Mittwoch, 14. August 2013

ANFLUG (aus: STERNCHEN UND SCHNUPPE. Familienroman aus der Zukunft)




Der Flug erschien ihr endlos. Lili bildete sich ein, dass der Flieger nun schon zum sechsten oder siebten Mal dieselbe Schleife über das Maintal flog. Mein Wille geschehe...., murmelte sie. Wir wollten Schicksal spielen. So schön waren wir, stolze Gebirgsadler, die aus der Höhe herabstießen in eleganten Kreisbewegungen, um die alten Muster auseinanderzubrechen und zu neuen Formen zusammenzuwürfeln. Wie wir uns selbst bejubelten. Denn sie wissen nicht, was sie tun...Lilis Lächeln war ohne Milde. Es wäre gut gewesen, wenn sie sich überschätzt hätten. Stattdessen hatten sie getan, was sie konnten und das war nicht wenig gewesen.

Was wollte sie? Warum hatte sie sich zuletzt doch zu diesem Treffen entschlossen? Kein Tumor zerfraß ihre Eingeweide, kein Herzstillstand, keine Lebensmittelvergiftung hatte sie – beinahe – zu Tode erschreckt. Den Entschluss hatte sie plötzlich gefasst, ohne jeden Anlass. Oder vielleicht war er über die Jahre in ihr gereift. Dein Gewissen. Ein Wort, das Adam oft in den Mund genommen hatte. Sie mied es, wie der Teufel das Weihwasser. (Der Vergleich war gut.) Sie hatte sich nicht schlaflos durch die Nächte gequält, keine innere Stimme hatte ihr befohlen: „Du musst es ihnen sagen.“ Sie war sich auch immer noch nicht sicher, während die Maschine aus Mallorca über dem Fraport kreiste, was sie den beiden tatsächlich verraten würde. Sie ahnten etwas. Kinder spüren das. „Auch diese Kinder?“, hatte Adam gefragt und die Augenbrauen hoch gezogen, auf diese typische Adam-Weise, die sie schon immer rasend gemacht hatte. Wie gut, dass wir niemals ein Liebespaar waren. Nur Eltern. Wir haben Eltern gespielt. Vater. Mutter. Sohn. Tochter. Schnuppe und Sternchen. Sie konnte nicht verhindern, beim Gedanken an die beiden Kosenamen die Lippen verächtlich zu schürzen. So was dachte Adam sich aus. Wie vom Himmel gefallen. Wünsch dir was. Und trotzdem: Adam und sie waren Risiken eingegangen, um diesen Kindern ein normales Familienleben zu ermöglichen. Was ist schon normal? Sie haben es immer gespürt. Dass etwas nicht stimmt. Mit ihnen. Mit uns. Am Ende hatte Adam genug. Oder wollte nicht länger die Verantwortung übernehmen. Für das, was sich anbahnte, schon so lange angebahnt hatte. Sie hatte es kommen sehen wie er und doch hatten sie niemals darüber gesprochen. Das war nicht im Plan gewesen. Was ist so schlimm daran? Lass sie doch. Sie sind nicht blutsverwandt. Da hatte Adam zugeschlagen. Und war gegangen. Seither hatte sie nichts mehr von ihm gehört. Adam war verschwunden. Als habe die Hölle ihn verschluckt. Ob sie ihn gefunden hatten? Ob er zu denen zurückgegangen war? Gab es die Einheit noch? Lili wusste es nicht und wollte es auch nicht wissen. Low profile. Sie vermisste ihn nicht. Machte sie sich weis. Es gab möglicherweise gar niemanden mehr, der es noch wusste. Es war nicht geschehen, wenn sie es nicht aussprach. Nur ein Gedanken-Experiment. Fiktionen. Schnuppe und Sternchen. Wie vom Himmel gefallen.

Das Flugzeug setzte zur Landung an. Lili hatte nicht einmal bemerkt, wie es in den letzten Minuten an Höhe verloren hatte. Sie atmete tief aus und normalisierte ihren Herzschlag, wie sie es gelernt hatte. Die Ruhe zu bewahren ist das Wichtigste. Nur wer seinen eigenen Körper kontrolliert, beherrscht die Situation. Lili stopfte ihre Handtasche immer neben sich in den Sitz. Schmal genug war sie ja. Niemals würde sie sich von ihren Papieren trennen, von den Pässen nicht und vor allem nicht von der Urkunde, die sie dabei hatte, eine geschickte Fälschung, die sie vielleicht zum Einsatz bringen würde, vielleicht auch nicht. Zielsicher zog sie das Dokument aus der Tasche, das sie gleich vorweisen musste. Einen Perso der Bundesrepublik Deutschland auf den Namen Marie Himmelreich. Das war der Name, unter dem Sternchen und Schnuppe die Frau kannten, die sie für ihre Mutter hielten. 


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Das Projekt "STERNCHEN UND SCHNIPP  wächst. Und ist darum jetzt auch (mit neuem Untertitel) in der Cloud in richtiger Reihenfolge eingestellt.
STERNCHEN UND SCHNUPPE. Familienroman der Zukunft
Dort finden sich auch weitere längere Erzählungen, die im Blog als Serien erschienen sind und weiter erscheinen:
FABELWESEN. Erotische Fiktionen
AUTO. Logik.Lüge.Libido. Biographische Fiktionen
GESCHICHTEN VON FRAU K. 
DER ANDERE/DIE ANDERE. Eine Wintererzählung 
BAADER, ENSSLIN UND DIE ZWERGWERFER. Eine phantastisch-philosophische Moritat
FRAUENSACHEN. Vier Frauen, Sex und der Tod
PANI TAU
WILDERMUTHS ELBIN
(Falls jemandem der Lesestoff mal ausgeht...)
Rausgenommen aus der Cloud habe ich das Fragment von PUNK PYGMALION. Der Roman befindet sich nämlich in der Überarbeitung für eine Druckfassung. 

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