Ein Beitrag von Morel
Im Vorraum zur Ausstellung des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt
über die Wechselbeziehung
von Filmen und Videospielen sind in einer Dauerschleife auf einem Monitor
Arbeiten des schottischen Videokünstlers
Andy Kelly zu sehen. Other Places zeigt: leere Städte, romantische Natur, Mond über Inseln, apokalyptische
Ruinen. Die Kamera bewegt sich durch diese Räume,
langsam schreitend, begleitet von Musik, die etwas anzukündigen scheint, was nie eintritt. Es handelt sich
um Aufnahmen, die Videospielen wie Grand Theft Auto V mit Hilfe spezieller
Aufzeichnungsprogramme entnommen wurden. Kulissen für Filme, die nie gedreht wurden. Es ist das was übrig bleibt, wenn man dem Video
das Spiel entzieht.
Chocks
Im 20. Jahrhundert gab es immer wieder Hoffnungen auf die
emanzipatorische, revolutionäre
Kraft der Massenmedien. In seinem berühmten
Aufsatz zum Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit hebt
Walter Benjamin die taktile Qualität
des Films im Verhältnis zu
Gemälden hervor: "Das
Gemälde lädt den Betrachter zur
Kontemplation ein; vor ihm kann er sich seinem Assoziationsablauf überlassen. Vor der Filmaufnahme
kann er das nicht. Kaum hat er sie ins Auge gefasst, so hat sie sich schon verändert. Sie kann nicht fixiert
werden...In der Tat wird der Assoziationsablauf dessen, der diese Bilder
betrachtet, sofort durch ihre Veränderung
unterbrochen. Darauf beruht die Chockwirkung des Films, die wie jede
Chockwirkung durch gesteigerte Geistesgegenwart aufgefangen sein will."
Ironischerweise passen diese Worte einige Jahrzehnte und ausgebliebene
Revolutionen später immer
noch gut auf das neueste Mitglied im Medienverbund. Denn wo könnte man seine Geistesgegenwart
besser testen (dass er ästhetische
Leistungen testierbar mache, für
Benjamin ist das eine weitere Qualität
des Films) als an einer Spielkonsole. Während
das Filmpublikum nur erschrickt, muss im Spiel sofort reagiert werden, sonst
ist es aus. Dagegen kann der Film, vielleicht durch Gewöhnung an seine Sprache, inzwischen auch so
kontemplativ wirken wie Kellys Other Places.
Die Ausstellung, aber mehr noch der sie begleitende,
hervorragende Katalog werfen ästhetische
Fragen auf, die in Deutschland
zumindest nicht allzu häufig
an Videospiele gestellt werden (auch wenn sie als Wirtschaftsfaktor inzwischen
ernst genommen werden). Das Museum of Modern Art in New York hat 2012 die
ersten Spiele in seine Sammlung aufgenommen. In einem kleinen Rundgang,
gestaltet in Anlehnung an den Kultfilm Tron von 1982, können klassische Videospiele
ausprobiert und mit Filmausschnitten verglichen werden. Wer aber die von den
Ausstellungsmachern Andreas Rauscher und Wolfger Stumpfer durchaus intendierten
Fragestellungen nachvollziehen will, sollte zuvor den umfangreichen Katalog
studieren (insbesondere, wenn er wie ich Kinosäle
besser kennt als Spielkonsolen).
Filmreif?
Britta Neitzel erinnert im ersten Beitrag zurecht an den Beginn
des Kinos als Jahrmarktsattraktion. Es konnte diesen Ruf, trotz der zahlreichen
Hochkultur-Referenzen insbesondere in den deutschen Stummfilmen, nie ganz los
werden. Der Grund hierfür
ist natürlich die bürgerliche Verortung der Kunst in
Sphären jenseits von ökonomischer Verwertung, während Film und automatisierte
Spiele eine gemeinsame Entstehungsgeschichte in Zusammenhang mit der
Industrialisierung und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen aufweisen:
"Mechanisierung von Bewegungsabläufen,
Entstehung von Freizeit und kommerzialisierten Unterhaltungsangeboten"
(soweit Neitzel). In vielen Beiträgen
des Katalogs und den hochinteressanten Interviews Rauschers mit Videospiel- und
Filmregisseuren geht es nun um die Abgrenzung der Games von den ästhetischen Standards der
klassischen Filmgeschichte (Spielberg, Hitchcock etc.). "Ich wäre so gerne wie du" heißt der Beitrag von Petra Fröhlich über die Sehnsucht nach "filmreifen"
Spielen. Diese wird dann im letzten Beitrag von Steven Poole recht harsch zurückgewiesen - es habe keinen Sinn
auf den "Citizen Kane" der Videospiele zu warten, da der Preis für das "Filmische" von
Spielen ihre ästhetische
Verkommenheit sei, der Bruch mit ihrer eigenen Ästhetik.
Am aufschlussreichsten mit Blick auf die Ästhetik von Videospielen sind für mich Rauschers Ausführungen zur "ludischen
Leinwand". Für ihn ist
die Mise-en-Scéne das
entscheidende Verbindungselement zwischen Film und Videospiel. Der Begriff
stammt vom französischen
Filmtheoretiker André Bazin
und wendet sich gegen das von Benjamin gefeierte Kino der Montage. Stattdessen
soll der Film eine Wirklichkeitsillusion erzeugen - durch lange, gegliederte
Einstellungen, die das Drama ins Filmbild versetzen. Berühmteste Referenzszene hierzu, natürlich aus Citizen Kane: die
Kamera fährt durch Kanes
Lagerraum, vorbei an allen Kunstschätzen
Alteuropas um schließlich
das berühmte Wort Rosebud
(das letzte Wort des sterbenden Kanes) auf einem Schlitten zu entdecken. Das
"Geheimnis" Kanes kann also nur vom Publikum im Kinosaal enthüllt werden - den Protagonisten
des Films entgeht es, da der Schlitten im Moment seiner Entdeckung durch uns
ins Feuer geworfen wird. Der Begriff "narrative Architektur" (Henry
Jenkins) passt auch auf diese letzte Szene eines berühmten Films. Ein weiterer Aspekt von Videospielen
knüpft implizit an die
Diskussion um Montage und Mise-en-Scéne
an: während die meisten
Videospiele bestimmte Reaktionen voraussetzen, damit es weitergeht, eröffnen neuere Games Freiraum für moralische und ästhetische Entscheidungen. In
einer Führung, an der wir
teilnehmen konnten, erwähnte
Rauscher Kriegsspiele, in denen die Spieler vor Dilemmas gestellt wurden, die
sie ohne ethische Grenzverletzungen nicht lösen
konnten. Gegen die Manipulation (durch Montage im Film, durch Reiz-Reaktionsschema
im Game) also das freie Schweifen durch narrative Architekturen und
unentschiedene Situationen. Vielleicht ist das nur eine Möglichkeit für die Weiterentwicklung von
Videospielen - und wahrscheinlich für
männliche Nutzer (siehe den
Beitrag von Nina Kiel zu Stereotypen im Video- und Computerspiel) die
uninteressanteste. Dem Filmmuseum ist für
eine Ausstellung zu danken, die relevante Fragen aufwirft.
Ausstellung im Deutschen Filmmuseum in Frankfurt a. Main, 1. Juli 2015 - 31. Januar 2016
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