Mittwoch, 16. März 2016

FRÜHLINGSGEFÜHLE (mal wieder ein Tagebucheintrag)

Es wird Frühling. Vor meinem Fenster zum Park hinaus sprudelt zum ersten Mal in diesem Jahr die Fontäne. (Wasserspiele für die Wasserfrau?) Der Himmel verhangen, doch gelegentlich stehlen sich Sonnenstrahlen durchs Grau und brechen sich sternengleich in den glitzernden Tropfen. Es wird grünen, auch wenn die Bäume jetzt noch kahl sind. 

2010 begann ich das digitale Schreibwerk. Es entsprang einer Verzweiflung, die ich nicht (noch nicht?) in Resignation verwandeln wollte und die doch zu lähmend geworden war, um sie, wie es sonst meinem widdrigen Naturell entspricht, in Wut und Tatendrang zu übersetzen. Es entstanden diese beiden Blogs, die Gleise und das Wasser-Werk, über 1600 Blog-Beiträge, ein Roman, später Artikel für bzw-weiterdenken, das feministische Online-Magazin, bei dem ich als Redakteurin mitwirke. Tägliches Schreiben war kein Zwang und dennoch ein Muss. Ich schrieb stets mehr, als ich veröffentlichte. 

In diesem letzten Jahr kam vieles zum Erliegen. Ich zog mich zurück. Nur ein Stück weit, nicht gänzlich. (Ich  habe es nie gemocht, wenn Bloggerinnen und Blogger mit ihrem Abschied aus dem Netz kokettierten - wie mir schien - , sich wortreich verabschiedeten, nur um wiederzukehren, unverändert oft, bloß die nächste Wiederholungsschleife aufnehmend. Ich weiß, dass auch dieser Blog vor Redundanz strotzt, aber mindestens möchte ich nicht Entwicklungen simulieren.) Ich habe nie geleugnet, dass mein Bloggen mindestens auch selbsttherapeutische Zwecke erfüllt/e (?), ein Versuch war (ist?) mir Bewegungen zu verschaffen, fiktive, die ich mir im "richtigen" Leben nicht zutraue oder nicht zumute. Dennoch ließ sich ja, wie ich feststellte, diese Trennlinie zwischen fiktiver und realer Existenz so strikt, so sicher und so verfälschend, wie ich mir das ursprünglich zurechtgelegt hatte, nicht einhalten. Ich gab das Pseudonym nicht auf, aber ich ergänzte es um meinen Klarnamen. 

Gemischte Frühlingsgefühle, ein Radiobeitrag, den ich auf dem Weg zur Arbeit hörte, der selbstkritische, ja beinahe selbstzerstörerische Post einer Freundin auf Facebook, das Lesen eigener, alter Blogbeiträge, Iris Beitrag zum Weltfrauentag über die Tapferkeit der Frauen, das alles zusammen und jene - auch körperliche - Trägheit, die nicht mehr verzweifelt ist, sondern - ***gestillt*** - , die sich bleischwer über mich gesenkt hat, als Ent-Täuschung im vergangenen Jahr, in genau jenem doppelten Wortsinn, der Enthüllung und Versagung meint, das fügte sich zusammen für mich in einer Reflexion über Liebe und Arbeit und wie sie einander entwerten (können).

An der Liebe - wie an allem - soll und muss der moderne Mensch schwer arbeiten. Weil es eben, wie mir im Radio erklärt wurde, nicht den Einen/die Eine gibt, sondern nur eine oder einen, die man sich dazu macht, mittels Arbeit an der Beziehung nämlich. Dazu muss vor allem, wie der Therapeut wusste, viel geredet werden und am besten über alles. (Ich übertreibe und polemisiere.) Eine jede und ein jeder soll seine Wünsche benennen und dann wird verhandelt. Man liebt sich als Geschäftspartner, sozusagen, man bringt was ein und zieht was ab und am Ende muss die Bilanz stimmen. Und während ich das hörte, kam mir die besagte Freundin in den Sinn, die sich öffentlich geißelte für ihr Versagen, was die familiäre und elterliche Liebesarbeit angeht, die nie genug ist oder richtig gezeigt wird. Jede/r muss sich abarbeiten und optimieren, das gilt auch und ganz besonders, empfinde ich, für jene, die ein neoliberales Weltbild sonst vehement kritisieren, denn unsere Beziehungen, alle, sind in jeder Hinsicht und wahrhaftig so verkorkst, dass nur schwere Arbeit, vor allem an sich selbst, kleine Fortschritte, Emanzipationsbewegungen, erzeugen kann. Und das stimmt ja auch alles. Die Analyse der Gesellschaft, die Einsicht in die eigene Fehlbarkeit, Paartherapieangebote und Gesprächsrunden, Arbeit am Selbst, Offenlegung der Bedürfnisse, Aushandeln von Kompromissen - alles nötig und richtig und wichtig. Und doch...

Es bleibt ja die Sehnsucht, verstanden zu werden, ohne es einfordern zu müssen. Die Liebe, wo sie wirkt, ist eben doch kein Tauschgeschäft, sondern eine Gabe. Und in der Liebe macht nur glücklich, was gegeben wird, ohne eingeklagt werden zu können. Es ist das Unverhandelbare, das Unvermittelte und Überwältigende, worauf es ankommt: die rückhaltlose und unbedingte Verschwendung von Zeit und Ressourcen, der unzerstörte und unersättliche Augen-Blick. Das gilt, ob es um die Liebe zu Geliebten, Eltern, Kindern oder Freund_innen geht. Wer liebt, hat nicht Recht und braucht es auch nicht zu haben. Wer liebt, vergibt (sich). Und wer sich zurückhalten muss (oder will), verunglückt. Rettungslos. 


O stille! Gute Götter! Immer eilt
Den Sterblichen das ungeduldige Wort
Voraus und lässt die Stunde des Gelingens
Nicht unbetastet reifen. Manches ist 
Vorbei; und leichter wird es schon. Es hängt
An allem fest der alte Tor und da 
Er einst gedankenlos,  ein stiller Knab
Auf seiner grünen Erde spielte, war
Er freier, denn er ist; o scheiden! – selbst 
Die Hütte, die mich hegte, lassen sie
Mir nicht – auch dies noch Götter!

(Hölderlin)

Im Herbst 2011 schrieb ich "Gegen die Spar-Samen" an. Hoffnungsvoll, auf einen Frühling zu: "Wenn dann der Erde Grün von Neuem euch erglänzt..." Ich kann die Hoffnung gerade nicht finden. Ich stecke fest. Aber ich behalte die Sehnsucht im Herzen. Mehr Güte, weniger Werke!

(Mache ich was draus?)

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