Montag, 11. März 2013

WORT-SCHATZ (16): Leistung


so wollen wir hiemit die leistung in künftigen
schuld- und gültverschreibungen einzuverleiben gänzlich verbotten haben.
policey-ordn. zu Frankfurt 1577


Leistung ist kein Wort, das Dichter in ihren Texten verwenden. Selbst die Prosaiker meiden es, als reiße das Wort den Text, der schöne Literatur sein will, hinab in eine hässliche aliterarische Vorhölle, wo die Marterwerkzeuge ausgebreitet sind, um ihn zu banalisieren, zu bagatellisieren und einzureihen in die Gliederkette der allumfassenden Verwertungszusammenhänge, denen zu entrinnen doch das künstlerische Schaffen an Semantik und Syntax gelten soll.

Anders ist es, wenn der gewöhnliche Dichter oder die gemeine Romanautorin von ihrer Arbeit spricht oder sprechen lässt (durch gewöhnliche und gemeine Kritiker_innen). Da ist viel von jener unablässigen und ernsthaften Arbeit im Weinberg des Wortes die Rede, der sie sich mit Haut und Haaren verschrieben haben. Es wird auch nie versäumt, die Zeit zu betonen, die investiert wurde, um sich das Werk abzuringen. Der Schriftsteller, die Schriftstellerin, das sollten die Leser_innen niemals vergessen, kennt keinen Feierabend. Vor so viel Leistungswillen muss eine schließlich doch den Hut ziehen! (Den sie nicht trägt.) Oder?

Es ist etwas Unheimliches um die Leistung und den „Leistungsgedanken“, denn wo immer er auftaucht, räkelt sich im Konnotationsversteck wohlig die Schuld. Wer wem weswegen etwas schuldet. Wer was leistet, hat was verdient. Mindestens Aufmerksamkeit. Wer nix leistet, soll auch nix kriegen. Sagen die Gläubiger. (Wer? Wir!). Leistung muss doch zählen. Nur wer sich anstrengt, kriegt den Lohn. Dann aber auf jeden Fall. Sonst stimmt was nicht mit dem System.

Man spricht im fiktionalen Text nicht von Leistung, weil sich die Kunst  - seit sie autonom ist -, dem Ethos der Arbeit mit Fleiß zu entziehen sucht. Aber – und darin liegt das Paradox – von diesem Fleiß muss außerhalb des Textes, im „Betrieb“ und im akademischen Diskurs, dennoch hinreichend die Rede sein, sonst kann kaum, was da entstanden ist, als ernsthaftes Werk gewürdigt werden. Der Gegensatz von Arbeit und Kunst – er ist im Werk zu betonen und außerhalb desselben einzuebnen. Denn es muss einfach stimmen (wo kämen wir sonst hin): Wer nicht hart gearbeitet hat, kann nichts geschaffen haben. Die Welt der Fiktionen selbst dagegen kennt keine Leistungsträger (es sei denn, sie werden durch Ironie und Sarkasmus böse abgestraft) und auch wer liest, leistet grade nix. (Traditionell – d.h. seit etwa 1800 -  ist das, die leistungsbefreite Zone, das Private,  die Welt der Frauen. Und sie sind auch – ganz überwiegend immer noch - die Leserinnen.) Lesen ist Vergeudung, Entzug der Produktivität, pure Rezeption. Aufnehmen statt herstellen. Schuldig! (Meine Großmutter war sicher, dass Gott den lesenden Müßiggang bestraft, wenn die Zeit gekommen ist: mit dem Entzug des Augenlichts. Es ist mehr als eine Ironie dieser Geschichte, dass sie das ihre verlor, als sie alt wurde. Denn, leider, leider, in der Kunst und anderswo: Leistung bringt am Ende eben doch nicht den sichern Lohn!)

Keine kann sich dem Leistungsdruck ganz entziehen. Facebook´s Sheryl Sandberg fordert die Frauen auf, die Führungsetagen zu erobern. Leistet was! Basha Mika hat auch schon mal in die Kerbe gehauen. Das ist der Druck, den Männer schon länger verspüren. „Arbeiten und nicht verzweifeln!“, hatte Thomas Carlyle, einer der ersten brutalen Propagandisten des kapitalistischen Arbeitsethos geschrieben. Das war ehrlicher. Schaffe, schaffe; Arsch zusammen kneifen! Die meisten Männer rücken trotzdem nicht in Führungsetagen auf. Egal, wie viel einer leistet: Es bleibt eine Reise nach Jerusalem. Den meisten wird der Stuhl unter dem Hintern weggezogen, lange bevor das Spiel um ist. Müssen Frauen das nachspielen? Wenn eine will, dann soll sie. Und ihre Gewinnchancen sollten wenigstens nicht schlechter sein, als die von männlichen Teilnehmern. Die meisten, trotz Carlyle et.al., spielen eh nicht so richtig mit vollem Einsatz, ob Männlein oder Weiblein. Die haben ihre Modelleisenbahnen, Fußballvereine, Chöre, Lesezirkel, Tanzvergnügen, Kaffeekränzchen, pflegen ihre Kinder und Eltern, kochen und waschen, pflanzen Bäumchen, keltern Apfelschnaps und verbringen viel Zeit vergnügt damit, Sachen zu machen, die sich nicht auszahlen, weder in Münze noch in sozialem Kapital.

So gesehen. Die ganzen Schuldverschreibungen haben doch nicht recht verfangen. Es gibt einen hartnäckigen Widerstand gegen das Leistungsprinzip. Er wird nur nicht gern gesehen. Von keiner Seite. Die einen wollen, dass die Hobby-Tänzer und Feierabend-Sängerinnen, die Autoschrauberinnen und Altherrenfussballer bis 70 für Geld arbeiten und möglichst nicht unter 60 Stunden die Woche. Die anderen verachten die uneigentliche „Freizeit“ und ihre Vergnügungen sowieso, weil sie dem Wahren, Guten, Schönen die Aufmerksamkeit angeblich abziehen. Während sich in den fiktiven Welten beinahe alles immer um das dreht, was sich dem ökonomisch verwertbaren Leistungswillen entzieht (Liebe, Sex, Tod, Selbstreflexion) wird behauptet, dass im sogenannten richtigen Leben das Leistungsprinzip alles und alle dominiert. Das ist Propaganda. Denn es ist so: Ob was gelingt, ist Glück (also Zufall und Einstellung). Nur: Wer sich nicht reckt und stellt, den kann das Glück nicht finden. Das Lied vom Lohn der Leistung dagegen wird deshalb so laut angestimmt, weil es falsch ist (und nicht nur klingt).

Von daher: Wahr sind fiktionale Texte, in denen viel geleistet und nix erreicht wird. Oder: In denen sich nur vergnügt wird und doch alles gut ausgeht. 

(„Sind das auch so Sätze aus der ´hohen´ Rollenprosa, die gut klingen und vollkommener Quatsch sind?“)


Schlussfolgerung
Allzu leistungsorientierte Streber_innen langweilen schnell. In jedem Metier.
Und: Leistung ist kein Abo auf Glück. Nicht einmal ein Los. 

(Meinen Söhnen gewidmet)

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4 Kommentare:

  1. "...
    Leistung ist kein Wort, das Dichter in ihren Texten verwenden. Selbst die Prosaiker meiden es, als reiße das Wort selbst den Text, der doch schöne Literatur sein will, hinab in eine hässliche literarische Vorhölle, wo die Marterwerkzeuge ausgebreitet sind, um ihn zu banalisieren, zu bagatellisieren und einzureihen in die Gliederkette der allumfassenden Verwertungszusammenhänge, denen zu entrinnen doch das künstlerische Schaffen an Semantik und Syntax gelten soll.
    ..."
    I'll do my very best! (Zitat: James, Miss Sofie) :)

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    1. Bin gespannt :-) (Im Grimmschen Wörterbuch findet sich nur das Zitat aus der Polizei-Ordnung von 1577. Schon komisch, oder?)

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