Freitag, 13. Juni 2014

UNPÄSSLICH. Keine Hülfe für Vera

Manchmal, wenn ich bei meiner Oma, deren Namen ich nicht kannte oder vergessen hatte ("Namenlos"), zu Besuch war, las ich in der Nacht die Bücher, die auf einem Regal über dem Klappbett standen, wahllos, (vor-)urteilsfrei, bis zum - gelegentlich - bitteren Ende. Ich las sie, weil es "Erwachsenenbücher" waren, Bücher mit "Stellen" und unbegreiflichen Worten, sonderbar beschriebenen Handlungen und Gefühlen, keineswegs bloß, aber auch wegen der Aufklärung über die Triebe und die Liebe. Die waren anders dargestellt als in den Heften, die ich bei der anderen Oma unter der Spüle fand ("Der heißblütige Baron im Stübchen"). Ein Satz aus einem Roman von Hugo Hartung (dessen bekanntester wohl "Ich denke oft an Piroschka" ist, den ich aber nie las, sondern nur in der Verfilmung mit Liselotte Pulver im Fernsehen sah) setzte sich fest: "Keine Hülfe für Vera." 

Ich weiß nicht, warum der mir heute morgen wieder in den Sinn kam. Ich lese gerade von der "unpässlichen Frau". Das kommt in Romanen (der Männer) nicht vor. Andererseits: Immer ist die oder eine Frau "irgendwie" unpässlich. "To make a pass" sagen die Briten. Zwanghaft muss diese oder jene bis ca. 1900 sich unpässlich gerieren, um dann eventuell doch passieren zu lassen. Unpässlichkeit. Im Deutschen lässt sich (fast) alles wunderbar nominalisieren. Der Pass ist zugeschneit (Rotes Blut im weißen Schnee?). Muss er freigeräumt werden? Passgenau: Passt mir nicht. Ein Menschenrecht auf Migräne? Noch viel mehr Unpassierbarkeit generieren! Heterosexuelle Männer (auch Frauen-Ärzte, wie ich gerade lese) beziehen das auf sich. Suchen nach Pass-Öffnern. Wörtern und Werkzeugen. Die unpässliche Frau blutet. Hysterisch. Nur bis ca. 1900, dann wird der Eierstock ursächlich entdeckt. Das half aber auch nichts. "Keine Hülfe!" (Ich weiß, dass die Menstruation konstruiert ist.)

"Keine Hülfe für Vera." In Hugo Hartungs Buch ist Vera eine baltische Adlige, die emigriert. "Die deutsche Frau raucht nicht." Vera schon. Vera emigriert, der Protagonist und Ich-Erzähler bleibt im Nazi-Deutschland. (In der BRD sollte  das "innere Emigration" genannt werden.) Sein Mitschüler Bruno macht Karriere - in "der Partei" und später in der Bonner Republik. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, was aus Vera wird, ob der schlichte Hans sie nach dem Krieg noch einmal trifft. Ich habe dieses Buch nie wieder gelesen. Meine Erinnerungen sind unscharf. Nur dieser Satz blieb und das Bild: Vera auf einer Leiter im Schlafwagenabteil. "Keine Hülfe." Vera verlässt den unmodernen Roman. (Lesen Sie diesen Satz metaphorisch.) Er, der Satz "Keine Hilfe für Vera". taucht auf, wenn ich traurig bin, so grundlos und vage traurig, dass sich diese Haltung bei mancher und manchem den Namen "Melancholie" verdient haben mag, eine Bezeichnung, die aber ich nicht als treffend, sondern als euphemistisch empfinde, verleiht sie doch der sinnentleerten und verzagten Selbstbeschränkung und -entsagung ein pseudo-erkenntnisschaffendes Gewand. Was nix ist, soll auch zu nix werden. (Frei nach Wittgenstein :-) )

Wahrscheinlich liegt alles an den Hormonen. (Grüß Euch, Wechseljahre!) Müde bin ich, kann nicht ruhen. Es umgibt mich ein wattiger Kokon aus billigem Selbstmitleid, an dem alles abprallt wie an einer getunten Stoßstange. Dabei geht´s mir gut. Alles gelingt. Selten so gelacht. Schaut eine bis an den Grund? Hinter den Augen sind die Höhlen leer. Jetzt betäube ich mich noch mehr. Dazu brauche ich gar keine Drogen. 

Frank Schirrmacher ist tot. (Heute morgen am Arbeitsplatz: Keine und keiner hatte je von ihm gehört.) Die WM ist eröffnet. Gotteskrieger erobern den Irak. Nichts hat mit gar nichts zu tun. Oder: Alles mit allem? Ich kann kein Interesse aufbringen und keine Interessenten mehr suchen. Deshalb: Selten habe ich besser funktioniert als heute. Getränkevorräte müssen aufgestockt werden. 

Herrlich erhebt sich blau der Horizont. So ducke ich mich besser weg: Wenn die Frau unpässlich ist, müssen WIR ran. Das Blog ist tot. Es lebe das Bloggen. Nur soviel: Am wenigsten weiß ich, wem ich etwas vormachen will. Der Anderen geht es gut. Was wahr ist, kann es nicht bleiben. 

3 Kommentare:

  1. Was für ein dringlicher Blick!!! Die unpässliche Frau. Nie gelesen. Verzeihung! Macht auch / vielleicht nix. Migräne habe ca. ich einmal im Jahr. Mit fast Blindheit und Halbseitenlähmung, wenn’s arg kommt. Waschlappen auf Stirn. Dunkler Raum. Bis zum Final: dann auf Kloschüssel sitzend, Waschbecken in unmittelbarer Nähe: zum Übergeben. Danach ist das Hirn wie reingewaschen. Strange!

    -Just a Versuch to feed you lines! Ob´s was bringt? – Keine Ahnung!

    Und ja, die Hormone. Was auch sonst! Fühle mich gerade wie ausgeliefert. Seit Monaten schon. Mein Körper macht mit mir, was er will. Und ich: will das!!!

    Ich blute. Darf ich jetzt noch Obst einwecken? Die Säulenkirsche trägt so schwer.

    ”And did you find that you like a little
    Piece of cherry pie,
    Hot from the oven.”


    Mmh. Habe da immer so ein eigenes Bild vor Augen. Wie das wohl gemeint ist…?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. "Sie hat etwas im Rohr.", fällt mir da ein. Und die Kirschen im Ohr. (Sorry, ich meine das nicht kalauernd, sind bloß die ersten Assoziationen.) Ein Kirschkuchen riecht ganz anders als ein Rhabarberkuchen.

      Vorgestern habe ich das Menstruationsblut einer anderen Frau so deutlich gerochen, dass ich im ersten Augenblick erschrocken glaubte, es sei mein eigener Geruch, ich blute selbst. Das ist mir in dieser Heftigkeit noch nie zuvor passiert. Ich recherchiere viel zu dem Thema derzeit, weil ich über die Menstruationstasse schreiben will/soll und über den Umgang mit Menstruation in unserer und anderen Kulturen. Schockierend, wie wenig männliche Wissenschaftler bis zur Jahrhundertwende "wussten" und mit welcher Vehemenz sie das Wissen der Frauen verdrängt, verleugnet und stigmatisiert haben. Und dann das ewige Thema "Reinheit vs. Unreinheit", vorneweg die patriarchalischen monotheistischen Religionen in ihren Ansprachen an den sklavenhaltenden Mann.
      Was dürfen wir, wenn wir bluten? Ich erinnere mich daran, dass ich als sehr junge Frau, erschrocken reagierte, als eine Freundin mir erzählte, sie habe auch während der Periode Geschlechtsverkehr. Das war mir tatsächlich als unmöglich erschienen, ohne dass ich mich erinnern kann, jemals davor direkt gewarnt worden zu sein. Doch das ganze Thema war mit Scham besetzt, der Eindruck wurde vermittelt, dass "der Zustand" vor Männern (auch dem eigenen Vater, dem Bruder) tunlichst zu verbergen sei. Das sitzt tief.

      Jetzt lese ich ein Buch, in dem das "heilige Blut" der Mutterschaft gefeiert wird. Auch eine Möglichkeit.

      "Mein Körper macht mit mir, was er will. Und ich: will das!!!" Dahin! (Was will? Welches ´ich´kann den Körper wollen, ohne er zu sein? Und doch...Ich will das auch. Diesen Körper wollen, nicht den imaginären. Aber...)

      Wie das wohl gemeint ist...?

      Feed me lines.

      Löschen
    2. Meine erste Blutung vergesse ich nie. Ist in der Schule passiert. Ich hatte ausgerechnet meine weiße Levishose an. Auf die war ich so stolz. Das war meine einzige von der Marke. Und es musste ja ausgerechnet auch noch eine weiße sein. Peinlich war das. Die Pille nehme ich seit ich dreizehn bin. Weil das bei mir immer so doll war. An manchen Tagen hätte ich vor Schmerzen auf allen Vieren von der Schule nach Hause krabbeln können. Das Blut und die Gebärmutterschleimhaut aber haben mich nie gestört oder abgehalten. Mag am unterschiedlichen Jahrgang von uns beiden liegen. Oder dass ich, was das betrifft, nicht unbedingt „erzogen“ wurde. Zum Schluss waren wir ohnehin nur noch ein reiner Frauenhaushalt. Obwohl ich ja gar nicht weiß ob es bei dir so war mit der „Erziehung“.

      Mein erstes Mal hatte ich mit 16. Heute würde ich wohl als Spätzünderin durchgehen. Dabei habe ich schon recht früh gezündet, heimlich, wenn keiner zuhause war. Da habe ich einen Porno nach dem anderen ins Kassettendeck geschoben. Die gehörten meinem Stiefvater. Aber schüchtern war ich! Körperscham usw.. Alles was in der Zeit eben „heikel“ an einer ist. Oder was sie denkt, dass es das ist. Mit 8 Jahren ungefähr fragte ich meine Mutter einmal ob mir auch Brüste wachsen würden. Ja, sagte sie, natürlich. Den Gedanken fand ich so abstoßend, dass ich daraufhin lautstark antwortete, wenn das so ist, dann schneide ich sie mir ab. Sie hat mir immer nur die Haare geschnitten. Bubenkurz. So hielten mich viele auch für einen.

      „Sie hat etwas im Rohr.“ Ja, deswegen liebe ich deine Texte. Einerseits „erschreckt“ sein wenn Eine erzählt sie hat Sex während ihrer Blutung und dann so Sätze.

      Menstruationstassen. Die kannte ich noch nicht. Was es alles gibt!
      -Ich reiche ein für das Wort des Monats: (rotbraune) Mondtassenschlacke.

      Du riechst wenn Eine blutet. Stimmt, das kann man riechen. Ich habe immer Tampons benutzt. Da riecht man nicht viel. Haben Männer auch so eine gute Nase? Komm, wir lassen ihn sagen: Du blutest, ich kann das riechen. -Wie ein Spürhund. Mir hat nur einmal einer gesagt, ich sehe dir an, dass du vernünftige Brustwarzen hast. Keine, wie er sie nannte, Alarmknöpfe oder Pushbuttons. Fand ich toll. Aber das Wort Pushbuttons liebe ich dennoch. Möchte dauernd welche drücken. Alarm auslösen. Die Sirenen heulen lassen. Ja, so ist das gerade bei mir:

      „Mein Körper macht mit mir, was er will.“ Ich bin 31. Was glaubst du?
      Wäre es nicht eh schon meiner, ich würde über ihn herfallen. Na, eigentlich sind es ja die Hormone. Und ich gebe dem nach. Hormonelle Selbstverführung über den Körper. Das ist schön.

      Frage: Machen Hormone schöner? Oder ist es einfach nur so als hätte man zu tief ins Glas geschaut und sie gaukeln mir das nur vor.

      (Imaginiert habe ich ihn mir nie, meinen Körper. Nur mal exzessiv kontrolliert. Bin in ihn wie hineingekrochen. Das war nicht gut.)

      Löschen