Idee und Kreation: Eleonora Bonacossa Text: Ina Pretorius Serviette: Bildungshaus St. Arbogast Goldene Wolle: Großmutter von Regula Farner Roter Garn: Ur-Großmutter von Regula Farner |
Die
DENKUMENTA habe ich als einen Ort erlebt, von dem die Suche nach dieser Sprache
ausgehen kann, eine Suche, die Vertrauen braucht, Optimismus entwickelnd, gegen
die Wahrscheinlichkeit und für die Möglichkeiten. Die Begegnungen zwischen 70
Frauen und zwei Männern, das gemeinsame Denken, das Lachen und Essen, Tanzen
und Singen, Wandern und Waten, auch sich zurückziehen und für eine Weile allein
bleiben, waren geprägt von einer Haltung, die die Differenz nicht überwinden,
sondern leben will. (Ich, zum Beispiel, habe gedacht, gelacht, gegessen, gewandert, im Wasser gewatet, mich zurückgezogen, aber nicht gesungen und nicht getanzt.) Der schönste Moment für mich war jener, als Eleonora
Bonacossa beschrieb, wie sie 2002 in Salzburg begriffen habe: „Das Patriarchat ist zu Ende, wenn wir nicht
mehr daran glauben.“
Außerhalb
von feministischen Zusammenhängen (und gelegentlich auch in diesen) wird „das
Patriarchat“ häufig schlicht als „Herrschaft des Mannes“ übersetzt. Es war sehr
entlastend auf der DENKUMENTA weiterdenken zu können, ohne immer wieder über
diesen Irrtum aufklären zu müssen. „Das Patriarchat“ sichert keineswegs einer
Mehrheit der Männer oder Männern im Allgemeinen die Herrschaft; im Gegenteil:
Auch die meisten Männer bleiben im Patriarchat notwendig Knechte. Das
Patriarchat, an das wir nicht mehr glauben und das damit zu Ende geht, ist
vielmehr eine bestimmte Art zu denken, die von Dichotomien wie Herr und Knecht,
Geist und Körper, Freiheit und Abhängigkeit ausgeht und zwischen diesen eine
klare Hierarchie entwickelt, zum Beispiel: Philosophie ist bedeutender und menschlicher
als Ackerbau; geistige Arbeit hat selbstverständlich einen höheren Wert als körperliche
Arbeit; die „richtige“ Theorie ist wichtiger als die „richtige“ Praxis,
Freiheit ist nur als Gegensatz zur Abhängigkeit vorstellbar. Die Dichotomie der
Geschlechter ist diesem Denken nur ein – wenn auch konstitutives – Element. Die
geistigen Höhenflüge der patriarchalen Denker waren immer schon undenkbar ohne
das Wirken der Sklav_innen und/oder Hausfrauen, die sich all der Dreckarbeit
annahmen, für die sich der Geist des Herrn zu schade war und blieb. Das Denken
der Patriarchen hat immer schon die Mutter und ihre Sexualität unterdrücken,
verleugnen und verschwinden lassen müssen.
Doch
bleibt ein solch polemisches Sprechen wider das patriarchale Denken selbst noch
der Sprache des Patriarchats verhaftet. Es geht nämlich weder darum, die Frauen
in die „höhere Sphäre“ zu versetzen (also klassische „Gleichstellungspolitik“),
noch die falsche Ordnung einfach umzudrehen mit Parolen wie „Zurück zur Natur“
oder indem Gefühle gegen die Vernunft in Stellung gebracht werden. Was vielmehr
zu lernen, wofür Orte und Sprache zu schaffen sind, ist das Denken des DAZWISCHEN.
Der
Beitrag der Frauen zu diesem Denken ergibt sich aus der Erfahrung im (noch) herrschenden
Denken immer nur als „das Andere“ vorzukommen. Aus dieser Erfahrung lässt sich
eine Tradition von Verfahren und Formen, wie dieses Denken zu
unterlaufen ist, entwickeln. Diese Tradition können Frauen gemeinsam entdecken
und fruchtbar machen, auf vielfältige Weise, durch die Schriften von
Vorgängerinnen, durch die Weitergabe von Techniken des Handarbeiten, Kochens
und Schmückens, durch die Anerkennung der Autorität der Mütter, im Wissen um
die Gebürtigkeit: Affidamento. Die
Fähigkeit zum Affidamento stellt damit eben jene andere Art Art, sich denkend zu
nähern, zur „Analyse“ vor; (ein Wort, das Lessings Schwager Mylius nicht umsonst
als „Zerstückelung“ ins Deutsche übersetzt hat). Dabei ist Affidamento keineswegs kritiklose Übernahme, sondern die Fähigkeit, sich in der Differenz zueinander
zu erkennen.
Auf
der DENKUMENTA ergab sich die Möglichkeit eines solchen Denken aus den
Beziehungen der Frauen und Männer zueinander. Für mich war wichtig, dass Antje Schrupp etwas ausgesprochen hat, was ich vorher nur schwer in Worte fassen
konnte: Diese Beziehungen sind kein „Netzwerk“. Ihre Basis sind nicht
Zusammenschlüsse als strategische
Bündnisse mit bestimmten Zielvorstellungen (wie beispielsweise Parteien). Die
Beziehungen, die sich in diesem Denken verweben, sind zunächst stattdessen
Beziehungen zwischen zwei Personen, die sich aufeinander beziehen und eben
nicht auf „eine Sache“. Aus diesen konkreten Beziehungen zwischen zwei Menschen
ergeben sich dann immer wieder Überschneidungen mit anderen, es bilden sich an
bestimmten Stellen des Denkens und Handelns „Knäuel“, wo zwei, drei, vier, viele miteinander Weiterdenken
können, um sich dann auch wieder zu trennen, in anderen Beziehungen neu zu
finden und wieder aufzulösen. So kann ein Denken entstehen, dem es nicht darum
geht, etwas zu „widerlegen“, „niederzureißen“, „abzulösen“, also sich immer
wieder in die fatalistische Abfolge der (gewaltsamen) Revolutionen einzureihen.
Mir ist im Anschluss an die DENKUMENTA noch einmal auf neue Weise klargeworden,
dass hierin auch der entscheidende Unterschied zwischen dem Gebrauch der Worte „Dekonstruktion“ und "disfieri" (Luisa Muraro; damit ist gemeint, etwas – ein Gewebe – auflzuösen, aufzutrennen,
im übertragenen Sinne „ent- machen“, „ent-machten“) besteht. Denn bei letzterem
geht es eben nicht darum, etwas als das „Falsche“ zu entlarven und zu zerstören,
sondern es aus seiner „Verstrickung“ zu lösen, wie einen Faden aus einem
Gewebe, um daraus etwas Neues zu stricken oder zu weben, aber immer so, dass wieder
Fäden lose hängen bleiben, an denen gezogen werden kann. Es ist Denken, das
nicht „Recht haben“ will, sondern sich selbst als Vorläufiges, als gemeinsam zu
Umschreibendes, zu Verwendendes, wieder Aufzulösendes begreift, ein Denken
jenseits der Begriffe, eine Bewegung auf die Namen zu, in dem Bewusstsein
allerdings, dass wir ihrer niemals habhaft werden, dass sie sich uns nicht als
Besitz öffnen, sondern durch Gebrauch.
Die
Unordnung, die sich aus der
Auflösung des Patriarchats ergeben hat, die Zerfallserscheinungen einer immerhin Jahrtausende alten Art
und Weise, sich die Welt zu erklären, macht vielen Angst, nicht nur Männern.
Wenn nicht mehr gilt, was bisher
gesagt, wie die Worte bisher definiert wurden, dann kommt das Enteignungen
gleich. Was (Herrschafts-)Wissen war, wird obsolet. Auf der DENKUMENTA war praktisch erlebbar, was diesen
Verlusten gegenüber steht: Die Lust am NEUBEGEHREN;
die Hoffnung auf die Entdeckung der DIFFERENZEN,
die Chance, das DAZWISCHEN endlich
denken zu können, statt sich immer wieder in die unfruchtbaren Kämpfe um das
Entweder-Oder zu begeben.
Am
Anfang und am Ende von allem steht die DANKBARKEIT.
Ohne die Fähigkeit zur Dankbarkeit wird es kein gutes Leben geben.
Danke
den Veranstalterinnen der DENKUMENTA
für diese Erfahrung!
Luisa Muraro: Die Menge im Herzen, € 12,50 (antiquarisch)
Links zu weiteren Rückblicken auf die Denkumenta aus anderer Perspektive:
Hier.
Links zu weiteren Rückblicken auf die Denkumenta aus anderer Perspektive:
Hier.
" ... geprägt von einer Haltung, die die Differenz nicht überwinden, sondern leben will."
AntwortenLöschen"Was vielmehr zu lernen, wofür Orte und Sprache zu schaffen sind, ist das Denken des DAZWISCHEN."
Was Du da beschreibst, spricht mich sehr an, spricht mir zum Teil aus der Seele, fasst zum Teil in Worte, wofür mir die Worte fehlen.
Ich spüre deutlich, das ich mich gerne in diesen Prozess mit hineinziehen lasse, solche Anregungen aufsauge, die eben nicht revolutionär-umstürzlerisch-besserwisserisch-ungeduldig daherkommen, aber auch nicht gefühlig-harmoniebedacht, sondern denkfreudig-neugierig-weit ...
Es arbeitet in mir, das gefällt mir.
Danke fürs Teilen!
Liebe Iris,
Löschendiese Neugier (Ina Praetorius gefiel die "Gier" im Wort nicht, deshalb erfand sie Neubegehren) empfinde ich nach den Tagen in St. Arbogast sehr stark und sie macht mich froh. Lange war mein Empfinden und Denken davon geprägt, dass es einfach keinen Ort gibt, von dem eine ausgehen kann, dass alles schon "besetzt" und "falsch markiert" ist. Diese Krise (des Denkens und Lebens) hat mich ja auch "ins Netz" gebracht. In St. Arbogast (und im Denken, das dort möglich war) hat sich für mich ein solcher Ort eröffnet, von dem eine ausgehen und etwas "anzufangen" (auch so ein wichtiges Wort) kann. Es geht mir auch schon länger so, auch beruflich, dass ich nach vielen Jahren, in denen ich vor allem die Zwänge und das "Falsche" gesehen habe, jetzt die Chancen erkenne, die Möglichkeiten, eben einfach anzufangen. (z.B. in das Fach Ökonomie trotz Lehrplan ein wenig Care-Ökonomie "einzuschmuggeln"). Manchmal gelingt es, manchmal nicht. Manchmal führt es mich wo ganz anders hin, als ich erwartet hatte.
LG
leider gibt es das wort "disfieri" nicht. es sollte schon "disfare" sein. und es ist auch kein "entmachten", sondern tatsächlich, wenn man so will, ein "entmachen", das sich dem "machen" entgegenstellt, ein quasi überdenken und rückgängig machen und dann wieder von vorn. sofern es denn immer möglich ist.
AntwortenLöschenLieber Helmut,
Löschen"disfieri" ist eine Wortschöpfung von Luisa Muraro. Es gibt das Wort also, allerdings noch nicht in den Wörterbüchern :-).
Dein Hinweis hat mir geholfen, aber Muraros Wortschöfpung lautet eben noch ein wenig anders als das "richtige" Wort. Sie versteht es, wenn ich sie recht verstehe, durchaus als ein "Dazwischen" zwischen "entmachen" und "entmachten". Ich muss da den Übersetzerinnen trauen.
Neue Worte zu (er-)finden ist Teil jener freudvollen Arbeit, die auf der Denkumenta auch stattfand. "Neubegehren" ist eines der schönsten davon. Das wird sich auch (noch) in keinem deutschen Wörterbuch finden. Ebenso wie "kunspirieren", mein liebstes.
Liebe Grüße
Jutta
Ich glaub', ich bin der (lateinischen) Wurzel auf die Spur gekommen: ein im Ital. nicht unbedingt üblicher, aber bekannter Begriff für "im Entstehen/Werden begriffen" ist, wenn etwas "in fieri" ist (Nachweise auch fürs Englische). Also nimm noch dazu "entwerden" oder "verwerden" und "verstehen" (als Gegensatz zu "entstehen") hinzu. Nun zweigt's aber gewaltig mit den Vorsilben und den Stammverben, die sich zu Knüppeldämmen zusammentun, die keinen sicheren Tritt mehr garantieren. Soweit kunspiriert und transpiriert beim Nachschlagen. Gruß. Helmut
AntwortenLöschenDanke für Deine Spurensuche. Ich selbst bin ja des Italienischen gar nicht und des Lateinischen nur mehr theoretisch "mächtig", also eigentlich ohnmächtig.
LöschenLuIsa Muraro spricht auch von " l'arte del disfieri"; die Bilder, die sie verwendet, kommen häufig aus dem Bereich der Handarbeit, wo etwas aufgeknüpft, Maschen aufgezogen oder ein Gewebe aufgetrennt wird, immer aber so, dass die Fäden wieder verwendet werden können.
Ja, im postpatriarchalen Durcheinander kann einem schon schwindelig werden :-), auch sprachlich. Solltest erst mal Chiara Zambonis "Unverbrauchte Worte" lesen; das ist ein Karussell! Ich mag das. Auch "Knüppeldämme" (is ja auch so ein Wort, ein Bild für eine Stauung, halb gewollt, halb zufällig.) Für eine Übersetzerin/einen Übersetzer ist es aber bestimmt ganz schwer. Das macht ja Dorothee Markerts Arbeit so großartig, die in Kommentaren auch immer wieder auf die Übersetzungsarbeit eingeht.
(Bin auch schon sehr gespannt auf Deine und Albans Übersetzung des "Giacomo Joyce"!)
Im Zusammenhang mit Sprachspielen kann ich eine meiner derzeitigen Lektüren empfehlen: Die Verwandlungen des Abu Seid von Serug von Hariri in der Übersetzung Friedrich Rückerts. Da klingelt's nur so. Und der grandiose Rückert schafft es, arabische Wortspiele im Deutschen verblüffend nachzuahmen. - Ich aber bin gespannt auf die Reaktionen, falls welche kommen, was den Giacomo betrifft!
AntwortenLöschenWow! Wo treibst Du so was auf? Das erinnert mich an das kuriose, fabelhafte Buch, das Du nach Rom mitgebracht hattest, von Giuseppe Gioachino Belli: Die Wahrheit packt dich... Erinnerst Du Dich? Ich schlag es auf und - zack!:
LöschenDIE VORLAUTE NICHTE
Mein liebes Kind, du bist mir ganz schön keck,
Nun hör´sich einer die Scheißgöre an,
Kackfrech! Die reißt den Schnabel auf und dann
Steckt sie die Nase doch in jeden Dreck.
Heiraten? Ach! Und was wird Mamma sagen
Und Opa? Aber das ist dir wohl Wurst,
Jetzt ziehst du wieder deinen Flunsch und knurrst,
Mann sollte dich verdammt zum Teufel jagen.
Bei mir kommst du nicht durch mit deinen Kapriolen,
Und Unverschämtheit steht dir gar nicht zu!
Als gute Tante sollt´ ich dich versohlen.
Gehorchen sollst du, das ist deine Pflicht,
Und freche Reden führen, das darfst du,
Wenn mal die Hühner pinkeln, eher nicht.
(Giuseppe Giachino Belli, übersetzt von Otto Ernst Rock)
HA!
Die Hühner pinkeln!
Sooooooo viele Worte, dachte ich. Und dann bekam ich nicht genug davon beim lesen; danke! und füge sogar noch ein neues in diese Zeile ein <...aufzutrennen im übertragenen Sinne "ENT-MASCHEN", „ent- machen“, „ent-machten"...> eine leise Lautverschiebung.
AntwortenLöschenDir soll es gut gehen, wünscht dir Fidi!
Danke, liebe Fidi.
LöschenIm Ent-Maschen war ich immer schon besser als im Maschen häkeln oder stricken (Herrje, wie oft habe ich im Handarbeitsunterricht in der Ecke stehen müssen wegen meiner missratenen Kreationen.). Deshalb begeistert mich das "Disfieri" ja so ;-).