Mittwoch, 13. März 2013

VERHUNZT (aus: STERNCHEN UND SCHNUPPE. Familienroman der Zukunft)


Schnuppe war schlechter Laune. Sternchen konnte es daran hören, wie er den Schlüssel ruckartig in Schloss steckte und mit wesentlich mehr Schmackes herumdrehte, als nötig war. Schnuppe hatte selbstverständlich einen Schlüssel. Ebenso selbstverständlich drang er nie in Sternchens Wohnung ein, ohne sie wenigstens kurz vorzuwarnen (außer wenn Sternchen unterwegs war und er dafür zuständig, ihre strubbeligen Gewächse zu pflegen). Schnuppe sendete ein Klingelzeichen, bevor er sein Rad unten im Hinterhof an den Ständer schloss und wenn Sternchen keine Lust oder Besuch hatte, schickte sie eine Raute zurück; das genügte. Dann schloss Schnuppe nicht ab, sondern setzte sich direkt wieder auf sein Rad und fuhr weiter oder heim. Früher war Schnuppe auch manchmal aufgetaucht, wenn Besuch bei Sternchen gewesen war, hatte freundlich mit dem Schlüssel geklappert und gefragt, was zum Abendessen gewünscht wurde. Aber Schnuppe und Sternchen hatten feststellen müssen, dass diese Auftritte auf Befremden und Abneigung stießen, die auch nur wenig oder gar nicht gemildert werden konnten durch Sternchens Beschwichtigung: „Das ist mein Bruder.“

Schnuppe war also schlechter Laune. Sternchen auch. Das konnte ja heiter werden. Sie nutzte die Chance, ihm zuvor zu kommen: „Ich geb´s auf. Ich hab die Schnauze voll.“ Schnuppe, der grade den Fahrradhelm abnahm, zog eine Schnute. So hatte er sich das nicht vorgestellt. So hatte er anfangen wollen. Er konterte: „Ich auch. Satt habe ich es bis oben hin.“ Schnuppe gab so schnell nicht auf. „Diese ewige Selbsterhöhung, dieses ganze Geseire. Als könnte man ohne diese öde Verblasenheit nicht leben. Als könnten es nicht die meisten. Als gäbe es irgendeinen Hinweis, dass Leute, die RTL2 gucken, unglücklicher sind.“ Schnuppe knallte den Helm auf den Tisch. „Als ging´s darum. Wer glücklicher ist. Mensch, Sternchen. Stell dich nicht dümmer als du bist. Der Verblendungszusammenhang.“ „Blabla. Die ganze Besserwisserschlauermeieroberdümmer-Kiste.“ Schnuppe musste lachen. „Darf ich mir das notieren?“ „Alle sind arm, fühlen sich aber wie die Milliardäre des Geistes.“ „Sternchen, ich hab keine Ahnung, wovon du redest.“ „Die Community. Der verkniffene Hohn. Die egomanischen Missachteten. Die ignoranten Unbeachteten. Die geizigen Un-Promovierten. Die Rechtsuchenden und –habenden. Und am meisten: die ewige Wiederholung des Rufes nach einer Gerechtigkeit, die es nicht geben kann und soll.“

 „Ach“, Schnuppe ließ sich in einen Sessel fallen. „Eine Netz-Krise. Da bin ich erleichtert.“ Sternchen riss den Mund auf. Dann schaute sie Schnuppe in die Augen und musste lachen. „Hast recht. Virtuelle Scheiße. Dreifach gequirlt. Und es gibt auch wirklich Ungerechtigkeit.“ „Ganz genau. Vergiss das nicht, Schwesterherz.“ „Bloß geht es mir nie um das, was eine verdient.“ „Ja, ja, sondern um das, was eine braucht. Das kenne ich schon. Das erzählst du mir dauernd. Und ich bin ja ganz deiner Meinung.“ Sternchen plumpste auf Sofa. „Das ist eigentlich eh nicht das Thema.  Ich bin sauer wegen Alex. Und dann klicke ich mich durch die Seiten der üblichen Verdächtigen und kotze.“ Schnuppe nahm sie genauer unter die Lupe. „Der Bademeister?“ Sternchen starrte ihn an. Dann klickte es. „Ja, der hättst-du-mir-gern-angedichtet,-is-es-aber-nicht - Fitnesstrainer. Der aber liest. Und viel weiß. Vor allem alles besser.“ „So einer.“ „Genau. Er interessiert sich brennend für alles, was mir am Arsch vorgeht.“ Schnuppe machte eine drohende Geste mit dem Zeigefinger. „Ist doch wahr. Ein Erklärbär. Du sagst ihm: ´Das ist nicht so mein Ding.´ und er erklärt dir zwei Stunden, warum das so wichtig ist. Relevanzkunde für Dummies.“ „Warum triffst du dich mit dem?“ „Er ist so herrlich egoistisch. Er interessiert sich null für Menschen. Nur für Sachen. Und Formen.“ Schnuppe zog die Augenbrauen hoch. „Viele Frauen finden selbstbewusste Egozentriker sexy. Ich bin da keine Ausnahme.“ „Aber er kennt doch Jane Austens Romane nicht.“ Sternchen lachte. „Nee. Ich kann eh sagen, was ich will, er landet immer bei Beckett. Oder Fourier.“ „Oh My God. Tom Townsend.“ "Nur 20 Jahre älter." "In dem Alter blättert der Sex-Appeal von so viel Ignoranz aber ab." Sie klatschten sich ab. „Schluss jetzt mit den Insider-Jokes.", mahnte Sternchen. "Und?“, fragte Schnuppe, wieder ernst geworden. „Ich tauche ab. Beobachte, wie sein Mund sich bewegt. Er zieht so schön die Augenbrauen hoch. Geh im Kopf meine Patientenliste durch.“ „Wo ist das Problem?“ „Er will mehr. Das wollen sie alle. Sie brauchen Verehrung. Sie wollen belehren – und die Illusion verstanden zu werden.“ „Na, dann gib´s ihm doch, wenn er so sexy ist.“ „Schnuppe! Ich kann das nicht. Ich bin zu zufrieden. Mit mir selbst. Ich gefall´ mir. Da kann ich mich nicht zum Opfer bringen. Die Muse spielen.“ Schnuppe dachte nach. „Warum auch? Warte auf einen Bademeister. Der trägt dich auf Händen.“ Sternchen schmunzelte. „Ich denk an was anderes.“ Schnuppe zauberte ein Fragezeichen in sein Gesicht. „Ein Koch.“ Schnuppes Miene verdüsterte sich. „Das wär dann das erste Mal, dass ich eifersüchtig wär´.“ Sternchen rieb sich demonstrativ die Hände: „Gut zu wissen.“ Sie veränderte ihren Gesichtsausdruck. „Aber er wird unangenehm. Dieser Alex. Seit ich ihm den Laufpass gegeben habe, macht er Telefonterror.“ Schnuppe streckte die Hand aus. „Komm her.“ „Er beschimpft mich. Und dann fängt er wieder an zu betteln. Er besucht meine Freunde. Reihum. Und labert sie zu. “ Sie setzte sich auf Schnuppes Schoß. „Bei mir war er noch nicht.“ „Das kommt noch. Bestimmt.“ „Da ist er richtig. Ich freu mich auf den. Ehrlich.“ Das war nicht viel. Das war nicht, was Sternchen hatte hören wollen. Das war jetzt aber mal genug.

Sie zupfte ihn am Ohrläppchen. „Und du? Warum hast du schlechte Laune?“ „Weiß nicht.“ Schnuppe hatte die Lust verloren. „Komm schon.“ Sternchen zupfte am andern Ohr. „Mein Buch.“ „Oh.“ „Ein Verriss.“ „Wo?“ „In der SZ.“ „Was steht drin?“ Schnuppe zog die Zeitung unter seinem Pullover hervor. Sie war schon so gefaltet, dass der Artikel über Schnuppes   Inszenierung oben auf lag: „Mehr ist nicht drin“, lautet der süffisante Titel. Sternchen überflog den Text. Der Name der Kritikerin sagte ihr nichts. Der Tenor war: In Schnuppes Version werde die klassische Dreiecksgeschichte nicht erzählt, sondern nur behauptet. Sternchen lachte falsch. „Sehr selbstreflexiv. Genau wie in dieser Besprechung.“ Die Figuren seien Typen, blieben ohne inneres Leben und zuletzt fehle der Darbietung eine klare Botschaft. „Nach zwei Stunden geht  der Zuschauer ratlos nach Hause.“ Sternchen warf die Zeitung auf den Boden. „Was willste mit Leuten, die ins Theater gehen lesen, um Botschaften zu empfangen? Mensch, Schnuppe. Die sollte morsen lernen.“ Schnuppe sackte in sich zusammen. „Vielleicht stimmt´s ja.“ Sternchen schüttelte den Kopf. Sie stand auf. „Ich mach uns jetzt mal Pasta.“

In der Küche lehnte Sternchen sich für einen Moment an den Kühlschrank. Ihr hatte Schnuppes Regiearbeit auch nicht gefallen. Alles so durchkonstruiert. Und gleichzeitig hektisch. Gesang. Gekreisch. Ausziehen. Anziehen. Sternchen mochte es, wenn alles beschaulicher war. Und illusionistischer. Sie lächelte. Was ich sehen will, findet Schnuppe antiquiert. Kostümtheater.  Fremde Welten. Er will den Vorhang zerreißen; ich will ihn aufgehen sehen. Was verstehe ich schon davon. Aber ich hätte da auch nicht am Ende applaudiert, wenn Schnuppe nicht mein Bruder wäre.

Schnuppe hob die Zeitung vom Boden auf, faltete sie sorgsam und steckte sie zurück unter seinen Pullover. Sternchen hatte Recht: Wie ernst konnte er eine Kritikerin nehmen, die eine „Botschaft“ verlangte?  Weniger Manierismen. Die kapierte gar nix. So war das. Der ganze Betrieb kotzte ihn an. Er schloss die Tür zu Sternchens Arbeitszimmer und deckte den Tisch für zwei. 

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