Montag, 17. Dezember 2012

DER SOMMER UNSERES VERGNÜGENS. Englische Notizen


Ein Beitrag von Morel

London lag im Regen. Der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Mitch Romney wusste wie immer nicht nur alles schon vorher, sondern auch besser. Diese Olympiade war einfach nicht gut genug vorbereitet. Nur wenige Tage später war alles wieder einmal anders. Sicherlich spielten die Erfolge britischer Athleten eine Rolle, die Stimmung aber änderte schon die überraschende, für den konservativen Teil der Welt (wozu man wohl auch die radikale Linke zählen darf) schockierende Eröffnungszeremonie des Filmregisseurs Danny Boyle. Es war dies nicht nur die Feier einer Welt der Inklusivität, in der weder dein Geschlecht noch deine Hautfarbe dich zwingend auf einen Zuschauerplatz verweisen - dort saßen die Leute mit Geld, während alle anderen in allen möglichen Kostümen, auf Rollstühlen oder fliegend die Feier mit gestalteten. Es war aber genauso die Feier der Exklusivität eines Landes, das sich nicht auf den Boden bezieht, sondern auf das Wasser, in dem es nicht auf feste Standpunkte ankommt, sondern auf flüssige Ideen. Daher auch die uns gelangweilte Wohlstandsbürger seltsam berührende Idee, in einer Ballettfantasie das staatliche englische Gesundheitssystem NHS (der Alptraum von Romney und seinen Kampfgenossen) mit der englischen Kinderliteratur von Mary Poppins bis Harry Potter zu verknüpfen. Die Sicherheit des bürokratischen Sozialstaats gebiert hier keine Ungeheuer sondern setzt die Phantasie des Individuums frei. Beides gehört für Boyle zusammen: die Traditionen von Solidarität (von Gewerkschaften und Feministinnen bis hin zu Pfadfindern und Popbands) und das Asoziale der Phantasie. Wie in der Popmusik, die er im letzten Teil seiner Reise durch die englische Geschichte bis in ihre aktuellsten Untergrundmusiken feierte, sind die Verbindungen zwischen den Einzelnen so zerbrechlich wie kostbar. Es ist manchmal nur eine Nacht in einem Club, die über ein ganzes Leben entscheidet. Bis am Morgen der Regen aussetzt und eine bleiche Sonne über schon lange nicht mehr rauchenden Fabrikschornsteinen aufgeht.

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Die Phantasien Danny Boyles waren keine ideologischen Verbrämungen schlechter Wirklichkeit, weil sie sich nicht als solche ausgaben. Sie waren auch kein blinder Eskapismus, weil sie der Wirklichkeit nicht entflohen, sondern Forderungen an diese stellten. Wie die missmutigen Gesichter der älteren Mitglieder des britischen Establishments zeigten, kam diese Botschaft durchaus an. Einer der Repräsentanten dieses Establishments, James Bond, trat nicht nur im Sommer die Königliche Hoheit aus ihrem Palast entführend spektakulär in Erscheinung, sondern war dann auch im Winter unseres Missvergnügens zur Stelle um London vor dem Untergang zu retten. Bei aller Begeisterung, insbesondere des deutschen Feuilletons für die Fragilität und Subversion dieser Inkarnation des zynisch-brutalen Handlangers der Autorität, ging der fatalistische Grundton von Skyfall etwas unter. Ferner von Boyles Märchenversion Londons als eines von der Arbeiterklasse hart erarbeiteten Platzes der Ambitionen und Chancen könnte die düstere Metropole aus Skyfall nicht sein. Es ist die Hauptstadt eines untergehenden Imperiums, von seinen ehemaligen Kolonien auf der Weltbühne lächerlich gemacht, dessen größte Gefahr die Ressentiments sind, die unter fremdem Himmel geborene Menschen (wie der einzige Lichtblick des Films, Javier Bardem) gegen die Reserviertheit und den Stil seiner herrschenden Klasse haben. Denn während James Bond auf seinen "Tod" zum Wohle der Staatsräson so reagiert wie es von einem Gentleman erwartet wird - mit Resignation und Alkoholismus - handelt Banderas unangemessen emotional, ein Muttersöhnchen, das geliebt werden möchte. Diese Forderung ist aber nicht nur unvernünftig, sondern gefährlich, weil in Zeiten der Sparsamkeit Gefühlshärte gefragt ist. Dieser von einem der erfolgreicheren Teilnehmer des transatlantischen Kulturbetriebs gedrehte Bond ist reaktionärer als die zynischen, aber amüsanten Übungen in Hedonismus, die früher einmal unter diesem Markenzeichen abgeliefert wurden. Es ist eine nicht untypische Reaktion auf eine Welt im Wandel sie als eine im Untergang zu bezeichnen. Die Ressentiments  gegen die neue, im Entstehen begriffene von Boyle gefeierte Weltgesellschaft, werden in Skyfall natürlich nicht thematisiert (anders in der im Nachhinein noch besser werdenden John Le Carré-Verfilmung Tinker Tailor, Soldier, Spy). Die Bombenanschläge im Herzen Londons, die Verachtung der unwissenden Massen in den U-Bahnschächten und der in der letzten Einstellung in einer leichten Brise wehende Union Jack läuten einen neuen, verlogenen Eliten-Patriotismus ein. Die Massen sind nun dem Hedonismus verfallen, der in den 60er Jahren von Daniel Craigs Vorläufer Sean Connery populär gemacht wurde (südliche Strände, flüchtiger Sex, raffinierte Drinks). Der "neue" James Bond dagegen ist die modernisierte Version der Oberschicht, ein langweiliger Bürokrat der Gewalt, der sich seiner sogenannten Verantwortung stellt und die angeblich notwendigen Entscheidungen trifft: Subventionen kürzen, Gefängnisse füllen und anderen reichen Freunden helfen. Sein Märchenschloss der Kindheit (das im nach Unabhängigkeit strebenden Schottland steht) ist am Ende abgebrannt und kein Danny Boyle wird es wiederbeleben.

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