Mittwoch, 2. März 2016

ENTSAGUNG. ENTSAGUNG. ENTSAGUNG ("Ich will mich im Eis ertappen.")

20. Folge von "Ich küsse mein Leben in dich. Die Marten-Ehen"






"Dem Nordmeer entgegen", so hatte sie geschrieben, die Schwesterliche. Das Fischweib in seine Kälte entlassend, schwimmend. Kein Ufer nirgends. Heilmann derweil, sich übergebend, am Boden, vernichtet, nach jener Nacht in der Fabrik der Engel, als er den sterblichen Sohn zu retten versuchte, durch das Opfer der Mutter. (Doch: War nicht längst geschrieben worden, anderswo: "Das Mutterhaus steht leer. Zerrissen ist des Lebens wie der Liebe Band." Eine aber schrie, immer weiter, wieder: "Nein!")  

Schließlich allerdings wäre auch diesmal beinahe alles wie immer gewesen, nur weniger tragisch, mehr Soap Opera. Er hätte, zweifellos, sich berappeln können, ein weiteres Mal, den hellen Anzug aus dem Schrank nehmen, die Brille zurechtrücken, das Strohhütchen auf den Kopf drücken und an Bord eines weiteren Schiffes gehen als Lebemann (wie einer ihn missbilligend einmal nannte) oder auch, nicht ohne Ironie, als das ewige Seufzen der gepeinigten Kreatur (?), die sich nicht erlösen kann. Und weiter im Text...Warum nicht? Es rumpelte alles dahin. 

Doch dann kamen die Briefe. Diese Drohungen, die du der Schreibenden sandtest, als sei sie nicht Melusine, Drachenweib, fischig, sondern eine säugetierische Mutter, beheimatet in jener wirklichen Wirklichkeit, an die wir mit Gründen nicht glauben. WIR. Sie und Du, Heilmann, zu dem sie dich gemacht hatte: Heiler. Seher. Wissender. Doch machtest du dich klein mit deinen Worten, den ach so poetischen. Begannst die Geschichte in Geschichten zu zerlegen, wolltest ein Mann sein und HERR zugleich, als sei das möglich, ohne aus der Geschichte zu fallen. Wolltest lieben, Heilmann, du, und eine nur, eine nur, eine nur, als seist du nicht der Zampano, dem sie, nur sie, nur sie das Leben einhauchte, damit du es weiter küsst und küsst und küsst, der Nächsten und Nächsten und Nächsten ein und wiederum...:


"Ja, soll denn etwas so Schönes nur einem gefallen

Die Sonne, die Sterne gehören doch auch allen."


Wir waren nicht gemacht, Heilmann, für diese Story, die du dir erfandest, den Schmachtfetzen, die Geigen im Hintergrund, klagend:

Entsagung, Entsagung, Entsagung...

Ach hätten wir es vermocht, zusammentreffend, weder vom Vergangenen noch vom Künftigen zu sprechen, sondern uns nur im Gegenwärtigen zu begegnen. Alles wäre noch einmal gut gegangen. Das war der Pakt, den wir brachen. 

Und dann deine Wut. Die Hiebe, die blutende Faust. (Meine Gewaltphantasien. Ich gebe das zu.) Keinen könnte ich lieben, dem ich nicht etwas Dunkles andichtete. (Dark Knight Darcy.) So viele Klischees haben wir aufgerufen, bevor du dir im Ernst und wirklicher Wirklichkeit die Pulsadern schlitztest. Oder zumindest damit drohtest. (Denn in der wirklichen Wirklichkeit, Heilmann, bist du ein Feigling. Wie ich.) Das Geschäft der Nixen hättest du auch mir überlassen können. Ich hätte dich tot gekitzelt. Denn ich war immer schon mehr für Komödie als für Tragödie als du. 

Warum konntest du nicht verstehen, was das Opfer ist? Eine Fiktion, die wir nicht übersetzen sollen in unsere Körper, sondern auf dem Papier stehen lassen. Weil wir niemanden mehr zerstören müssen. Weil wir ertragen und weiter tragen, dass wir nur Projektionen sind. So, nur so, konnten wir einem jedem und einer jeden eröffnen, was sie zu erfahren wünschten und zu ertragen vermochten. Warum hast du das vergessen?

Wenn du doch einmal schweigen könntest, Heilmann, statt jedes Gefühl zum Anlass zu nehmen. Du bist, warst immer, - die Melusine wollte sich nur drüber täuschen - , ein bloßer Fetischist, Heilmann: Das Wort betest du an und alles, alles wird dir nur wahr, wenn du es aussprichst. Wie sehr wünschte sie sich, dass du einmal für dich behieltest, wie innig du begehrst, wie tief du gefallen bist. Wenn du einmal, einmal nur wärest, statt dich entwürfest. 

Könnten wir dann zusammen zurück an den uferlosen See? In die Tiefen der Erscheinung, blaugrün, wie die Tür, durch die du sie führtest vor Jahren? 

Es zieht uns immer an Meer, beide. Doch wir verfehlen uns. Du suchst die Sonne, deren Schein die Oberfläche des Wassers erwärmt. Den schwitzigen Leib ins kühlende Nass stürzen von einem südlichen Strand willst du. Mich zieht es nach Norden. In die Fjorde. Durch meine Adern fließt ein anderer Saft. In der Sonne staut er, verdickt. Ich will mich im Eis ertappen. 

Es ist alles vergebens, vergeben. Es bleibt uns bloß noch, uns selbst zu zitieren:

Ich küsse mein Leben in dich. Marter-Mann. 

10 Kommentare:

  1. "marten-ehen" und "heilmann" sind zwei wort(gründ)e, die es mir eigentlich verbieten, den text zu lesen - das klingt für mich dermassen brutaldeutsch

    ( nur so am rande - weiss aber auch nicht, wieso du das in so langen sätzen - rhapsodischen - schreibst : sollte vielleicht doch eher nach katastrophe klingen, der text, naja )

    plastic/first pic

    eigentlich zwei mal leichtes sorry, das bild kommt schnell , kanns isoliert hier vermutlich nicht posten.

    weiss ja nicht ob du das veröffentlichst, wenn, dann könnte es dennoch sein, dass x bald lösche.

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    1. "Heilmann" - ist ein Zitat, sozusagen. Und Folge 20. Folge 1: "Die Feier der Unbedeutendheit". Die Prinzessin aus dem Morgenland und Melusine betreten Heilmanns Buchhandlung. Es wird aus Zahnputzbechern, auf denen 3x täglich steht, Schnaps getrunken. Heilmann ist nicht-heilend, nicht-mann, sozusagen. (Ich hab´s heute mit der Redundanz, arg.)
      Und Marten-Ehen: Das sind die Ehen der Nicht-Menschlichen mit den Menschen, Nixen, Melusinen, Sirenen und eben - "Heilmänner" mit Menschenfrauen.
      Marter-Mann = Wort-Spiel.
      Die Katastrophe ist ja immer schon gewesen.
      "And London no longer exists."

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    2. first pic = so viel und dazu. Kann wirken.

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  2. das interessante an pierre boulez war, dass er in seine sachen korrigierend zurückgriff und somit diese nicht als zeitdokument behandelte, er nahm sich freiheit : gut als komponist_in geht sowas leicht(er) - für "elektroschreibe" auch nur hart am netz vorstellbar.

    ich würde "heilmann" erst einmal möglichst klar beschrieben einführen um mich zu gewinnen, du ich verfolge die "martenehen" ( dito ) aus dem grund nicht, weil ich womöglich unbefangen mal so lesend einsetzen wollte und gleich bei "heilmann" wieder austrat.

    okey, ein lesender, lu
    ( bin froh dass ich kein autor bin, da scheint mir ein genaues addressieren noch schwieriger zu sein als d. musiker_in - also das direktactual&publikum ist ja meist nur über stille verschwiegene orte wie buchhandlung + vorleserei zu beäugen oder so, vielleicht täusch ich grad + vor allem mich ++ so einfach ist es eh nicht )

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    1. Da ist er doch, eingeführt:
      "So kam Heilmann ins Spiel: jener andere Sünder, hinabgestiegen ins Reich der Mütter und auferstanden von dort auch er, um einen Sohn zu zeugen, ein anderes Un-Wesen, das niemals hätte geschehen dürfen. Gelegentlich sehe ich ihn wieder, den nur scheinbar Gelassenen, nervös die Brille putzend. Denn Heilmann weiß. Diese traurigen Augen sind es, denen ich folgte. Durch die blaue Tür, grünblau schimmernd wie Meeresrauschen. Hinter der Heilmann mir zeigte, wer ich war. Oder zu sein vorgab. Wo das Wissen war, das ich fürchtete, mit gutem Grund. Es wird nicht leicht sein zu verstehen, was zwischen mir und dem heilsamen Unmenschen geschieht. Heilmann, dachte ich, führt die Feder. Aber so ist es nicht..."
      Das Weitere folgt. Sein Sohn heißt Willoughby.

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  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    1. ?
      - vielleicht
      ist die Frage der Prinzessin aus dem Morgenland, Azar, eben mit "Ja" zu beantworten:
      "Sind wir in ein Kulturkrematorium geraten?"
      Und - vielleicht - muss deshalb dieser pseudo-hohe Ton, der auch, aber nicht nur Persiflage und Palimpsest ist, sein, gekreuzt mit Fußball, Zähne putzen (sie trinken übrigens Rotwein, keinen Schnaps, hatte ich glatt vergessen), Almuts Korsett, einem fetten Teufel, schlecht gemachten Puppen und einer fiesen Pornoshow -
      Balsamierung, nämlich in dem Sinne -> wie bei Marx´ Opium: Trostflucht und Protestation in einem.

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    2. Ich weiß aber, wenn ich so was schreibe, auch nichts Genaues nicht. Ich bin dann nicht ganz dicht, dichtend. :-)

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    3. Deine folgenden Kommentare, lu, lasse ich vielleicht lieber unveröffentlicht, oder???

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  4. " wenn es dich gepackt hat dann zerlegst du, gehst auf den grund.
    das ist für mich übrigens hochpoetisch.
    wenn nicht höherhöchstpoetisch "

    das musste ich erhalten von meinem soeben entfernten comment.

    ja - unveröffntlicht - es ist echt gut wenn du mein privateres hier nicht zeigst.

    diesen hier allerdings kannst du je echt noch sichtbar machen & :

    meine besten wünsche dir

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