Sonntag, 12. August 2018

Vielleicht mach ich doch weiter. Mit UNS. (Aus der Werkstatt)

"Das Paradies war ein Garten", sagtest du, "vergiss das nicht." Ich hob fragend die Augenbrauen an. "Hortus conclusus." Da waren wir schon einmal, wusste ich. Nichts Neues unter der brennenden Sonne. Und doch...Die Grenzen zu bedenken, darauf wolltest du mich aufmerksam machen. Welche Grenzen setzen WIR? Denn. Ich habe mit diesem "Wir" gerungen, letzthin. Ich wollte es sprechen lassen. Das WIR, wenn es denn zur Sprache sich zu bringen vermöchte, könnte jenen Grund oszillieren lassen zwischen allwissender Perspektive, schwebend, und jener beinahe vollkommenen Ignoranz des ICH. Dachte ich. Diese unwissende Gewissheit, von der aus wir uns denken müssen, in Gemeinschaften und aus ihnen hinaus. 

Es gelang nicht. Die Grenzen mussten zu häufig verschoben werden, aus Garten Landschaften gestaltet, Fluchtpunkte ins Nichts, dabei immer wieder die Sehnsucht vorgreifend: Zurück in ein verständliches Paradies, fest ummauert. Wer waren wir denn? Eine Kohorte, regional verankert (nicht zu kenntlich), ländlich geprägt, Nachbarskinder, Schulkameradinnen, Samstagabendbadende, Enterpriseguckende, Dallidallihüpfer. Wir wussten von allen und allem zu viel und zu wenig. Und ausgerechnet ich hatte mir das vorgenommen, die dem schönen Klatsch mit soviel Ungeduld begegnete, der Spekulation um der Phantastik willen stets misstrauend, - das konnte ja nicht gut gehen. 

Drei Sabinen - der Raub des guten Willens um der Zukunft wegen, das Weitergebene: die kriegsversehrten Kriegsgewinnlereltern, Marschallplanversorgten, Eigenheimbauern, die über Bombenhagel, Schneegestöber und Hungerödeme nicht sprachen, außer in mahnenden Floskeln: "Iss dein Tellerchen leer." und "Pommernland ist abgebrannt." Waren deren Kinder: wir. Sorgten vor: Bausparverträge, Schulreform, Sprachlabor, Willywählen. Auf einem Stapel Autoreifen sitzt in der Erinnerung unserer Väter und Mütter ein schwarzer GI und verteilt Kaugummis. "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?" Niemand.

Wer will denn schon fremd sein im eigenen Land? WIR. Denn das ging uns ja verloren, das wir gekannt hatten: Ulrike Meyfahrt startete für die BRD. Die gibt es nicht mehr. Hinter den Grenzzäunen wuchsen wir behütet auf. Und waren mit Interrail unterwegs in Europa. Oh, schöne Sommernachmittage. Vor unseren Fernsehern. Lauschend auf Streitereien in Nachbars Garten. 

Eine Trilogie aus diesem fiktiven Wir heraus wollte ich schreiben, von dieser Irritation her (dem allerersten Eintrag dieses Blogs). Drei Frauen, Sabinen: die kleine Sabine, die Brillen-Schlangen-Sabine, die Rapunzel-Sabine. Aus denen wurden: die geschwätzige Sabine, die schöne Sabine (Sabia Hart) und die verschwundene Sabine (jetzt auch auf Facebook). Zu unserem Personal sollten außerdem gehören: der politische Claus und der schöne Klaus, die spröde Kerstin, der geschäftige Norbert, der kluge Andreas, der wüste Pianist, die kranke Beate. Unter anderem. Alle gesehen und beschrieben, bedacht und erzählt vom wir aus, der Gemeinschaft der Gleichaltrigen, vor Ort gebliebenen. Ein kollektiver und provinzieller Blickwinkel. Was wir wissen können, ahnen und phantasieren. Was uns verborgen bleibt. Die unzuverlässigsten Erzähler_innen weit und breit. Eine einheitliche und vielfältige Perspektive zugleich. 

Das hat ja gar nicht hingehauen. Außer beim Claus. Der Claus ist gut. Gelungen. Das liegt daran, dass er so öffentlich lebt und so geschwätzig ist. Der Claus ist der Bösewicht in der Geschichte und ihr Held. Bisher. (Aber das kann ja nicht so bleiben.) Irgendwie geht's nicht weiter. 

Die verschwundene Sabine hat sich auch mir entzogen. Man kann einfach nicht wissen, was der Claus ihr angetan hat (oder auch nicht?). Und Frau Hart macht momentan auf Künstlerin, das tut ihr nicht gut, als Romanfigur. Ich mag die geschwätzige Sabine in ihrem Reisebüro, aber was soll man über die erzählen?

"Das nervt", sagst Du. "Mach weiter. Oder lass es." 
Ich gebe Dir recht und kann doch nicht anders. Wer sind wir denn? Ich will die mal richtig abgrenzen können. Nicht immer so auf Menschheit machen, weißt Du. Einfach mal wieder irgendwo hingehören, wo nicht jede/r dazu gehören kann. Wir sein, - aber bitte schön: Bei uns war's ja auch nicht immer idyllisch. Manche blieben ewig Zugereiste, obwohl man noch nicht von PoC sprach oder Muslimen. Unsere Zugereisten kamen aus Magdeburg oder Königsberg. Zum Beispiel. 

"Lass mich doch ein bisschen unter uns bleiben.", sage ich. "Nur noch ein Weilchen." Du schüttelst den Kopf. So geht das nicht. So nicht. Wir wollen jetzt offen sein. Sagst Du. Ich gärtnere ich nicht. Aber ich mag Gärten. Wir könnten mal wieder zum Gartenfest einladen: Nudelsalat, Bratwürste, Rollbraten. Heutzutage reden wir über unsere erwachsenen Kinder. Frau Hart hat keine. Die kleine Sabine zwei (wie aus dem Bilderbuch, natürlich). Von der Rapunzel-Sabine wissen wir es nicht (aber sicher ist sie alleinerziehend, denken wir, wissen aber nicht warum).

Vielleicht mach´ ich doch weiter. Mit UNS.





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