Ein Beitrag von Morel
Alle
neun Jahre drehen Regisseur Richard Linklater, Ethan Hawke als Jesse und Julie
Delpy als Celine einen Film, zumindest seit dem Programmkinohit Before Sunrise aus dem Jahr 1995. Darin
ging es um eine Nacht in Wien, in der sich Jesse und Celine zum ersten Mal
begegnen und buchstäblich über Gott und die Welt reden. Am Ende dieser Nacht
steht ein Versprechen, das aber gebrochen wird. Davon handelt der neun Jahre später
gedrehte Before Sunset, der in Paris
spielt, und davon handelt, wie das Paar wieder zusammenfindet und -bleibt.
Begegnung, Wiederbegegnung und Trennung - das wäre eigentlich die Logik, nach
der Linklaters Trilogie nun mit Before Midnight ihren Abschluss finden müsste.
Und um das schon mal vorwegzunehmen: es ist nicht der Hang von Hollywood zum
Happyend, der das verhindert.
Before Midnight spielt in Griechenland, auf einem Landgut im Süden der Peloponnes.
Dorthin lädt ein bekannter Schriftsteller Jesse, Celine, ihre beiden Töchter,
und seinen Sohn aus einer schwierigen ersten Ehe ein. Wie in allen Filme der
Trilogie wird viel geredet, böse Zungen würden sagen über Erste-Welt-Probleme.
Die Szenen sind immer sehr lang und ruhig inszeniert: eine Autofahrt vom
Flughafen zum Landgut, Jesse und Celine streiten über den Umgang mit Henry (der
gerade am Flughafen verabschiedet wurde); Jesse will ihm nahe sein, wenn möglich
in Chicago, Celine will jetzt nachdem die Töchter größer sind, ihre Karriere in
der Umweltpolitik fortsetzen, auf den Rücksitzen schlafen die Zwillingstöchter;
später diskutiert Jesse mit anderen Männern über seine Romane, während Celine
in der Küche beim Vorbereiten des Essens hilft; während des Festmahls im Freien
wird witzig und scharf über die Dinge des Lebens, insbesondere die zwischen Männern
und Frauen geplaudert; es sind aufgeklärte und abgebrühte Geister, selbst das
junge Paar rechnet nicht mit dauerhafter Liebe; Celine brilliert mit einer bösen
Satire auf blonde Dummchen, die Intellektuelle bewundern, nur manchmal bricht
der Firnis der Oberflächlichkeit auf, wenn Tod und Scheitern zur Sprache
kommen; danach gehen Jesse und Celine zu Fuß in ein Hotel, in dem sie eine Übernachtung
geschenkt bekommen haben; die Kamera fährt vor ihnen, so dass wir in ihre
Gesichter schauen, während sie sich unterhalten und die paradiesische
Landschaft hinter ihnen verschwindet, für die sie keine Augen haben (gedreht
wie in einem der großen Filme von Straub und Huillet); es ist ein heiteres und
geistreiches Gespräch, wie es zwei Menschen führen, die sich zum ersten Mal
begegnen (diese Unwahrscheinlichkeit fällt auch Celine auf, die das Fehlen der
Töchter mehr bemerkt als Jesse); es geht um Zeit und Dauer, den Versuch sich
vorzustellen, wie sie in einigen Jahrzehnten auf ihr Leben zurückblicken werden
und ob sie das gemeinsam tun werden; denn bei allem Sarkasmus und Witz mit dem
Jesse und Celine die Diskussion an der Essenstafel bereichert haben: beide
haben vor 18 Jahren eine Erfahrung gemacht, die tiefer geht, als der leichte
(und für viele Kritikerinnen und Kritiker verführerische) Ton, in dem Linklater
davon berichtet, es ahnen lässt; es ist daher kein Zufall (filmgeschichtlich
schon mal gar nicht, dazu gleich mehr), dass sie vor dem Einchecken im Hotel
eine tausend Jahre alte Kapelle besichtigen, in der einer Heiligen gedacht
wird, die Blinde sehend macht; auf dem Hotelzimmer dann die große Streitszene,
die in jeder Kritik gefeiert wurde: es geht um die Un-Ordnung der Geschlechter
und wie sie den Einzelnen ihre Freiräume nimmt, der Frage, welche Wichtelmännchen
die dreckigen Unterhosen wegräumen, wer das Essen kocht und wer mit den Männern
wie Sokrates im Hof palavert oder einfach auf Lesereise gehen kann, so Celine;
Jesse kann dagegen nur seinen Witz setzen, der das Publikum auch im Kinosaal
zum Lachen bringt, und die Forderung, Celine solle sich einfach mehr um sich kümmern;
am Ende aber macht er einen Witz zu viel und die Kamera zeigt nur noch eine
geschlossene Tür, zwei Rotweingläser und einen einsamen Mann: Celine ist
gegangen.
Nach
aller Drehbuchlogik müsste dies das Ende sein. Die eine Nacht in Wien hat nicht
gereicht für ein ganzes Leben. Aber zum Glück gibt es noch das Kino. Celine
hatte sich auf dem gemeinsamen Spaziergang zum Hotel an einen Film erinnert,
den sie als Jugendliche gesehen hatte: ein Paar besichtigt in Italien die
Ausgrabungsstätten in Pompeji, wo ihnen Abdrücke von zwei Liebenden gezeigt
werden, die sich umarmen. Dieser Film, Viaggio
in Italia von Roberto Rosselini ist eines der Meisterwerke des europäischen
Kinos und folglich in Deutschland unbekannt. Auch in Viaggio in Italia trennt sich das Paar, sie besprechen ruhig und
vernünftig die Scheidung, werden von einer katholischen Prozession voneinander
getrennt, finden sich wieder und bleiben dann vorläufig doch zusammen. Der Regisseur
Rudolf Thome schreibt zu diesem Ende: "Es gibt überhaupt nichts Endgültiges
zwischen ihnen, solange sie leben."
In
Before Midnight kommt es zu einer andersartigen Wendung, die sich zunächst einmal
Jesses Witz zu verdanken scheint. Er setzt sich zu Celine, die allein in einem
Straßencafé auf das Meer blickt und beginnt die Rolle des frechen Verführers zu
spielen. Dann liest er Celine einen Brief vor, den ihr 88jähriges Selbst ihr
aus der Zukunft schreibt: dort wird von einer, gerade in erotischer Sicht,
aufregenden Nacht in der südlichen Peloponnes berichtet. Zum Glück teilt Celine
mit Jesse die Gabe zum Humor. Das Entscheidende ist aber nicht die Rhetorik
sondern das Wunder, mit dem beide ihre Blindheit überwinden: wer auf die
Gegenwart nur mit seinen heutigen Augen blickt (und nicht mit seinen
vergangenen und zukünftigen), verpasst das Entscheidende. Davon handelt
Linklaters Filmtrilogie, in dem zukünftige Augen vermutlich eines der geglückten
Kunstwerke unserer Zeit erkennen werden. Wie in dem Rosselini-Film, ein
Vulkanausbruch vor über tausend Jahren das Ephemere, eine Liebesnacht, für
immer festhält, so geht es Linklaters Inszenierung darum, Momente zu retten,
die nicht dauern können.
Diesen Film hätte ich gern mit Dir gesehen :-).
AntwortenLöschenDu warst ja dabei, jedenfalls musste ich immer an Dich denken.
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