Mittwoch, 30. Dezember 2015

A DANCE TO THE MUSIC OF TIMES lesen (8): "Action is, after all, exciting rather than interesting."

Nicolas Poussin, ca. 1634-36

Ein Beitrag von Morel




Action is, after all, exciting rather than interesting.

Anthony Powell liebt die eingefrorenen Bilder, die stillgestellte Bewegung. Daher ist der Tod bei ihm kein Abschluss, sondern nur die Unterbrechung eines Tanzes. Blood on the dancefloor. Danach geht es immer weiter, allerdings in veränderter Konstellation.

Da sich der dritte Abschnitt seines Romanzyklus mit den Romanen The Valley of Bones, The Soldiers Art und The Military Philosophers dem Krieg widmet, sind die Gelegenheiten das Schlaglicht des Todes auf die Lebenden zu richten zahlreich. Einige meiner Lieblingsfiguren verlassen in diesen drei Bänden die Bühne so plötzlich wie unerwartet. Zyklisch ist bei Powell nicht das Leben, sondern nur seine Formen. An einer Stelle heißt es, recht frei übersetzt: "Wie in der Reise nach Jerusalem, verstummt das Piano plötzlich, und jemand ist ohne Stuhl, für alle Zeit eingefroren in seiner Haltung in jenem einzigartigen Moment."

Mit den Verlusten nimmt die mitunter von Gleichgültigkeit nur schwer zu unterscheidende Melancholie des Erzählers zu. Gleichzeitig wird er aufmerksamer für die Absurditäten des Leben, einige Szenen seiner Kriegs-Trilogie zählen zu den komischen Höhepunkten der britischen Literatur über den Zweiten Weltkrieg. Der Erzähler, nach eigenem Empfinden als Künstler ohne ernstzunehmenden Beruf, beobachtet das Ungenügen an den Rollen, die das Leben anbietet, auch an seinen Leidensgenossen. Die Tagträume von effizienter Kontrolle der Organisation stoßen sich an den Unzulänglichkeiten der Bürokratie. Das Heldentum der Vorfahren, das in den ersten Seiten von The Valley of Bones noch in der historischen Erinnerung anklingt, wird in der kleinen Münze von Budgetrestriktionen und Kriegssimulationen in der nordirischen Provinz ausgezahlt.

Während die Unterschichten die Phantasien des Generalstabs unter Lebensgefahr ausagieren, bleiben den Oberschichten nur absurde Aktionen, um gegen die eigene Überflüssigkeit zu protestieren. Stringham, vom Alkoholismus kuriert, aber  gesundheitlich angeschlagen, versucht sich als Kellner im Offizierskasino, wird aber in seiner dandyhaften Überheblichkeit als der Rolle unangemessen durchschaut und in die Wäscherei versetzt. Nach einem Vorfall mit einem betrunkenen Offizier ist es Widmerpool, der seine Versetzung nach Singapur durchsetzt, wo er vermutlich ums Leben kommt. Widmerpool, der ewige Karrierist, verkörpert sicher das Böse - sein Kennzeichen in der Welt Powells ist die übermäßige Anpassungsfähigkeit. Was Widmerpool auszeichnet ist die fehlende Substanz (auf interessante Weise verbindet ihn das mit dem Erzähler selbst, der  kaum mehr  ist als ein Schwamm, der seine Zeit, das 20. Jahrhundert aufsaugt). Er  kann jede Rolle ausfüllen mit dem einzigen Ziel voranzukommen - wie der leicht übergewichtige Jogger zu Beginn des Zyklus. Die anderen Figuren dagegen versagen an immer genau daran, im entscheidenden Moment aus der Rolle zu fallen. Stringham ist einfach zu geistreich und arrogant für einen Kellner. Wie Widmerpool die Fäden der Intrige beim Verschwinden Stringhams zieht, so auch beim Tod des zweiten der drei Freunde aus dem ersten Band, Peter Templer, der wie der Erzähler in The Military Philosophers zu den Bürokraten der britischen Kriegsdiplomatie zählt. Bei ihm, der als Frauenheld eingeführt wurde, ist es die Rolle des männlichen Verführers, die er nicht mehr ausfüllen kann. Während er seine Frau in einer psychiatrischen Klinik allein lässt, wird er zum Opfer von Pamela Flitton, einer Nichte Stringhams, die Powell wenig subtil als "femme fatale" im Stil von 40er Jahre-Filmen angelegt hat. Von der Geheimaktion im Balkan, bei der Templer ums Leben kommt, erfahren wir nur aus Büroklatsch und Widmerpools Rechtfertigung, der das abenteuerliche Vorhaben durch ein kritisches Memorandum beendete, das den Tod von Templer auslöste (so zumindest Pamela Widmerpool, wie sie nach der Heirat mit dem Karrieristen, heißt, in einer ihrer stürmischen Szenen). Das ist der Realismus Powell, an die Stelle der Action tritt das Memorandum, eine nur scheinbar interesselose Abschätzung des Lebens. Wie in desillusionierten Spionagethrillern siegt die Bürokratie am Ende immer über das Individuum. Zu Beginn sorgen einige aus der Sowjetunion ausgewiesene polnische Armeeeinheiten für Diskussionen. Eine Differenz von einigen Tausend Offizieren sorgt für kurze Verwunderung, bevor es dann wieder um Budgetfragen geht. Widmerpool kommt später auf das Massaker in Katyn zu sprechen und warum es besser sei, es nicht zum Thema zu machen. Powell übergeht den Hobel, er schweigt aber nicht über die Späne.


Der Erzähler ersetzt schließlich Action durch Reflexion und Erinnerung: Als er auf einen kurzen Abstecher ins gerade befreite Europa ein für die Besatzungstruppen konfisziertes Hotel verlässt, fällt ihm erst im Nachhinein auf, das dies das Hotel in Prousts Balbec sein muss, wie der französische Romancier es in Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schildert. Auch in Powells Romanzyklus treten mit dem Alter an die Stelle lebender Weggefährten Literatur und Erinnerung.


Verwandte Beiträge

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen