Paula Modersohn-Becker: Sitzende Mutter mit Kind |
Meine
Mutter hat immer ihre Freundschaften gepflegt. Sie steht verschiedenen Frauen
nah auf Weisen, die meinem Vater, meinem Bruder und mir verschlossen bleiben.
Die H. ist die Ehefrau ihres verstorbenen Cousins. Sie trägt einen Dutt und
einen Kittel, macht Obst ein, stopft Strümpfe und lebt kein bisschen so wie
meine sportlich-schicke Mama, die Handarbeiten hasst. Aber bei der ist meine
Mutter daheim. Meine Mutter trifft auch ihre Freundin E., mit der sie nach 44
Jahren noch per Sie ist. Die hat sie kennengelernt, weil mein Bruder am selben
Tag in derselben Klinik geboren ist wie die Tochter von der E. Die E. schminkt
sich auffällig, während meine Mutter bestenfalls ein bisschen Lippenstift
aufträgt. Die E. und meine Mutter haben ihre Ehemänner in den 70er Jahren mal
sehr geärgert, weil sie bei einer Bundestagswahl die FDP gewählt haben. Der
Mann von der E. und mein Vater haben das als Verrat begriffen. Denn was ein
rechter Sozi ist, der schimpft Tag und Nacht auf die Partei, macht aber zuverlässig in der Kabine sein Kreuzchen am
rechten Platz. Die E. und meine Mutter haben sich fast kaputt gelacht über die beleidigt-wütenden
Kommentare der Männer. Das war ein Spaß, wie sie die noch Jahre später von Null
auf Hundert bringen konnten, wenn sie diese Wahl erwähnten. (Meine Mutter hat
mir später mal im Vertrauen erzählt, dass es gelogen war. Die E. und sie hatten
gar nicht die FDP gewählt.) Meine Mutter besucht, berichtet mein Vater, auch
die I., die hat eine platinblonde Betonfrisur und spricht ein sehr künstliches
Hochdeutsch. Man merkt, dass es nicht ihre Muttersprache ist. Mit der ist sie
auf die Handelsschule gegangen.
Meine
Mutter hat Freundinnen, mit denen sie sich sehr eng verbunden fühlt. Als
eine ihrer besten Freundinnen im vorigen Jahr gestorben ist, war sie bis zum Schluss
bei ihr. Das Foto dieser Freundin steht jetzt neben dem von meinem Vater
auf ihrem Nachttisch. Was meine
Mutter mit ihren Freundinnen bespricht, was sie einander bedeuten und wie sie
miteinander umgehen, können wir, ihre Familie, nur ahnen. Ich frage mich
manchmal, ob mein Vater eifersüchtig ist auf diese anderen Frauen im Leben
meiner Mutter. Er zeigt es jedenfalls nicht. Meine Mutter hat nie einer Clique
angehört. Zu jeder dieser Frauen hat sie ein ganz besonderes, ein spezielles
Verhältnis.
Als
Mädchen und junge Frau habe ich nicht so klar sehen können, was das Besondere
an den Beziehungen meiner Mutter zu anderen Frauen ist. Die meisten Frauen
ihrer Generation, die ich kenne oder beobachten konnte, verkehren in Vereinen
und Nachbarschaftszirkeln miteinander. Ab und zu gibt´s ein Kaffeekränzchen. Mit Klatsch und Tratsch. Meine
Mutter, obwohl im Dorf geboren und aufgewachsen, hat sich da immer
rausgehalten. Darauf war ich schon als Kind stolz, dass sie keine „Tratschtante“
ist. Statt Zwangsbekanntschaften durch Verwandtschaft, Nachbarschaft, Verein
hat sie einige, ausgewählte innige Freundschaften geschlossen. Keine dieser Frauen gleicht
der anderen. Sie passen auch gar nicht zueinander, weder was ihre Interessen,
noch was ihr Äußers angeht, und – auf den ersten Blick – auch nicht zu meiner
Mutter. Meine Mutter, so denke ich, hat in einer Freundin nie eine gesucht, die
ihr ähnelt, sondern immer ein Gegenüber, eine andere Frau. Meine
Mutter, glaube ich heute, hat sich
bewusst aus den Cliquen ferngehalten, damit sie frei war: Für die Freundschaft.
Dieses Talent meiner Mutter zur Freundschaft mit anderen Frauen hat mich – erst
im Rückblick wird mir das klar – während
meiner Entwicklung zur Frau gestärkt ...und ich hoffe, es hat sich vererbt...
Schön, diese Eigenwilligkeit.
AntwortenLöschenMeiner Mutter? Eigenwillig ist sie. (Aber sie sieht sich nicht so, glaube ich.) :-)
AntwortenLöschenJa, Deine Mutter meinte ich. :-)
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