Ein Beitrag von Morel
London lag im Regen. Der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten
von Amerika, Mitch Romney wusste wie immer nicht nur alles schon vorher,
sondern auch besser. Diese Olympiade war einfach nicht gut genug vorbereitet.
Nur wenige Tage später war alles wieder einmal anders. Sicherlich spielten die
Erfolge britischer Athleten eine Rolle, die Stimmung aber änderte schon die überraschende, für den konservativen Teil der
Welt (wozu man wohl auch die radikale Linke zählen darf) schockierende Eröffnungszeremonie des
Filmregisseurs Danny Boyle. Es war dies nicht nur die Feier einer Welt der
Inklusivität, in
der weder dein Geschlecht noch deine Hautfarbe dich zwingend auf einen
Zuschauerplatz verweisen - dort saßen die Leute mit Geld, während alle anderen in allen möglichen Kostümen, auf Rollstühlen oder fliegend die Feier
mit gestalteten. Es war aber genauso die Feier der Exklusivität eines Landes, das sich nicht
auf den Boden bezieht, sondern auf das Wasser, in dem es nicht auf feste
Standpunkte ankommt, sondern auf flüssige Ideen. Daher auch die uns gelangweilte Wohlstandsbürger seltsam berührende Idee, in einer
Ballettfantasie das staatliche englische Gesundheitssystem NHS (der Alptraum
von Romney und seinen Kampfgenossen) mit der englischen Kinderliteratur von
Mary Poppins bis Harry Potter zu verknüpfen. Die Sicherheit des bürokratischen Sozialstaats
gebiert hier keine Ungeheuer sondern setzt die Phantasie des Individuums frei.
Beides gehört für Boyle zusammen: die
Traditionen von Solidarität (von Gewerkschaften und Feministinnen bis hin zu
Pfadfindern und Popbands) und das Asoziale der Phantasie. Wie in der Popmusik,
die er im letzten Teil seiner Reise durch die englische Geschichte bis in ihre
aktuellsten Untergrundmusiken feierte, sind die Verbindungen zwischen den
Einzelnen so zerbrechlich wie kostbar. Es ist manchmal nur eine Nacht in einem
Club, die über
ein ganzes Leben entscheidet. Bis am Morgen der Regen aussetzt und eine bleiche
Sonne über
schon lange nicht mehr rauchenden Fabrikschornsteinen aufgeht.
*
Die Phantasien Danny Boyles waren keine ideologischen Verbrämungen schlechter
Wirklichkeit, weil sie sich nicht als solche ausgaben. Sie waren auch kein
blinder Eskapismus, weil sie der Wirklichkeit nicht entflohen, sondern
Forderungen an diese stellten. Wie die missmutigen Gesichter der älteren Mitglieder des
britischen Establishments zeigten, kam diese Botschaft durchaus an. Einer der
Repräsentanten
dieses Establishments, James Bond, trat nicht nur im Sommer die Königliche Hoheit aus ihrem
Palast entführend
spektakulär in
Erscheinung, sondern war dann auch im Winter unseres Missvergnügens zur Stelle um London vor
dem Untergang zu retten. Bei aller Begeisterung, insbesondere des deutschen
Feuilletons für die
Fragilität und
Subversion dieser Inkarnation des zynisch-brutalen Handlangers der Autorität, ging der fatalistische
Grundton von Skyfall etwas unter.
Ferner von Boyles Märchenversion Londons als eines von der Arbeiterklasse hart
erarbeiteten Platzes der Ambitionen und Chancen könnte die düstere Metropole aus Skyfall nicht sein. Es ist die
Hauptstadt eines untergehenden Imperiums, von seinen ehemaligen Kolonien auf
der Weltbühne lächerlich gemacht, dessen größte Gefahr die Ressentiments
sind, die unter fremdem Himmel geborene Menschen (wie der einzige Lichtblick
des Films, Javier Bardem) gegen die Reserviertheit und den Stil seiner
herrschenden Klasse haben. Denn während James Bond auf seinen "Tod" zum Wohle der
Staatsräson
so reagiert wie es von einem Gentleman erwartet wird - mit Resignation und
Alkoholismus - handelt Banderas unangemessen emotional, ein Muttersöhnchen, das geliebt werden möchte. Diese Forderung ist aber
nicht nur unvernünftig,
sondern gefährlich,
weil in Zeiten der Sparsamkeit Gefühlshärte gefragt ist. Dieser von einem der erfolgreicheren
Teilnehmer des transatlantischen Kulturbetriebs gedrehte Bond ist reaktionärer als die zynischen, aber amüsanten Übungen in Hedonismus, die früher einmal unter diesem
Markenzeichen abgeliefert wurden. Es ist eine nicht untypische Reaktion auf
eine Welt im Wandel sie als eine im Untergang zu bezeichnen. Die
Ressentiments gegen die neue, im
Entstehen begriffene von Boyle gefeierte Weltgesellschaft, werden in Skyfall natürlich nicht thematisiert
(anders in der im Nachhinein noch besser werdenden John Le Carré-Verfilmung Tinker Tailor, Soldier, Spy). Die Bombenanschläge im Herzen Londons, die Verachtung der unwissenden Massen
in den U-Bahnschächten
und der in der letzten Einstellung in einer leichten Brise wehende Union Jack läuten einen neuen, verlogenen
Eliten-Patriotismus ein. Die Massen sind nun dem Hedonismus verfallen, der in
den 60er Jahren von Daniel Craigs Vorläufer Sean Connery populär gemacht wurde (südliche Strände, flüchtiger Sex, raffinierte
Drinks). Der "neue" James Bond dagegen ist die modernisierte Version
der Oberschicht, ein langweiliger Bürokrat der Gewalt, der sich seiner sogenannten
Verantwortung stellt und die angeblich notwendigen Entscheidungen trifft:
Subventionen kürzen,
Gefängnisse
füllen und anderen reichen
Freunden helfen. Sein Märchenschloss der Kindheit (das im nach Unabhängigkeit strebenden Schottland
steht) ist am Ende abgebrannt und kein Danny Boyle wird es wiederbeleben.
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