Das Cover der autobiographischen Graphic Novel von Catherine Meurisse ist noch recht düster. Die Protagonistin geht mit gesenktem Kopf im dunklen Anorak einen Strand entlang. Ein Tag an der See, das
dunklere Grau der Wellen diffus abgesetzt vom helleren des Sandes, ein unklarer
Horizont, der sich ganz zart ein wenig aufhellt. Es klart auf, aber nur
langsam. Die einsame Figur, mit wenigen Pinselstrichen, aber starker Kontur ins
Aquarell gesetzt, schreitet dem Hellen entgegen, noch gebeugt zwar.
Catherine Meurisse kam am 7. Januar 2015 zu
spät in die Redaktion, weil sie wegen Liebeskummers
verschlafen hatte. So überlebte sie. Zehn Jahre lang hatte sie für das
Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ gearbeitet. Nach dem Massaker an ihren Freunden
und Freundinnen, Kolleginnen und Kollegen, so schreibt und zeichnet sie es in „Die Leichtigkeit“,
verstummte ihr Körper. Ihr Empfindungsvermögen und ihr Gedächtnis wehrten sich
gegen das Ungeheuerliche. Einzig die Augen der Zeichnerin blieben lebendig,
nahmen mit neuer Schärfe wahr: die Krümmung des Horizonts, die Gewalt der
Farben, die Weite, die Leere.
Meurisse stellt ihre Protagonistin in Aquarelle, in aufwendige, an kunsthistorischen Vorbildern orientierte Zeichnungen, genauso
wie in scheinbar hastig hingeworfene Skizzen. Dem ganzen Band ist der Formwille
anzumerken, das Wissen der Künstlerin darum, wie sehr Form und Inhalt
miteinander verschränkt sein müssen, um aus dem Erlebten Kunst zu formen und es
damit begreifbar und wieder - als Erinnerung - belebbar zu
machen. Meurisse schert sich dabei nicht um eine krude Unterscheidung zwischen
E- und U-Kunst, zwischen Malerei, Zeichnung und Comic Strip, von einer Seite auf die andere können Technik, Stil und
ikonographischer Bezugsrahmen wechseln.
Der Weg heraus aus der Schockstarre ist schwer und weit. Die
Fähigkeit zu zeichnen, scheint verloren gegangen hinter den Absperrgittern,
mit denen die verwüstete Redaktion gesichert wird, nachdem es zu spät ist.
Unsentimentale Erinnerungen steigen auf an die ermordeten Kolleginnen und Kollegen, an den
schwarzen, unanständigen, mutigen Humor von Chefredakteur Charb und den anderen. Die Getroffenen weigern sich, sich die Namen der Mörder zu merken: "die Brüder Kichi". Keine Ehre,
wem keine gebührt. „Charliett ist nicht tot. Im Frühling lass ich mir die
Titten machen.“ Verzweifelte Versuche, nicht aufzugeben, wofür „Charlie“ stand:
Keine Kameraderie mit der Macht, dem „guten Geschmack“, der wohlfeilen, abgewogenen „Meinung“. Währenddessen wird draußen „JeSuisCharlie“ zum Modehit. Selbst der Tod
abonniert jetzt das Magazin, das doch immer fast vor der Pleite stand. Die Protagonistin ist derweil eingeklemmt zwischen den Personenschützern, die sie nun rund um die Uhr
bewachen.
Es geht nicht. Nach so einem Schock ist „Weitermachen“,
einfach so, keine Option. Der Widerspruch zu einer Solidarität, die nichts
versteht, ergibt sich von selbst und lähmt. „Nach dem Tsunami der Gewalt folgt der Tsunami der Unterstützung.“
Jede Nacht quält die Protagonistin derselbe Albtraum: ein Sturz ins Meer.
Meurisse zeichnet und ironisiert das mit den Mitteln des Comics: „Platsch“. Denn es geht hier nicht um Mitgefühl. Es geht um eine
angemessene Sprache. Um Kunst. Die Mutter der Protagonistin bringt es auf den
Punkt: „Der Terrorismus ist der Erzfeind der Sprache.“ Während die Zeichnerin daran scheitert, sich wiederzufinden: weitere Massaker im Bataclan und
den Cafés von Paris. Es hört nicht auf. Der Therapeut verwandelt sich in einen
Frosch, der weiß: „Inzwischen bezeichnet man die Ohnmacht, die einen jeden
angesichts einer Flut von Schönheit ergreifen kann, als ´Stendhal-Syndrom.´“
Das, erkennt sie, braucht sie: Schönheit, die eine in Ohmacht fallen lässt.
Die Protagonistin fährt zur Rekonvaleszenz nach Rom in die Villa Medici.
Besucht die Vatikanischen Sammlungen, schaut
sich die Carravaggios an, die überall rumhängen. Die fragmentierten Körper der
antiken Statuen erinnern sie an die Körper der Opfer: In Schönheit erstarrt.
Die Ungläubige besucht gerne die unzähligen barocken Kirchen der Heiligen Stadt. Blickt sie nach oben in das Gewölbe des Petersdoms, so
erschaut sie nicht, wie die Architekten es planten, Gott (im Himmel?), sondern „das Ende des
Tunnels“. Aber auch - weil sie bei Charlie gearbeitet hat - einen riesenhaften
Darmverschluss. Gott. Hoffnung. Darmende. Nichts ist ihrem Blick heilig, auch das Schöne nicht. Das tut der
Schönheit keinen Abbruch. Denn: Die schöne Welt der Bilder ist eine Welt der Gewaltdarstellungen,
auch. Die Kunst zeigt, was ist. Und mehr: Dass, was ist, unter den Augen, durch
den menschlichen Willen, durch menschliche Gestaltung schön werden kann. Oder
zerstört. Die Option, die die Mörder wählten. Dennoch: Es ist eine Lust, an die Schönheit zu glauben. Dafür kann sich eine
entscheiden. Und, zum Beispiel, den schönen Arsch Gottes an der Decke der Sixtinischen
Kapelle entdecken.
(Denn: Meurisse, die Malerin und Zeichnerin, ist - stolze und glückliche - Erbin einer Kultur, in der
sich über Jahrhunderte das Recht und die Fähigkeit erstritten, ermalt und erschrieben wurde - auf Umwegen, gegen
Feigenblätter-Widerstände und Common Sense-Appelle, im Disput - alles mit den Mitteln der Kunst in Frage stellen zu dürfen. Auch Heiliges. Erhebendes und Erhabenes. Kann auf seine Lächerlichkeit geprüft werden. Das kann weh tun. Das soll und darf es auch. Und es steht
denen zu, die sich selbst nicht schonen. Aber denen uneingeschränkt. Sie schöpfen. Und: Schöpfer_innen können sich irren, zu weit gehen, Unschönes schaffen. Aber: Von den eitlen
Gottesanbetern, die ihre Bilderverbote herbeischießen wollen, wird nichts bleiben. Vergesst sie!)
Meurisse´ Protagonistin fällt am Ende nicht - wie angeblich beinahe Stendhal - in Ohnmacht
angesichts der brutalen, überbordenden, vielfältigen Schönheit der römischen
Kunstwerke. Die Schönheit der Kunst, durch welche die Verluste nicht geschmälert, der
Schmerz nicht geleugnet, das Grauen nicht verborgen, sondern gezeigt werden,
ermächtigt sie vielmehr, wieder selbst das Schöne zu sehen, ohne sich schuldig
zu fühlen.
So endet der Band mit dem ruhigen Bild der Protagonistin,
die auf die Arme gestützt am Meer sitzt, und in die Ferne schaut: „Ich habe fest vor, wach zu bleiben, schon
auf das kleinste Anzeichen von Schönheit zu achten. Jene Schönheit, die mich
rettet, indem sie mir die Leichtigkeit zurückgibt.“
Schönheit erkenne ich auch in Deiner Rezension. Du hast das Buch wunderbar beschrieben und damit der Rettung Raum gegeben, danke.
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