Venus im Pelz, aus: Jutta Pivecka: Punk Pygmalion, 2014 |
Christa Päffgen, alias Nico, wurde 49 Jahre alt. Geboren wurde sie in demselben Jahr wie meine Mutter, 1938. Sie lebte ein Leben in einer Mode, Künstler- und Drogenwelt, das dem meiner Mutter kaum fremder sein könnte. Und dennoch, so glaube ich, wurde sie auch zur Ikone, weil in ihren Songs und in ihrer offensiven Verzweiflung etwas Ausdruck fand, was im Fühlen dieser Generation und ihrer Kinder Wiederhall fand, ein Echo: „I´ ll be your mirror.“
Susanna Nicchiarelli, 1975 geboren, hat einen Film über die letzten Jahre Christa Päffgens gemacht: Nico, 1988. Im Film wird die Rolle der Nico von der fantastischen dänischen Schauspielerin und Sängerin Trine Dryholm gespielt. Ein Film über eine Rock-Ikone, ein Model, eine Drogenabhängige, eine Mutter. Ein Film über eine talentierte Frau, inszeniert von einer talentierten Frau, gespielt von einer talentierten Frau. Ein Film über das Scheitern. Und die Stärke des Scheiterns. Über die Schönheit. Die Vergänglichkeit. Die Wut. Und die Zärtlichkeit. Über das Versagen. Und Weitermachen. Kein Happy End in Hörweite.
Das Gesicht Christa Päffgens und ihre verrauchte Stimme wurde zur Projektionsfläche ganzer Generationen von Männern (und einiger Frauen): das schöne Rätsel Frau, tiefgründig, unerforschlich, gefährlich traurig. Femme Fatale. Ein Abziehbild mythischer Frauenfiguren, die einen unwiderstehlich hinabziehen in ihre schaurig-schöne Unterwelt. Die niemals einen Point of View haben: Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes „ohne Perspektive“, denn sie werden geschaut und gedeutet. Dazu müssen sie passiv sein und leer bleiben: „My heart is empty/ but the songs I sing/Are filled with love for you.“ Christa Päffgen aber hat getan, was in diesem Deutungssystem nicht geschehen darf, sie hat der „Muse“ des Künstler-Mannes eine eigene Stimme gegeben. Im Film lässt Nicchiarelli sie sagen: „My life started after the experience with the Velvet Underground.“
Nicchiarellis Film beginnt mit einer Einstellung, die das Kind Christa auf einer Wiese zeigt, am Horizont das brennende Berlin am Ende des Krieges, in der Luft die Geräusche der alliierten Flieger. Die ältere Christa, die von ihrem 20 Jahre zurück liegenden Mythos als Muse Warhols und Ikone der Velvet Undergrounds gleichermaßen zehrt und verzehrt wird, hat - neben dem Heroin-Besteck – immer ein Aufnahmegerät dabei. Sie sammelt Geräusche und später im Film wird sie bekennen: Sie sucht nach diesem einen Sound, dem Sound der Niederlage, den das Kind vor den Toren von Berlin hörte. Der Film zeigt nicht, wie Christa aufwuchs im zerbombten Deutschland, wie sie als Model entdeckt wurde und nach New York kam. Christa Päffgen erfindet sich später Vergangenheiten und sucht doch immer nach diesem einen „echten“ Geräusch ihrer Kindheit, sie lauscht auf dessen Widerhall, den Widerhall des Schreckens und der Wirklichkeit. Diese Suche ist eingeschrieben in ihren Songs und es ist eine Suche, die sie mit vielen ihrer Generation teilt, die wie sie in ungeheurer Beschleunigung auftauchten aus dem totalen Zusammenbruch in eine fremde und völlig veränderte Welt, der sie sich nur anverwandeln konnten, indem sie sich vergaßen.
Christa Päffgens Weg ist extrem und verantwortungslos. In verhuschten Rückblenden, die den Originalfilmschnipseln aus Warhols Factory angeglichen sind, wird gezeigt, wie sie ihren kleinen Sohn mit auf Partys nimmt, wo er sich unbeobachtet betrinkt. In einem Interview erfährt man, dass Christas Sohn bei seiner Großmutter in Frankreich aufgewachsen ist, nachdem er der drogenabhängigen Mutter weggenommen wurde.
In Nicchiarellis Film folgt man Nico/Christa in ihrem letzten Lebensjahr auf einer chaotischen Tour mit einer zusammen gewürfelten Band durch den Kontinent. Der Manager, der in sie verliebt ist, hilft ihr dabei, den Kontakt zu ihrem Sohn wieder aufzunehmen, in der zweiten Hälfte begleitet der junge Ari seine Mutter und ihre Band auf dieser Tour. Ari begeht zum wiederholten Male einen Selbstmordversuch, seine Mutter hält den blutenden Jungen im Arm, aber im Krankenhaus, nach seiner Stabilisation, versucht sie die Geräusche des Messgerätes neben seinem Bett einzufangen.
Trine Dryholm spielt und singt die Rolle der Nico ungeheuer intensiv und glaubwürdig. Die ganze Ambivalenz der Figur wird durch Dryholms Darstellung sichtbar gemacht: ihre Zartheit und Kläglichkeit, ihre Angst und ihr Stolz, ihre Verantwortungslosigkeit und ihre Wut.
Nico, 1988 ist ein sehenswerter Film, nicht nur für jene, die ein nostaligisches Verhältnis zu dieser Zeit und dieser Musik haben, sondern auch für alle, die sich für weibliche Perspektiven interessieren und für alle, die das (oder ein) Leben im Film nicht erklärt oder verklärt haben wollen, sondern gezeigt.
„Ich war beim großartigsten Konzert aller Zeiten; ich habe NICO gesehen! Kennst Du sie? Sie war ein deutsches Top-Fotomodell; Femme Fatale in den 60ern. Sie singt auf dem ersten Album von THE VELVET UNDERGROUND. Ich glaube, dass ich Dir schon in Berlin von ihr erzählt habe, aber trotzdem noch einmal: Andy Warhol hat die Band organisiert, Lou Reed + John Cale + zwei nicht ganz so bedeutende Musiker (von denen ich nichts mehr gehört habe) + NICO. Nico hat mit Reed, Cale, Bowie, Jackson Brown gespielt. Ich kannte vor dem Konzert das Velvet Album und einige ihrer eigenen Platten und ich dachte, ich würde eine starke, selbstbewusste Frau sehen, aber es war ganz anders: Sie ist ungefähr 40 Jahre alt und Du merkst, dass das Alter anfängt, ihr Sorgen zu machen. Sie wirkte total unglücklich auf mich und dann wuchs sie auf der Bühne und man spürte, wie sie ALLES wusste in ihrem Schmerz: Eine Göttin, die bitter und still auf eine Welt schaut, die sich einfach nicht ändert. Es gab einen Moment, Emmi, da dachte ich sogar, diese alte Frau könnte mich brauchen…“
Nico war große klasse. Ganz große Klasse. Das fahlste Mädchen in der Stadt, mit der bewegendsten stimme.
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