik. Weil Oppositionen Quatsch sind. Weil die ganze Zweisamkeit-, Ying- und-Yang-, Hü-und-Hott-Kiste nur noch nervt. Weil es Auswege gibt, Unterwege, Querungen, Tauchstationen. Weben und Wickeln, Schlängeln und Sticken.)
Mir, hatte ich geschrieben, sei Navid Kermani in seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung (2011) näher gekommen als Thomas Meinecke (2012). So ist es. Darin liegt ja die Crux. Meinecke kommt nicht nah. Lässt nicht ran. Macht sich unsichtbar. Indem er (sich) einwebt, einwickelt, umhegt - mit Text(en). Mir war das auch unheimlich. Der Verdacht, der sich nicht aufgelöst hat: Diese ganze Queer-Geschichte leugnet tendenziell die Körperlichkeit, also das, wovon sie dauernd redet. Geblutet wird nur symbolisch. Durchlässigkeit, Offenheit, Unabgeschlossenheit. Gilt nur für Texte. Zwischentexte. Von Text zu Text sozusagen. Ansonsten begegnen sich Geisterwesen: "ICH tu nur so als ob." Als ob ich ein Text wär´. Das geht schon. Aber nur "als ob". Denn ICH/ich ist natürlich kein Text, sondern trägt Holzfällerhemden. Manchmal. Aber das Bemühen. Erkenne ich an. Keine Urteile fällen. (Andere Pseudo-Nicht-Ich/Avatare sind im Gegenteil dazu sehr ver-urteilsfreudig.) Zart sein. So viel Zartheit im Umgang mit dem Fremden. Das Unverstandene stehen lassen. Nicht dieser Penetrationsgestus, den ich/ICH so widerlich finde: Durchdringung des Gedankens (Texte, die zu lesen und zu verstehen ein halbes, dann halt eben nicht gelebtes Leben dauern soll, angeblich. Man sieht das denen an. Den Als ob-Lebenden.) Meinecke ist nicht so. Gesteht ungefragt ein, dass er nicht immer begreift, was er liest und vorliest. Ich hätte ihn damals in Frankfurt trotzdem gerne gefragt: Ob da nicht doch ein Unterschied bleibt, ein verstörender, zwischen "Original" und Lookalike, einer, der nicht im Begriff der Identität oder der Subjektivität zu fassen wäre, sondern aus der Beziehung resultiert, die sie zueinander haben (oder eben nicht haben, weil es ganz offensichtlich überwiegend eine einseitige Beziehung ist)? Ich wünschte mir nicht, dass Thomas Meinecke "echt" wäre. Aber dass Navid Kermani nicht über Wünsche von "Völkern" spricht, die sich befreien wollen, oder Mosebach beipflichtet oder sich verstrickt in diese Politiken, bei denen es darum geht, wer wo mit wem auf "seinem Recht" besteht, also um Identitäten. Das wünschte ICH/ich mir schon. Also Vorsicht: vor Nähe. (Wie aber dann im Ernst - jenseits des Spiels - zu Durchlässigkeit gelangen? Ich glaube eben doch nicht an Gespenster.)
Als ob ICH ein Text wäre. So kann nämlich aus etwas Falschem (Denn ICH/ich ist kein Text, sondern blutet, schwitzt, bleibt unverwechselbar und nicht austauschbar, aber zugleich notwendig veränderlich und sich verändernd), etwas Richtiges entstehen: Aufgabe von Gewissheiten. Zärtlichkeit. Achtsamkeit. Webmuster.
Thomas Meineckes Frankfurter Poetik-Vorlesung ist unter dem Titel "Ich als Text" in der Edition Suhrkamp erschienen. Mit einem Text von Morel (S. 332f): "Postmoderne Idyllen. Die Romane Thomas Meineckes", der am 05.01.2012 auf Gleisbauarbeiten erschien.
Die Frankfurter Poetik-Vorlesungen im Frühjahr 2012 wurde auf Gleisbauarbeiten in Wort und Bild durch die Serie "Lookalikes" begleitet; siehe hier: LOOKALIKES.
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