Donnerstag, 6. August 2015

PRORA: Idylle totalitär - Die Furcht einflößende "Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd"

Schon einmal war ich hier. In PRORA, wo das "Dritte Reich" seine größte Bauruine hinterlassen hat. Und sah mir diese "Ausstellung" an. Jünger und offenbar nachsichtiger. Nahm es damals mit Humor. Das gelingt mir dieses Mal nicht. Vielleicht ist das "Museum KulturKunststatt" aber in den letzten 10 Jahren auch schlimmer geworden: voller, bunter, plastischer. Zu befürchten ist, dass die Gentrifizierung hier zu spät kommt. Weil das aus Volkes Mitte kommt und Volkes Mitte sich hier wohl fühlt. Das wird sich halten sogar gegen den Zugriff des Kapitals und der Latte Macchiato-Fraktion. 



Ich lerne neue Wörter hier, immerhin: Altersruhestandsaufgabe. Computer-Panzer-Schieß-Simulatoren-Anlage. Mehrbahnen-Schiessanlage. Und dass eine verarmte indische Fischerfamilie 10 € pro Monat kostet. Das ist sicher gut gemeint. Man pflegt auch unter dem Titel "Museum Freundschaften" die Kontakte nach Schweden (Königsfamilie, Kürassier-Regimenter), Polen (Danzig bleibt Danzig) und ins Burgenland (Heurigenstuben). Es gibt "Zeitfenster", DDR-Schreibmaschinensammlungen, Reichsnähmaschinen, DDR-Motorradwelt, KdF (KraftdurchFreude)-Museum, NVA-Museum, ein "Wiener Kaffeehaus", den Panoramasaal Silberreiher, Modell-Anlagen, Power Point-Vorträge (im Jubiläumsjahr gratis), Kamera-Raritäten, Sonderausstellungen (Kinderzeichnungen), rügentypische Objekte, Schnitzwerk, Silbermünzen und vieles, vieles, vieles mehr. KulturKunststatt PRORA nennt sich das. All in one (Sprachpuristen sind sie nicht.). "6-Stock-Treppenhaus-Erlebnis." 

Nachgebauter NVA-Schießstand mit Stoffblumendekoration

5000qm. Für die, wie gesagt, mein Humor nicht mehr reicht. Am Info-Point liegt ein Buch über "die Frauen" aus, dessen Klappentext darüber aufklärt, dass sich der Mensch seit Jahrtausenden über sie den Kopf zerbreche. "Historiker und Heraldiker", wird auf Tafeln stolz in jedem Stockwerk verkündet, hätten der "Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd", die hier geleistet werde, das "Privileg" zuerkannt: "Kulturgeschichtlich für den Rügen-Tourismus besonders wertvoll". Namen werden nicht genannt. Das kann, trotz aller Skepsis gegen die Zunft der Heraldiker und Historiker, nicht überraschen. 40 Fernsehteams drehten schon "bei uns, weil wir interessant sind". "Nicht glorifiziert, nicht negativ": weder Hitlers Kraft-durch-Freude-Weltbad, noch die Chemischen Dienste der NVA in Prora. Mehr geht nicht. Mehr passt nicht rein. Sammler-WUT schafft Idylle totalitär. Fahnen und Gewehre. Plastikblumensträuße in jedem Raum. "Herzhafter Mittagstisch." Historisch. Militärisch. Technisch. Naturwissenschaftlich. Hier ist zusammengewachsen, was zusammengehört. Das wird sich halten.

25 Jahre keine kommerzielle Verwendung für den Mammutbau haben das ermöglicht. Und das wütige Engagement des "kleines Mannes", der sich seine Vergangenheit nicht nehmen lassen will. Es waren immer irgendwie für manche auch gute Zeiten. Das darf gesagt werden. Das muss sogar gesagt werden. Aber im Kontext: Der Vernichtungskrieg im Osten. Die massenhafte Ermordung der europäischen Juden. Zwangsarbeiter auf Rügen. Die Aktion Rose. Die Fluchten über die Ostsee. Das, was fehlt. Mit Absicht. Denn: "Wir sind stolz." "Das war unser Leben." Das Leben der anderen. Immer schon ausgegrenzt. Abgehängt. Weggedrängt. Vernichtet. Der "kleine Mann" (und die "kleine Frau"? - Stoffblumen, Deko-Vorhänge und Streuselkuchen) fühlen sich so. Sie sind authentisch. Die verfolgende Unschuld. Der Wille zur Geschmacklosigkeit, vor dem man sich fürchten muss. Gäste-Bücher voller Lob. Besucher-Massen. Das wird sich halten.


Das neue Prora: "Einmalige Strandlage." "Rendite made in Germany"

Die Gentrifizierung hat 25 Jahre zu spät begonnen. Bau-Boom in Prora. Schicke Eigentumswohnungen mit AfA-Vorteil entstehen jetzt. Fast alle fertiggestellten schon verkauft. Prora boomt. Die Düne vor der Wohnzimmertüre. Industrial-Schick. Das läuft. "Besser", sagt der ältere Herr in Freizeitkleidung (West-Tonfall), "besser kann die Lage nicht sein." Seine Gattin nickt. Das Bad der Musterwohnung sagt zu. Vor der Fensterfront entstehen Swimmingpools als Gemeinschaftseigentum. Weniger Kraft durch Freude als Altersruhesitz oder Geldanlage für das betuchtere Achtel der "Massen". Linke und Rechte haben im 20. Jahrhundert versucht, die Massen zu kontrollieren: Einheitsunterkünfte, Einheitskultur, Einheitsdenken. Der Kapitalismus lockt mit der Wahl zwischen unterschiedlichen Lichtschaltergarnituren. Kommt er hier doch zu spät? 

Prora wird schick. Dazwischen heißt es auf 5000qm: WILLKOMMEN IN DER VERGANGENHEIT. Wo Gemütlichkeit und German Angst herrschen. Das wird sich halten. Fürchte ich. 


(Ahmen Sie unseren Fehler nicht nach, wenn Sie nach Prora kommen. Fördern sie die "Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd" nicht durch die Entrichtung von € 6,90 Eintrittsgeld! Radeln oder wandern sie weiter. Es gibt ein sehenswertes und reflektiert kuratiertes Dokumentationszentrum zu Prora "MACHT.Urlaub" nur wenige Meter weiter.)


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