Das Frankfurter Städel verfügt über eine umfangreiche Sammlung des druckgraphischen Werkes von William Hogarth, die gegenwärtig in einer Ausstellung unter dem Titel "Laster des Lebens" zu sehen ist (noch bis zum 6. September). Als ich gestern diese Ausstellung mit Claudia Kilian besuchte, konnte ich mich gut an die Nachmittage im Keller des Städels vor beinahe 20 Jahren erinnern, an denen ich mich mit der Lupe über dieselben Blätter gebeugt und Notizen in meine dünnen Hefte eingetragen hatte. Es waren damals auch kleine Fluchten der jungen Mutter, kostbare, seltene Stunden, die nicht der Pflege, Sorge, Betreuung von zwei kleinen Jungs geschuldet waren. (Babysitting ließ sich nur finanzieren, weil meine Dissertation durch die Vermittlung Christa Bürgers mit einem Stipendium gefördert wurde.) Auch heute noch verstehe ich beim Anschauen von Hogarth´ Bildern unmittelbar, warum ich über sie schreiben wollte, denn ich las und sah in seinem Werk jene Verhältnisse, Widersprüche und Brüche wirken, die mich beschäftigten: Werk und Ware, Kunst und Handwerk, Identität und Repräsentation, Öffentlichkeit und Privatheit und - zuletzt, zunehmend - auch, wie sich diese Verhältnisse ausdrückten in und über das Geschlechterverhältnis. Ich habe hier im Blog verschiedentlich (redigierte und z.T. auch erheblich umgeschriebene) Auszüge aus meiner damaligen Arbeit veröffentlich: z.B. zu Hogarth´ berühmter Serie "A Harlot´s Progress": "Die andere Maria" oder zu meinem "Lieblingsblatt" "Strolling Actresses Dressing in a Barn": "Die andere Diana".
Die Frankfurter Ausstellung beschränkt sich auf den Grafiker Hogarth´ und im Titel der Ausstellung deutet sie ihn als Moralisten und Propagandisten des aufstrebenden, arbeitsamen Bürgertums. Nichts daran ist falsch und doch verfehlt diese Interpretation und Darbietung damit aus meiner Sicht das Wesentliche an Hogarth´ Werk. Er hatte (und wusste darum) schon zu seinen Lebzeiten den Bilder-Kampf verloren, indem er sich und seine Kunstauffassung wähnte: gegen die Akademie, gegen die Dichotomie von hoher und niederer Kunst, gegen die Idee der "autonomen" Kunst. Hogarth hatte jenen kurzen historischen Zeitraum, in dem die Kunstproduktion sich aus der Auftragsarbeit für Höfe und Kirche befreite und bevor sie "autonom" wurde, zu nutzen versucht, um seine Kunstauffassung zu propagieren, die den Künstler als freien Unternehmer und sein Werk als Teil des öffentlichen Diskurses freier Bürger etablieren wollte. Am Ende seines Lebens musste er einsehen, dass andere sich mit anderen Auffassungen durchgesetzt hatten (mehr dazu: hier).
William Hogarth: The Battle of the Pictures (1745) |
"The Battle of the Pictures" fertigte Hogarth als Eintrittsticket für eine Auktion seiner Gemälde. Die ´modern moral subjects´, die er gemalt hatte, kämpfen auf diesem Ticket mit den ´alten Meistern´(oder deren Fälschungen). Hogarth´ begriff seine Gemälde als "moderne Historiengemälde" (´comic history painting´ nannte sein Freund, der Romancier Fielding das Genre), die im künstlerischen Anspruch nicht hinter den älteren Historiendarstellung zurückzustehen hatten. Ihre Sujets waren jedoch nicht mehr die Geschichten der Heiligen und adeligen Helden, sondern die Kämpfe und Passionen der einfachen Menschen, denen der Maler in den Straßen Londons begegnete.
Auf dem Ticket werden die Hogarth´schen Bilder von einer zahlenmäßig weit überlegenen Armee der ´dark pictures´ alter Meister in ihrem offenen Atelier angegriffen. Die Kampf-Paarungen, die Hogarth erfindet, sind nicht zufällig: ein Heiliger Franz zersticht Hogarth´ "Morning" aus der Serie "Four Times of the Day". Auf dieser Grafik geht eine alte Jungfer, der ein Diener das Gebetbuch nachträgt, an einem bitterkalten Morgen zur Kirche. Sie straft das ordinäre Leben, an dem sie vorbei stolziert, durch Ignoranz. Thema der beiden miteinander ringenden Bilder ist die Frömmigkeit, die Hogarth in der Gegenwart als Bigotterie geißelt. Über diesem "Paar" sticht eine bußfertige Magadalena in das Himmelbett der Hogarthschen Harlot, die gerade von einem Richter verhaftet wird. Buße, zeigt Hogarth hier, hilft vor dem bürgerlichen Gesetz - anders als es die christliche Tradition verheißt - nicht. Der Richter wird die Hure ins Arbeitshaus bringen. Hinter diesen beiden zerstört eine "Altobrandinische Hochzeit" eine "Marriage-a-la-Mode"-Gemälde, auf dem nicht Götter sich lieben, sondern Gegenwartsmenschen einander betrügen. Ganz oben schlägt sich der Rake im Bordell mit einem Putto, der Pfeil und Bogen mit sich führt und im Eck des offenen Ateliers streiten die volltrunkenen Teilnehmer der "Modern Midnight Conversation" mit einem Baccantenzug. Gegen die mythischen Bilder und Geschichten, überwiegend aus der christlichen Tradition, läßt Hogarth seine modernen Sittenbilder antreten. Er führt seinem Publikum mit diesem programmatischen Ticket auf diese Weise auch sein künstlerisches Verfahren vor: In den "modern moral subjects" hatte er immer wieder die Ikonographie der alten Meister zitiert, um mit ihnen die Gegenwart auf ihren Sinn und umgekehrt durch die Abbildung der Realität die Tradition auf ihre Bedeutung hin zu befragen.
Die einfachen stilistischen Mittel, die Hogarth für "The Battle of the Pictures" wählte, stellen den Zweckcharakter des Tickets aus und betten es in die Tradition der Pamphletliteratur und deren massenhafter Verbreitung ein. Zugleich erhob er aber gerade mit diesem Ticket den Anspruch, als ernstzunehmender Konkurrent der "alten Meister" anerkannt zu werden. Er zeigte, wie die Formulierung dieses Anspruchs ihn in einen Kulturkampf verwickelte, weil er ein völlig neues Kunstverständnis einforderte: eine Kunst, die nicht mehr aus der Tradition die eigene Autorität und den eigenen Wert herleitete, sondern aus der Fähigkeit, die Gegenwart in Bildern darzustellen und zu verstehen.
Dieser Kampf ist in "The Battle of the Pictures" von 1745 noch nicht entschieden. Ronald Paulson hat darauf hingewiesen, dass Hogarth in diesem Blatt auch seine eigenen Gewalttätigkeit - als ihm von den Verhältnissen des Marktes aufgezwungene - darstellte: Im Bilde Europas, die schon auf dem Weg in Hogarth´ Atelier ist, erkennt Paulson "die Frau" als im Mittelpunkt dieses Kampfes Stehende. Wie Jupiter Europa "ihrer" Welt entriss, so versuche Hogarth die Betrachter/das Publikum den mythischen und christlichen Darstellungen zu entreißen, um sie in sein offenes und chaotisches Atelier zu entführen. "Die Frau" als Trophäe oder Ware im Mittelpunkt eines Geltungskampfes zwischen Männern ist ein gebräuchlicher Topos. Was Hogarth´ Darstellungen häufig von anderen unterscheidet, ist jedoch, dass er die Rolle des im Konkurrenzkampf gefangenen Mannes, seine eigene also, selbstkritisch wahrnahm und darstellte. Immer wieder gab er "der Frau" in seinen Bildern Gelegenheit, vom Objekt im Zentrum des Handelns zur Handelnden selbst zu werden (Mehr dazu: hier).
Der Hogarth´sche Versuch einer Grenzüberschreitung zwischen "hoher" und "niederer" Kunst trieb im Laufe seines Schaffens unweigerlich auch immer schärfer ein Misstrauen in die Sprachfähigkeit bildender Kunst überhaupt hervor. Denn er musste erfahren, dass die Achtung, die er sich als Grafiker und Moralist erwarb, seinem Ansehen als Künstler schadete. Es waren nicht nur die Sujets seiner Gemälde: die Alltagsgeschichten, das Gassenleben, die Huren und Lehrlinge, die Häftlinge und Wärterinnen, denen die Anerkennung als "künstlerisch wertvoll" verweigert wurde. Es war vielmehr sein Festhalten an einer Idee von Kunst, die sich auf ein Gespräch einlässt, Partei ergreift, statt "Werke" zu setzen, die sein malerisches Werk in den Augen eines Publikums, das die Kunst zunehmend als "autonome" (und damit zunehmend und zuletzt beinahe ausschließlich als museale) goutieren wollte, herabsetzte. Die eigene Produktion als warenförmige zu begreifen, die eigene Identität als eine spielerisch erworbene und wandelbare, die eigene Endlichkeit als nicht durch das Werk zu überwindende zu verstehen, das hieß (und heißt?), den Kunstcharakter der Kunst in Frage zu stellen. Hogarth wusste das und litt darunter.
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