Sonntag, 8. September 2013

Spätvorstellung: BEFORE MIDNIGHT (1995/2004/2013)


Ein Beitrag von Morel

Alle neun Jahre drehen Regisseur Richard Linklater, Ethan Hawke als Jesse und Julie Delpy als Celine einen Film, zumindest seit dem Programmkinohit Before Sunrise aus dem Jahr 1995. Darin ging es um eine Nacht in Wien, in der sich Jesse und Celine zum ersten Mal begegnen und buchstäblich über Gott und die Welt reden. Am Ende dieser Nacht steht ein Versprechen, das aber gebrochen wird. Davon handelt der neun Jahre später gedrehte Before Sunset, der in Paris spielt, und davon handelt, wie das Paar wieder zusammenfindet und -bleibt. Begegnung, Wiederbegegnung und Trennung - das wäre eigentlich die Logik, nach der Linklaters Trilogie nun mit Before Midnight ihren Abschluss finden müsste. Und um das schon mal vorwegzunehmen: es ist nicht der Hang von Hollywood zum Happyend, der das verhindert.


Before Midnight spielt in Griechenland, auf einem Landgut im Süden der Peloponnes. Dorthin lädt ein bekannter Schriftsteller Jesse, Celine, ihre beiden Töchter, und seinen Sohn aus einer schwierigen ersten Ehe ein. Wie in allen Filme der Trilogie wird viel geredet, böse Zungen würden sagen über Erste-Welt-Probleme. Die Szenen sind immer sehr lang und ruhig inszeniert: eine Autofahrt vom Flughafen zum Landgut, Jesse und Celine streiten über den Umgang mit Henry (der gerade am Flughafen verabschiedet wurde); Jesse will ihm nahe sein, wenn möglich in Chicago, Celine will jetzt nachdem die Töchter größer sind, ihre Karriere in der Umweltpolitik fortsetzen, auf den Rücksitzen schlafen die Zwillingstöchter; später diskutiert Jesse mit anderen Männern über seine Romane, während Celine in der Küche beim Vorbereiten des Essens hilft; während des Festmahls im Freien wird witzig und scharf über die Dinge des Lebens, insbesondere die zwischen Männern und Frauen geplaudert; es sind aufgeklärte und abgebrühte Geister, selbst das junge Paar rechnet nicht mit dauerhafter Liebe; Celine brilliert mit einer bösen Satire auf blonde Dummchen, die Intellektuelle bewundern, nur manchmal bricht der Firnis der Oberflächlichkeit auf, wenn Tod und Scheitern zur Sprache kommen; danach gehen Jesse und Celine zu Fuß in ein Hotel, in dem sie eine Übernachtung geschenkt bekommen haben; die Kamera fährt vor ihnen, so dass wir in ihre Gesichter schauen, während sie sich unterhalten und die paradiesische Landschaft hinter ihnen verschwindet, für die sie keine Augen haben (gedreht wie in einem der großen Filme von Straub und Huillet); es ist ein heiteres und geistreiches Gespräch, wie es zwei Menschen führen, die sich zum ersten Mal begegnen (diese Unwahrscheinlichkeit fällt auch Celine auf, die das Fehlen der Töchter mehr bemerkt als Jesse); es geht um Zeit und Dauer, den Versuch sich vorzustellen, wie sie in einigen Jahrzehnten auf ihr Leben zurückblicken werden und ob sie das gemeinsam tun werden; denn bei allem Sarkasmus und Witz mit dem Jesse und Celine die Diskussion an der Essenstafel bereichert haben: beide haben vor 18 Jahren eine Erfahrung gemacht, die tiefer geht, als der leichte (und für viele Kritikerinnen und Kritiker verführerische) Ton, in dem Linklater davon berichtet, es ahnen lässt; es ist daher kein Zufall (filmgeschichtlich schon mal gar nicht, dazu gleich mehr), dass sie vor dem Einchecken im Hotel eine tausend Jahre alte Kapelle besichtigen, in der einer Heiligen gedacht wird, die Blinde sehend macht; auf dem Hotelzimmer dann die große Streitszene, die in jeder Kritik gefeiert wurde: es geht um die Un-Ordnung der Geschlechter und wie sie den Einzelnen ihre Freiräume nimmt, der Frage, welche Wichtelmännchen die dreckigen Unterhosen wegräumen, wer das Essen kocht und wer mit den Männern wie Sokrates im Hof palavert oder einfach auf Lesereise gehen kann, so Celine; Jesse kann dagegen nur seinen Witz setzen, der das Publikum auch im Kinosaal zum Lachen bringt, und die Forderung, Celine solle sich einfach mehr um sich kümmern; am Ende aber macht er einen Witz zu viel und die Kamera zeigt nur noch eine geschlossene Tür, zwei Rotweingläser und einen einsamen Mann: Celine ist gegangen.

Nach aller Drehbuchlogik müsste dies das Ende sein. Die eine Nacht in Wien hat nicht gereicht für ein ganzes Leben. Aber zum Glück gibt es noch das Kino. Celine hatte sich auf dem gemeinsamen Spaziergang zum Hotel an einen Film erinnert, den sie als Jugendliche gesehen hatte: ein Paar besichtigt in Italien die Ausgrabungsstätten in Pompeji, wo ihnen Abdrücke von zwei Liebenden gezeigt werden, die sich umarmen. Dieser Film, Viaggio in Italia von Roberto Rosselini ist eines der Meisterwerke des europäischen Kinos und folglich in Deutschland unbekannt. Auch in Viaggio in Italia trennt sich das Paar, sie besprechen ruhig und vernünftig die Scheidung, werden von einer katholischen Prozession voneinander getrennt, finden sich wieder und bleiben dann vorläufig doch zusammen. Der Regisseur Rudolf Thome schreibt zu diesem Ende: "Es gibt überhaupt nichts Endgültiges zwischen ihnen, solange sie leben."

In Before Midnight kommt es zu einer andersartigen Wendung, die sich zunächst einmal Jesses Witz zu verdanken scheint. Er setzt sich zu Celine, die allein in einem Straßencafé auf das Meer blickt und beginnt die Rolle des frechen Verführers zu spielen. Dann liest er Celine einen Brief vor, den ihr 88jähriges Selbst ihr aus der Zukunft schreibt: dort wird von einer, gerade in erotischer Sicht, aufregenden Nacht in der südlichen Peloponnes berichtet. Zum Glück teilt Celine mit Jesse die Gabe zum Humor. Das Entscheidende ist aber nicht die Rhetorik sondern das Wunder, mit dem beide ihre Blindheit überwinden: wer auf die Gegenwart nur mit seinen heutigen Augen blickt (und nicht mit seinen vergangenen und zukünftigen), verpasst das Entscheidende. Davon handelt Linklaters Filmtrilogie, in dem zukünftige Augen vermutlich eines der geglückten Kunstwerke unserer Zeit erkennen werden. Wie in dem Rosselini-Film, ein Vulkanausbruch vor über tausend Jahren das Ephemere, eine Liebesnacht, für immer festhält, so geht es Linklaters Inszenierung darum, Momente zu retten, die nicht dauern können.

2 Kommentare: