Zu den Zoom-Meetings schalte ich immer die Kamera ein. Damit ich mich vorher ordentlich anziehe, das Haar richte, die Nase pudere. Sonst würde ich ja verludern. Ohne Morel wäre ich auch ohne Corona-Virus schon längst dem Fast Food verfallen. Aber Morel kocht, wie gewohnt, jeden Abend ein leckeres Abendessen. (Doch wir haben entschieden, dass wir nun mindestens einmal in der Woche in einem unserem Lieblingsrestaurants TakeAway-Boxen abholen wollen, was sie neuerdings anbieten. Denn wir wünschen uns, dass es diese Restaurants auch nach der Krise noch geben wird.)
In dieser Woche ist mir noch mehr bewusst geworden, wie privilegiert wir sind. Wir leben in einer geräumigen Wohnung mit Ausblick auf einen Park. Unsere Arbeitsplätze sind (zumindest bisher) sicher. Wir können beide im Home Office arbeiten. Ringsum uns hören wir von Freunden und Verwandten, dass sie in Kurzarbeit gehen mussten. Bei manchen wird es eng. Viele Selbstständige sind besonders hart getroffen. Manche wohnen weit von ihren Eltern entfernt und machen sich Sorgen um deren Verpflegung. Meinen Eltern habe ich gestern Lebensmitteln und Weidekätzchen gebracht + zwei Schlappohrschokoladenhasen aus meinem Lieblingscafé. (Es ist in einer früheren Apotheke untergebracht und sie liefern jetzt über den ehemaligen Nachtschalter aus.) Komische Situation war das, wie bei einer Lösegeldübergabe. Ich habe die Tüten im Hausflur abgestellt zwischen uns. Dann haben meine Eltern sie geleert und wieder zurückgestellt, gefüllt mit zwei der traditionellen Rührkuchen-Hasen, die meine Mama mir noch früh am Morgen gebacken hatte.
Telefonate mit Freunden beende ich jetzt mit dem Gruß des braven Soldaten Schwejk aus dem gleichnamigen Roman: "Nach dem Krieg um halb sechs im ´Kelch´." Nach der Pandemie sehen wir uns, wie wir uns immer getroffen haben, dort und dort und dort und trinken und essen und lachen miteinander.
Gestern haben der Morel und ich "Paddington" gestreamt. Bonbonbunt und lustig. Sowas brauchen wir jetzt. Hatte uns der Amazing, unser ältester Sohn, empfohlen. Gerade jetzt steht mir nicht der Sinn nach Mafia-Bossen, Mord und Totschlag-Krimis, Gangster-Epen. Eskapismus pur ist angesagt. Und ich habe angefangen die Serie "Anne with an E" anzuschauen, empfohlen in der Facebook-Gruppe "Feministische Filmkritik- Bechdle Test". Die bisher mit weitem Abstand beste Verfilmung dieser legendären Kinder- und Jugendbuchserie "Anne of Green Gables", die ich kenne. Die Bücher sind im angelsächsischen Raum mindestens so bekannt wie hierzulande Pippi Langstrumpf. Ich denke, dass Astrid Lindgren, die die Bücher kannte, inspiriert wurde durch "Anne of Green Gables". Die Titelfigur ist Waise und wird von einem älteren Geschwisterpaar, das eine Farm auf der kanadischen Prince-Edward-Insel betreibt, adoptiert. Anne ist eine Wort(er)finderin und Träumerin, die sich die Traumata ihrer Kindheit durch eine überbordende Phantasie und waghalsige Sprachkonstruktionen wegspricht und - schreibt. Beziehungen zwischen jungen Mädchen untereinander und älteren Frauen miteinander sind hier kein Beiwerk, sondern zentral für die Erzählung. Annes Leid, ihre Einsamkeit und ihre Außergewöhnlichkeit rühren an und beflügeln zugleich.
Heute ist der erste Tag seit 2 Wochen, an dem ich mir wirklich frei nehme: Keine Video-Meetings, keine Korrekturen, keine Feedbacks, keine beruflichen Mails.
Schönen Sonntag!
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