Mittwoch, 28. August 2013

LESEN. SCHREIBEN. LEBEN. (Statt: Stapel ungelesener Bücher und so...)

LESEN
Es ist wahr: Ich habe noch nie ein Buch von Daniel Kehlmann über Seite 15 hinaus gelesen. Ich werde wahrscheinlich weder die neuen Romane von Clemens Meyer (Schriftsteller als "coole Säue", die über weibliche "Waren" und menschliche Zuhälter schreiben, naja, vielleicht tolle Literatur, sprachlich, interessiert mich aber nicht) noch von Helene Hegemann (von der es zwar coole Mädchen-Fotos gibt, aber öde Leseproben) lesen. So ist das halt. Ein Blick in die Feuilletons, wenn ich ihn denn einmal wage, wirkt auf mich als Leserin oft eher abschreckend als anziehend. Meine Lektüreentscheidungen gehen auf andere Quellen zurück. Meist auf die Empfehlungen von Freundinnen.

Lesegewohnheiten ändern sich. Immer wieder mal. Es gab Jahre, in denen ich eigentlich nur Jane Austen gelesen habe. Es gab Jahre, in denen ich fast nur Krimis gelesen habe. Es gab Jahre, in denen ich mich von A-Z durch die Gemeindebücherei gelesen habe. A wie Anonym. M wie Thomas Mann. Z wie Unica Zürn. Dreiunddreißig. Siebenundzwanzig. Vierzehn. Ich habe ja schon einige Jahre auf dem Buckel und deshalb trotz dieser chaotischen Auswahl schon einiges gelesen. Kreuz und quer. Sich auf Gesamtwerke gestürzt wie eine Kannibalin auf die Missionare. Wiederholungen. Manche Bücher habe ich fünfmal hintereinander gelesen. In Griffweite kommen alle, die ich nicht entbehren kann. Beim Lesen und Schreiben. Auf Armlänge von meiner Bettstatt habe ich platziert: Uwe Johnson und Peter Weiss. Jane Austen. Sybille Bedford. Alice Munro. Janet Frame. Ford Madox Ford. Charlotte, Emily und Anne Brontë. Virginia Woolf. Auch Ingeborg Bachmann. (Allerdings: nicht mehr gelesen seit 15 Jahren. Zum Beispiel "Malina" - heute unerträglich. Nur die Gedichte. Immer wieder.) Hölderlin: Sämtliche Gedichte. Bettina von Arnim: Das Goethe- und das Günderode-Buch. Die Briefe.

Vor anderthalb Jahren kam der Kindle, das digitale Lesegerät. Whispernet. Das gedruckte Buch vermisste ich nicht. 124 Bücher runtergeladen seither. Der Stapel ungelesener Bücher ist kein Stapel mehr. Stattdessen eine lange Liste. Zuletzt gelesen: Wir sind die Früchte des Zorns von Sabine Scholl. (Das wichtigste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe! Ich werde darüber schreiben.) Einige Krimis von Zoe Beck, nachdem ich von einer Freundin auf einen Text in ihrem Blog hingewiesen wurde. Von Dorothee Markert, die Chiara Zambioni übersetzt, las ich: Lebenslänglich besser. Unser verdrängtes pietistisches Erbe (Ein Thema, das mich aus persönlichen Gründen sehr beschäftigt. Auch über dieses Buch will ich noch im Blog schreiben.) Das Bad von Yoko Tawada empfahl mir Jana Volkmann.

Auf der Liste, der ungelesenen Texte, die auf dem Lesegerät warten: Dostojewskis Der Idiot (wieder zu lesen). Black Box von Jennifer Egan. Olive Kitterige von Elizabeth Strout (weil Iris es empfahl), König, Hofnarr und Volk von Andrea Winkler. Das nackte Auge von Yoko Tawada. In gedruckter Form bestellt: Carlo Ginzburgs Faden und Fährten: wahr falsch fiktiv. Weil es nicht als Ebook zu haben ist und weil Wagenbach Bücher macht, die nicht nur schön aussehen, sondern sich auch schön anfühlen. Auch als Hardcover liegt schon auf dem Tisch Wer ist Martha? von Marjana Gaponenko.

SCHREIBEN
Was eine liest und wie, prägt, was und wie sie schreibt. (Fast alle männlichen Intensiv-Leser, die ich kenne, nennen unter ihren prägendsten Lese-Erfahrungen dieses Trio: Kafka, Beckett, Nabokov. Alle weiblichen, die ich kenne, nicken dazu zustimmend und bleiben stumm. Große Werke, zweifellos. Anderes wurde ihnen wichtiger.) Als ich jung war, habe ich gelesen, was ich kriegen konnte. Als ich älter wurde, las ich, was die Autoritäten empfahlen. Dann fing ich an zu lesen, was mir gefällt: weil mich das Thema interessiert, die Sprache anzieht, die Figuren anrühren. Ich las fortan auch nicht  mehr zu Ende, was mich ödete. Es gibt immer mehr zu lesen, als ich schaffen kann. Denn mein Leben besteht weder zur Gänze noch zur Hälfte aus Lesen und Schreiben. 

Lebens- und Lese-Gewohnheiten ändern sich. Mit ihnen, was eine schreiben kann und muss. Gewalt und Liebe. War einmal. Das Begehren der Frauen. Viele Stimmen, die einander widersprechen. Dass es kein Mann sein muss. Und nicht weh tun. Soweit war ich vor zwei Jahren, vor anderthalb Jahren noch nicht. Es gibt eine Bewegung ins Phantastische, der ich nicht traue, aber folgen muss (Die Fabelwesen). Es gibt eine davon weg: Der Sabinen-Roman. Eine Groteske? Tragisch-komisch. Aufufernd. Barock. Mir entgleitet schon  jetzt das Figuren-Tabloid. All die Namen. Die Beziehungen.  Der Märchen-Wald, hinter dem sich die Sozialbau-Siedlung verbirgt. Und gar kein Plot. Nur ein Anfang und ein Ende. So war es ja auch bei Melusine featuring Armgard. Nur umgekehrt. Zwei Kapitel dazu sind gleichzeitig "in Arbeit" (dieser Ordner auf meinem Desktop, der immer aufgeklappt ist): Stand Off: Die Stimme des Mannes vom See, die lang nicht mehr zu hören war, drängt sich mir auf. Eight pictures: Die Bilder von der Mutter mit dem Schlangenhaar gleiten an die Oberfläche und verschwimmen in aufgewühlten Wogen. Viel dringlicher wäre die Korrektur von PUNK PYGMALION. Der lektorierte Text liegt mir vor. Den Plot straffen. Nicht alles erklären. Die Stimmen klarer von einander separieren. (Ansgar ist nicht Werther.) Weg mit den Redundanzen. Ich arbeite daran. Das wird ein Buch! Gedruckt. Grün.  

Verzettele ich mich? Zettelkästen habe ich aufgegeben. Notizhefte nicht. Ich kann mich nur in Bewegung konzentrieren. Ich kann mich nur bestimmen, wenn ich mich auf die Unbestimmtheit einlasse. Die wahren Worte sind niemals eindeutig. Wer deutlich spricht, verspricht zuviel. Immer? Solche Sätze, Regelwerke, sind vor allem Rechtfertigungsversuche. Von denen es sich zu lösen gilt. Die ausgetrickst werden müssen. 

LEBEN
Ich werde eine Idylle schreiben. "Hanna im Glück". Oder im Grünen? (M)Ein Leben, wie es nicht ist.  Alles wird so gut gehen, dass die Leserin schreit vor Neid. Die Wahrheit zu sagen, tut gar nicht weh. Oder doch? Mein Leben kann keine Literatur sein. Ein Leben als Literatur ist mir zu wenig. Auch zwei. Der Bluterguss auf meinem rechten Oberschenkel, eine Handbreit über dem Knie, der tiefrote  Kratzer auf meinem Unterarm, den ich entdecke wie einen von fremder Hand vergrabenen Schatz, das dumpfe Dröhnen auf der linken Seite meiner Stirn -  daraus ließe sich eine heroische Erzählung formen: Der Kampf gegen den rechten Mob. Gestern hatten wir in dieser Stadt, in der ich wohne, aber keine Erinnerung finde, die also Heimat nicht sein kann, Besuch von der NPD. Ein kleiner Trupp verwirrter Männer um Holger Apfel, die aus einem fetten Bus mit ausländerfeindlicher Aufschrift stiegen und sich hunderten aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger in bester, weil streitlustiger Laune gegenüber sahen. Auch AmazingMastermind  und ihre Mutter ließen sich die Randale-Chance auf der richtigen Seite nicht entgehen. Ein bisschen Nazi-Bashing tut immer gut. Wer könnte das leugnen? 

Das ist Leben. Unterwegs sein. Mit Freunden schwätzen. Die Eintracht anfeuern. Neffen hüten. Salat putzen. Einkaufstüten schleppen. Das Leben als Roman, wie Alban Nikolai Herbst es vom schreibenden Künstler einfordert, ist für mich keine Option. Umgekehrt wird kein Schuh draus, aber Möglichkeiten. Der Roman als Leben. Statt dem Leben eine Form abzutrotzen, wird die Schrift ins Leben ver- und gesetzt: Wandelbar, zufällig, unbestimmt. Die Gefahr des Mäanderns. Alles kann passieren. Warum sollte der Text ein Ende haben? Weil ich jetzt ein Bad nehme. Aus keinem anderen Grund. Was soll die Form? Ich forme mein Leben. Nicht zu einem Text. Texte sind Abfallprodukte. Abfall für alle. 

So wird das nix!

Weiter. (K)ein X für ein U.

Leben. Schreiben. Lesen. 



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