Burka Avenger (pakistanische Animations-Serie seit 2013, entdeckt im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg) |
Die ganze Stadt funkelte regenbogenfarben, alles gestellt auf hanseatisch-unterkühlte LIEBE FÜR ALLE. Im Rathaus wurde schon der Empfang für die Aktivist_innen vorbereitet. Den CSD-Umzug haben wir jedoch nicht gesehen. Der fand erst Samstag statt. Da fuhren wir am frühen Morgen mit dem Taxi durch die noch leeren Straßen, schon gesperrt für den großen Umzug. Sicher wurde es später heiß. "Die machen sich frei.", lachte unser umsichtiger Taxifahrer. "Manche ganz." Das mussten wir nicht unbedingt sehen. Nackte Körper, unterschiedlicher und weniger normiert, vermutete ich, würden wir auch an der Ostsee sehen (können). Allerdings: Ruckzuck nach der "Wende" wurde an deutschen Stränden die Freiheit eingeschränkt, nackt baden war nur noch erlaubt in ausgewiesenen, an den Rand verlegten Zonen, nahe Hundebadestrand, fast immer. Denn der Wessi kannte und kennt nur eine kommerzialisierte und zu kapitalisierenden Sexualität und Erotik, die ihm der unverstellte Blick auf die Vielheit der Körper, die sich dem Diktat der "Schönheits"industrie nicht unterwerfen, glatt verderben könnte. So was will er sich nicht angucken: echte Falten, echtes Fett, echte Flecken, Brüste in unterschiedlichsten, ungleichmäßigen Formen, Vorhöfe bei Männern und Frauen, dunkler und heller, breiter und schmäler, ein (Selbst-)Bewusstsein von Körpern, die weder käuflich sind, noch schamhaft zu verbergen, damit der (kapitalistische) Geist sich ausbreiten und die Wände mit Körper-Waren bekleben kann.
Wir fuhren also - letzten Donnerstag - nach Hamburg. Das Blog, hatte ich mir einmal gesagt, solle mir auch Erinnerungstagebuch sein, vor allem der Reisen (Unterwegs). In den letzten anderthalb Jahren ist das spärlicher geworden: Krankheit, Erschöpfung, zu viel Erwerbsarbeit vor Ort, der Hausverkauf, der Umzug. Es gibt viele Gründe. Sie verdecken etwas, was eine die Wahrheit (?) nennen könnte. (Die sich auch hier, gerade hier, nicht sehen lässt.) Nicht nur die Berichte, auch die Reisen wurden in dieser Phase seltener. Seltener unterwegs war ich nicht nur beruflich, auch die große Sommerreise fiel im letzten Jahr wegen des Hausverkaufs aus. Aber: Zur diesjährigen Reise nach München über Pfingsten habe ich im Blog auch (noch) nichts geschrieben: das Wiedersehen mit dem Gasthof in Aying (bayrisch-konservativ, bürgerlich-gediegen im besten Sinne), die großartige Ausstellung zu Louise Bourgeois im Haus der Kunst "Strukturen des Daseins. Zellen" (darüber - vielleicht - werde ich doch noch einmal etwas schreiben, Notizen und der Katalog liegen zu Hause, im "neuen" Zuhause bereit), die kuratorische Arbeit von Okwui Enwezor, der das Haus der Kunst in München weit öffnet, so dass - anders als beispielsweise in Frankfurt, wo Max Hollein einen Publikumsrenner nach dem anderen kreiert, aber doch weitgehend im Umfeld männlich-weiß- europäisch/nordamerikanisch-white-cube-autonome-Kunst-Betrieb verharrt - aus sehr unterschiedlichen, sehr fremdartigen (für den europäischen, weißen Blickwinkel) Perspektiven Welten vor- und dargestellt werden. Wir sahen eine begeisternde Ausstellung zur Arbeit des ghanaisch-britischen Architekten David Adjaye, die nicht nur Eindrücke über die fertig gestellten privaten Bauwerken des Architekten vermittelte, sondern vor allem Einblicke in seine Ideen zur Städteplanung. Weitere Erlebnisse und Erfahrungen in München, auf die ich aufbauen will: die erneuerte Faszination an Technik, vor allem an der Luftfahrt, die ein Besuch im im Deutschen Museum wiedererweckte und Nachdenken über das Anthropozän, in dem wir leben und für das wir Verantwortung übernehmen müssen, auf neue und uns vielleicht als Gattung überfordernde Weise. Zu all dem also habe ich - wie früher, vor dem Bloggen - Notizen gemacht, aber keine Texte geschrieben.Ich brauche Zeit, um zurückzufinden in den Schreibmodus, den beinahe täglichen, auch Zeit, um herauszufinden, ob und wie ich das überhaupt noch will (und brauche).
In diesem Jahr, endlich, wieder: MEER, eine Erholungsreise, wie vor zwei Jahren schon einmal, an die Ostsee. Diesmal - wieder, wie vor vielen Jahren mehrfach mit unseren Söhnen, Amazing und Mastermind - nach Rügen. Zuvor zwei Nächte in Hamburg. Die Hanseaten sind anders, stellte ich fest. Anders als die wenige Wochen zuvor erlebten Münchner. Dabei sind das, selbstverständlich, bloß kursorische, vorurteilsbehaftete Eindrücke. In München wirkte alles adrett und verkaufsoffen als Einkaufs- und Erlebnisparadies für kaufkräftige Touristen aus aller Herren Länder, insbesondere für die Patriarchen und ihre Entourage aus dem sogenannten "Nahen Osten". "Sind´s halt wias sind.", sagt sich der Bayer und zählt Scheine. In München ist man liberal und weltoffen gegenüber allem und jeder, wenn die Bezahlung stimmt. Geschäft ist Geschäft. Dabei gilt doch eigentlich (einen 50er für jedes "eigentlich") Hamburg als liberale Weltstadt: der Hafen, die international vernetzten Pfeffersäcke, die Matrosen, die Tante "ZEIT" und nicht zuletzt Helmut Schmidt, der "Mann, der in der falschen Partei ist" (wie seit ihm beinahe alle "führenden" Sozialdemokraten, nur dass sie meist noch weniger sozial und noch weniger liberal daher kommen als ihr Ur-(Vor)Bild aus der Hansestadt).
In Hamburg ballt sich die Nobel-Verkaufszone um den Jungfernstieg, alles wie Goethestraße/Frankfurt, nur üppiger und weniger Chinesen. Aber: In Hamburg, dachte ich, werden vielleicht noch Geschäfte jenseits des Konsums oder der virtualisierten Finanzwirtschaft gemacht, sitzen vielleicht immer noch hinter dicken Türen an voluminösen Schreibtischen Wirtschaftsmagnaten und wickeln Transfers ab, bei denen "echte" Güter umgeschlagen werden. Auf den Gassen jedenfalls sind sie nicht zu sehen oder jedenfalls weniger als in München: die Schönen, Gestylten und Kaufkräftigen, auch weniger landestypisch dekoriert. Hamburg ist bunter und kaputter und zugiger. Es drückt weniger schwer und zieht kräftiger durch. In Hamburg muss man sich warm anziehen. Besonders wenn man, wie Flüchtlinge und Obdachlose, unter den Brücken der Außenalster haust, in kleinen Zeltlagern, eng aneinander gerückt, nah und doch so fern dem Touristentrubel um die Binnenschifffahrtsanleger. In Hamburg ist mehr Armut und Angst und Widerstand auf den Straßen sichtbar. Bilde ich mir ein. Nach anderthalb Tagen. Ich bin leicht und gern zu widerlegen.
In Hamburg ballt sich die Nobel-Verkaufszone um den Jungfernstieg, alles wie Goethestraße/Frankfurt, nur üppiger und weniger Chinesen. Aber: In Hamburg, dachte ich, werden vielleicht noch Geschäfte jenseits des Konsums oder der virtualisierten Finanzwirtschaft gemacht, sitzen vielleicht immer noch hinter dicken Türen an voluminösen Schreibtischen Wirtschaftsmagnaten und wickeln Transfers ab, bei denen "echte" Güter umgeschlagen werden. Auf den Gassen jedenfalls sind sie nicht zu sehen oder jedenfalls weniger als in München: die Schönen, Gestylten und Kaufkräftigen, auch weniger landestypisch dekoriert. Hamburg ist bunter und kaputter und zugiger. Es drückt weniger schwer und zieht kräftiger durch. In Hamburg muss man sich warm anziehen. Besonders wenn man, wie Flüchtlinge und Obdachlose, unter den Brücken der Außenalster haust, in kleinen Zeltlagern, eng aneinander gerückt, nah und doch so fern dem Touristentrubel um die Binnenschifffahrtsanleger. In Hamburg ist mehr Armut und Angst und Widerstand auf den Straßen sichtbar. Bilde ich mir ein. Nach anderthalb Tagen. Ich bin leicht und gern zu widerlegen.
Kaiserkeller, ein halbes Jahrhundert nach den Beatles |
Wir gaben uns ganz offen als die Touristen, die wir waren (nichts lächerlicher als Reisende, die sich von den "anderen" Touristen distanzieren und über diese mokieren...): Hafenrundfahrt, Speicherstadt und sogar ein geführter Reeperbahnrundgang, allerdings nicht die Zoten-Huren-Tour (oder so), sondern die Beatles-Tour, ein Geburtstagsgeschenk für Morel, dem die Fab Four zwar nicht - wie Bob Dylan - eine Religion sind, aber doch wichtig. Geführt wurden wir von Peter, der die Beatles als Junge noch im Viertel getroffen hatte, sich jedoch erst später darüber klar wurde, wer die jungen Engländer, die im Hinterhof feines Kinos Quartier bezogen hatten, gewesen waren. Er zeigte uns Fotos von John in Unterhose vor dem Eingang zu ihrer damaligen Unterkunft, von John, Paul und George auf dem Dach des ehemaligen Top Ten, eines damals viel frequentierten Clubs, dessen Gebäude heute als Porno-Kino dient. Der Radius der blutjungen Musiker aus Großbritannien in Hamburg war eng: in wenigen Straßen rund um die Kreuzung Reeperbahn/Große Freiheit befanden sich die Clubs, in denen sie spielten, ihre Unterkünfte und nur ein paar hundert Meter weiter die Polizeistation Davidwache, in der Paul und George eine Nacht wegen angeblicher Brandstiftung festgehalten wurden. Peters Erzählungen machten deutlich, wie sich das Viertel in den vergangenen Jahrzehnten verändert hatte: von der Clubszene zur Partymeile. Drogen, Prostitution und Gewalt spielten immer eine Rolle. Damals aber bewegten sich in dieser Szene die Ausgestoßenen, die Anderen, die Mutigen, die etwas Neues ausprobieren wollten, heute sind der Schmutz, der Rotz und der käufliche Sex zur Kulisse für die Polterabende und Gruppenbesäufnisse der Massen geworden.
Diese Umwertung ist auf ihre Weise so erstaunlich (und vielleicht in ähnlicher Weise erklärlich) wie die Entwicklung des Tattoos vom Kennzeichen der gesellschaftlichen Außenseiter zum Haut-Accessoire der Schickeria und ihrer Mode- und Lifestyle-Magazin-geschulten Anhängerschaft. Das Dunkle, Harte, Abenteuerliche hat offenbar eine besonders große Anziehungskraft in Zeiten und Kreisen der umfassenden Vollkasko- und Lebensversicherung, wo die größte Herausforderung des Lebens eine Umstellung des Zugplanes darstellt. Ich werde zynisch. Wir gehören ja eben genau zu jener Mittelschicht, die sich mal eine amüsante Führung über die Reeperbahn gönnt. Bloß dass das Dunkle draußen, der Schmutz, die Gewalt, die Käuflichkeit mich nicht verlockend anziehen, da sie inwendig in mir wohnen und vor meiner gut restaurierten und voll etablierten Fassade täglich andersrum hausieren gehen.
Hanseaten - im Übrigen - sind offenbar sehr viel weniger prüde "als bisher angenommen" (ich liebe und hasse diese Wendung, die eine in den Nachrichten öffentlich-rechtlichen Zuschnitts immer öfter hört). Schon Barthold Heinrich Brookes fand ein "Irdisches Vergnügen in Gott" und besang "alle Dinge":
Alle Dinge, große, kleine
flüssig, trocken, weich und hart,
Tiere, Pflanzen, Holz und Steine
zeigen Gottes Gegenwart.
Das haben sich die Hamburger Stadtväter (und -mütter?) zu Herzen genommen und in der Brockes-Straße, nahe des Hauptbahnhofes, an einer Rückseite des Hamburgischen Museums für Kunst und Gewerbe diese Tür angebracht, deren unprüde Darstellungen allenfalls dadurch irritieren können, dass die Körper fragmentarisch bleiben:
Tür am Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg Barthold-Hinrich-Brockes-Straße |
Wir suchten das Museum auf, um uns die legendäre SPIEGEl-Kantine anzuschauen, die hier rekonstruiert aufgebaut ist. Dieses Gesamtkunstwerk (eigentümliches Wort, unterstellt es doch es gebe Halb- und Dreiviertelkunstwerke, als die dann - vielleicht gar nicht so falsch - all jenes künstlerisch Gestaltete zu gelten hätte, dass neben dem Darstellungs- und Kritik-Wert sowie dem Tausch-Wert keinen Gebrauchswert anzubieten hätte) hat die SPIEGEL-Redaktion mit dem Umzug in ein neueres, hässlicheres und zeitgemäßeres Gebäude mit Elbesicht aufgegeben. Diese Aufgabe muss der SPIEGEL-Belegschaft erst mal eine/einer nachmachen, soviel Selbstverleugnung und Selbsthass drücken sich in dieser Geste aus, getarnt freilich, als Zeitgeist und Selbstüberhebung.
Spiegel-Kantine von Designer Verner Ponton |
Die Tante "ZEIT" derweil residiert weiterhin unweit der Brandstwiete und weist mit sechs Ausrufungszeichen darauf hin, wohin die Zeitungen zu liefern sind, aus denen ab- und mitgeschrieben wird. Qualitätsmedienstadt Hamburg! Live und in Farbe. Geschmackvoll, stilsicher, relevant.
Wir indes entdeckten wenige Meter weiter das Chilehaus, einen Architekturjuwel, in das Sie unbedingt, sollten Sie einmal in Hamburg sein, auch hineingehen müssen, um die Innengestaltung der Treppenhäuser zu bewundern. Zwischen Hafenstraße und Schanzenviertel stießen wir auf erstaunlich viele spanische und/oder portugiesische Lokale. In einem (dem La Sepia) speisten wir leckeres Kaninchen bzw. Paella und tranken dazu den einfachen, aber guten Hauswein. Noch mehr Service-Tipps: Wir haben auch in Hamburg ein Lieblingshotel gefunden. Das Eilenau Hotel liegt idyllisch an einem Kanal, zentrumsnah (U-Bahnstation Uhlandstr.) und doch ruhig, mit einem schönen Garten, verspielt, blumig und individuell eingerichteten Zimmern. Es wird ein nicht billiges (€ 14,50), aber ganz besonderes Frühstück serviert (Eierspeisen frisch, dazu ein Buffet, das alles bietet, was man so aus guten Hotels kennt und dazu viele Extras: russische Eier, Eier mit Lachs gefüllt. geeiste Himbeeren mit Vanille-Creme, Griespudding mit Erdbeeren, gefüllte Törtchen und und und... Ein Mittagessen braucht eine dann nicht mehr!). Hier ließe es sich auch länger als 2 Nächte gut aushalten.
Mit der Deutschen Bahn fuhren wir weiter, nachdem wir unser Fahrzeug am Alleen gesäumten Kanal an einen Baum gesetzt hatten. Aber das ist eine andere (fiktive) Geschichte.
(Wenn Sie nach Hamburg kommen, schauen Sie doch einmal nach, ob es noch dort steht.) Der Intercity war überbucht, Urlauber mit kleinen Kindern, Rucksacktouristen und Rentnerinnen drängten sich in den Gängen, mein Menschenüberdruss wurde gedämpft, denn trotz der Enge verhielten sich fast alle hilfsbereit, freundlich und nahmen es mit Humor. Ab Schwerin wurde es leerer, Stralsund und dann schon: die See, blautürkis schimmernd wie in allen Träumen. Von meinem Balkon aus kann ich sie sehen und rauschen hören, während ich schreibe. Und nun.. muss ich hinaus, hinein!
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